In Dresden hat sich Präsident Macron für seine Europa-Visionen feiern lassen.
28.05.2024 - 18:04:39«Unser Europa ist sterblich»: Scholz und Macron für Reformen. Beim Regierungsgipfel mit Kanzler Scholz geht es zurück auf den Boden der Realität.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron dringen auf eine Erneuerung der Europäischen Union, damit sie im globalen Wettbewerb bestehen kann. Vor einem deutsch-französischen Regierungstreffen auf Schloss Meseberg bei Berlin schlugen sie in einem Gastbeitrag in der «Financial Times» («FT») dazu eine Agenda für mehr Innovation, Investitionen und europäische Souveränität für die nächsten fünf Jahre nach der Europawahl vor.
«Wir können die Grundlagen, auf denen wir unseren europäischen Lebensstil und unsere Rolle in der Welt aufgebaut haben, nicht mehr als selbstverständlich erachten», heißt es in dem Artikel. «Unser Europa ist sterblich, und wir müssen uns der Herausforderung stellen.» Macron wurde am Dienstagnachmittag in Meseberg begrüßt.
Mit dem Gastbeitrag knüpften die Spitzen der beiden größten Volkswirtschaften der EU an die Rede Macrons an der Pariser Universität Sorbonne an, in der Macron im April seine Reformvorstellungen dargelegt und auch dort schon sagte: «Europa kann sterben.» In seiner Rede vor der Dresdener Frauenkirche am Montag wiederholte Macron diese Warnung. Am Dienstagabend wollte er zum Abschluss des dreitägigen Deutschlandbesuchs auf Schloss Meseberg mit Scholz und einigen Ministerinnen und Minister beider Regierungen über europäische Wettbewerbsfähigkeit und Rüstungskooperation beraten.
Macron will Verdoppelung des EU-Haushalts
Scholz hatte Macrons Sorbonne-Rede zwar begrüßt, sich aber noch nicht zu konkreten Punkten geäußert. Der gemeinsame Text in der «FT» ist nun relativ allgemein gehalten. Europa müsse ein weltweit starker industrieller und technologischer Spitzenreiter sein und gleichzeitig sein Ziel verwirklichen, die EU zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen, heißt es darin. Um diesen Ambitionen gerecht zu werden, brauche die EU «mehr Innovation, mehr Binnenmarkt, mehr Investitionen, mehr gleiche Wettbewerbsbedingungen und weniger Bürokratie».
In seiner Dresdner Rede war Macron deutlicher geworden und hatte einen «massiven Investitionsschock» in Europa gefordert. «Verdoppeln wir unseren europäischen Haushalt, entweder über die Größe des Haushalts, oder durch Strategien der gemeinsamen Anleihen, oder durch bereits existierende Instrumente», sagte er. Davon findet sich in dem gemeinsamen Artikel mit Scholz nichts.
Ja zu mehr europäischer Souveränität - aber wie viel genau?
Gemeinsam werde man sich dafür einsetzen, die Souveränität der EU zu stärken und kritische Abhängigkeiten zu reduzieren, schreiben Scholz und Macron weiter. Damit sind vor allem China und die USA gemeint, zwei Länder, gegenüber denen Scholz und Macron einen unterschiedlichen Kurs fahren. Der Kanzler setzt deutlich stärker auf die USA als Macron, wenn es um die europäische Sicherheit geht. Und er steht für eine nicht ganz so harte Gangart gegenüber China wie Macron.
Beide riefen dazu auf, die technologischen Fähigkeiten der EU durch eine Förderung von Spitzenforschung und Innovation sowie der notwendigen Infrastruktur zu stärken. Eine der größten Stärken Europas sei der Binnenmarkt, der es den Unternehmen ermögliche, innovative Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln, zu wachsen und zu konkurrieren und gleichzeitig hohe Standards zu gewährleisten. «Wir müssen seine Vorteile mit einem modernisierten Binnenmarkt in vollem Umfang nutzen, indem wir Fragmentierung und Schranken abbauen, die Vernetzung fördern, Qualifikationen ausbauen sowie Mobilität und Konvergenz vorantreiben.»
Macron: «Wir müssen eine neue Etappe von Europa starten»
Vor dem deutsch-französischen Ministerrat in Meseberg schloss Macron seinen offiziellen Staatsbesuch in Münster ab. Dort wurde er mit dem Internationalen Preis des Westfälischen Friedens gewürdigt und rief in seiner Dankesrede zu mehr Optimismus und Tatendrang in Europa auf. «Als Europäer optimistisch sein heißt, sicher zu sein, dass Europa die richtige Antwort ist.» Dies beziehe sich auf die großen aktuellen Herausforderungen wie den Krieg in der Ukraine, die Klimakrise sowie die Bedrohung der Demokratie. «Wir müssen eine neue Etappe von Europa starten», sagte Macron. Wir sind in Europa zu zerstritten, zu langsam und zu schüchtern, das ist die Realität.»
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier lobte Macron in seiner Laudatio als Motor der europäischen Entwicklung und der deutsch-französischen Freundschaft. «Du bist nicht nur ein Macher, Du bist ein Mutmacher. Wo andere von Grenzen sprechen, da redest Du von Horizonten», sagte Steinmeier. «Dass Frankreich und Deutschland sich heute so nah sind, liegt nicht zuletzt - davon bin ich überzeugt - an Menschen wie Dir. Du bist immer bereit, auf Deutschland zuzugehen, eröffnest die Diskussion, versuchst uns auch hier und da aus der Reserve zu locken.»