Eine Aufholjagd mit gutem Ausgang für die SPD, die seit 1990 in Brandenburg regiert: Sie schlägt die AfD knapp.
22.09.2024 - 19:41:45SPD lässt AfD bei Brandenburg-Wahl hinter sich. Für die Ampel-Parteien Grüne und FDP ist es ein bitterer Abend.
Bei der Landtagswahl in Brandenburg hat sich die SPD von Ministerpräsident Dietmar Woidke knapp gegen die AfD behauptet und ist erneut stärkste Kraft geworden. Nach Hochrechnungen von ARD und ZDF folgen dahinter das neue Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und die CDU. Grüne, Linke, FDP und BVB/Freie Wähler bleiben unter der Fünf-Prozent-Hürde und sind wahrscheinlich nicht im Landtag vertreten.
Woidke könnte damit nach elf Jahren im Amt weiterregieren. Seit der letzten Wahl 2019 führt er eine Koalition mit CDU und Grünen.
Den Hochrechnungen zufolge erreicht die SPD 30,7 bis 31,3 Prozent (2019: 26,2 Prozent). Die AfD, die vom Verfassungsschutz in Brandenburg als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft wird, steigert sich auf 29,5 bis 29,6 Prozent (23,5). Das BSW kommt aus dem Stand auf 12,4 bis 13,1 Prozent. Für die CDU ist es mit 11,9 bis 12,1 Prozent (15,6) das schlechteste Ergebnis in Ostdeutschland seit 1990. Die Grünen verlieren massiv und landen bei 4,6 Prozent (10,8). Die Linke rutscht auf 2,9 bis 3,5 Prozent ab (10,7). BVB/Freie Wähler kommen auf 2,5 bis 2,7 Prozent (5,0), die FDP liegt laut ARD-Hochrechnung bei unter einem Prozent.
Die SPD kommt nach ihrem Zweitstimmenergebnis auf 30 bis 32 Mandate im Landtag (2019: 25), die AfD auf 29 bis 31 (23). Das BSW erhält demnach 12 bis 14 Sitze, die CDU 12 (15). Wenn die Grünen in einem Wahlkreis ein Direktmandat gewinnen, würden sie 5 Sitze (10) erhalten - die Anzahl berechnet sich nach dem Zweitstimmenergebnis. Allerdings deutete sich bei den Grünen nicht an, dass sie das schaffen - ebenso wenig bei Linke, BVB/Freie Wähler oder FDP.
Die Wahlbeteiligung liegt den Hochrechnungen zufolge bei 73 bis 74 Prozent und damit so hoch wie nie seit 1990. 2019 betrug sie 61,3 Prozent.
Brandenburg ist seit 1990 SPD-regiert
Die SPD kann nach zuletzt schlechten Ergebnissen bei der Europawahl und den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen nun etwas aufatmen - auch im Bund. Kanzler Olaf Scholz (SPD) darf auf leichten Rückenwind für die Bundestagswahl in einem Jahr hoffen. Er reagierte zufrieden auf das Ergebnis und will sich erst am Montag ausführlicher äußern. SPD-Chef Lars Klingbeil stellte sich angesichts des Erfolgs hinter Scholz als Kanzlerkandidaten.
Seit der Wiedervereinigung 1990 haben die Sozialdemokraten in Brandenburg durchgängig den Ministerpräsidenten gestellt. Im Wahlkampf hatte der 62-jährige Woidke bewusst nicht auf große gemeinsame Auftritte mit Scholz gesetzt - wohl auch wegen der schlechten Umfragewerte der Berliner Ampel. Zur Wahl aufgerufen waren rund 2,1 Millionen Menschen - es gibt in dem Bundesland weniger Wahlberechtigte als in Berlin.
Schwierige Regierungsbildung
Vor der Wahl hatte Woidke angekündigt, dass er nur dann weiter Regierungsverantwortung tragen will, wenn die SPD stärkste Kraft wird - das hat er nun geschafft. Eine Fortsetzung der Koalition aus SPD, CDU und Grünen ist aber voraussichtlich nicht möglich. Denkbar wäre eine Zweierkoalition aus SPD und BSW oder ein Dreierbündnis aus SPD, CDU und BSW.
Woidke kündigte an, voraussichtlich zuerst mit der CDU über die Bildung einer Regierungskoalition zu sprechen. «Wir haben eine Aufholjagd hingelegt, wie es sie in der Geschichte unseres Landes noch niemals gegeben hat.» Wie so oft in der Geschichte seien es Sozialdemokraten gewesen, «die Extremisten auf ihrem Weg zur Macht gestoppt haben», sagte er mit Blick auf die AfD.
Der Generalsekretär der Bundes-CDU, Carsten Linnemann, sprach von einer «bitteren Niederlage». Woidke habe mit seiner Rücktrittsdrohung alles auf eine Karte gesetzt - und gewonnen. «So sieht Glaubwürdigkeit aus.» Der CDU-Spitzenkandidat Jan Redmann will nach der Wahlschlappe nicht vom Landesvorsitz zurücktreten. «Das wäre das ganz falsche Signal», sagte er.
Linke-Spitzenkandidat Sebastian Walter nannte das Ergebnis seiner Partei «desaströs». Viele Menschen hätten SPD gewählt - «aber nicht aus Überzeugung». Grund sei der aus seiner Sicht «Panikwahlkampf des Ministerpräsidenten» gegen die AfD.
Die AfD hat trotz ihres guten Abschneidens keine Aussicht auf eine Regierungsbeteiligung: Keine andere Partei will mit ihr zusammenarbeiten. Bundesparteichef Tino Chrupalla sagte, man habe das Ziel verpasst, Woidke «in die Rente zu schicken». Doch seien die ostdeutschen Wahlen in Thüringen, Sachsen und jetzt Brandenburg erfolgreich verlaufen: «Wir haben einmal Gold und zweimal Silber geholt.» Das Erstarken der AfD hat zuletzt auch im Ausland Sorgen vor einem Rechtsruck in Deutschland ausgelöst, etwa bei EU- und Nato-Partnern.
Der Zentralrat der Juden äußerte sich besorgt. «Wenn erneut fast ein Drittel der Wähler eine zerstörerische politische Partei wie die AfD an der Macht sehen will und eine populistische Kraft wie das BSW wieder zweistellig wird, dann darf uns das nicht unberührt lassen», sagte Zentralratspräsident Josef Schuster.
Landtag in Potsdam hat maximal 110 Sitze
Eine Besonderheit in Brandenburg, die es in keinem anderen Bundesland gibt, ist die Deckelung der Sitze im Landtag - maximal 110 dürfen es sein. Sollte die AfD bei dieser Wahl mehr Direktmandate gewinnen, als ihr nach dem Zweitstimmenanteil Mandate zustehen, könnte es Experten zufolge dazu kommen, dass die anderen Parteien wegen der Begrenzung der Landtagssitze nicht genug Ausgleichsmandate bekommen.
Sollte die AfD sogar mehr als ein Drittel der Sitze bekommen, hätte sie eine sogenannte Sperrminorität: Bei Entscheidungen und Wahlen, die eine Zweidrittelmehrheit erfordern, müsste sie zustimmen. Verfassungsrichter werden beispielsweise vom Parlament mit Zweidrittelmehrheit gewählt.