In Luxemburg verhandeln die EU-Innenminister über eine Asylreform.
08.06.2023 - 18:48:39Nervenkrimi bei Verhandlungen über EU-Asylreform. Etliche Mitgliedsstaaten fordern, die umstrittenen Pläne nachzubessern. Auch Deutschland ist nicht mit allen Vorschlägen einverstanden.
In den Verhandlungen über eine weitreichende Reform des EU-Asylsystems hat es bis zum Donnerstagabend keine Einigung gegeben. Bei einem Innenministertreffen in Luxemburg forderten etliche EU-Staaten Nachbesserungen an den auf dem Tisch liegenden Vorschlägen. Weil diese in sehr unterschiedliche Richtungen gingen, war bis zuletzt unklar, ob am Ende eine ausreichend große Mehrheit für die Annahmen der Vorschläge zustande kommt. Die Gespräche dauerten am frühen Donnerstagabend noch an.
In einer öffentlichen Sitzung hatten sich zuvor zehn Staaten gemeldet, die weiteren Verhandlungsbedarf sahen. Darunter waren besonders von illegaler Migration betroffene Länder wie Italien, Griechenland und Bulgarien, aber auch Österreich, Ungarn und Polen.
Zum Beispiel Österreich, Italien und Griechenland machten deutlich, dass ihnen ein Teil der vorgesehenen Regeln für einen effizienteren Kampf gegen illegale Migration nicht weit genug geht. Sie forderten insbesondere, dass abgelehnte Asylbewerber grundsätzlich auch in Nicht-EU-Länder abgeschoben werden können sollen. Staaten wie Deutschland wollen dies aber nur dann möglich machen, wenn die betreffenden Personen eine Verbindung zu diesem Land haben. Dies könnte zum Beispiel der Fall sein, wenn sie früher mal in dem Land gelebt oder gearbeitet haben. Ein reiner Transitaufenthalt sollte aus deutscher Sicht nicht ausreichend sein.
Die Bundesregierung setzte sich in den Verhandlungen zudem nachdrücklich dafür ein, dass Familien mit Kindern von den sogenannten Grenzverfahren ausgenommen werden. Um den Durchbruch zu ermöglichen, wurde allerdings laut Diplomaten deutlich gemacht, dass man auch ohne Ausnahmeregelung zustimmen könnte.
Zustimmung aus Rom nötig
Als problematisch galten am Abend vor allem die Vorbehalte von Italien. Die Asylreform ohne Unterstützung der Regierung in Rom auf den Weg zu bringen, gilt als wenig sinnvoll, da in dem Land derzeit die meisten Migranten ankommen und die EU darauf angewiesen ist, dass sich Italien an die neuen Regeln hält.
Über eine Reform des EU-Asylsystems wird seit Jahren gerungen. Nach langen Verhandlungen hatte die derzeitige schwedische EU-Ratspräsidentschaft zuletzt auf Basis von Vorschlägen der EU-Kommission neue Entwürfe für Gesetzestexte vorgelegt. Sie sehen insbesondere einen deutlich rigideren Umgang mit Migranten ohne Bleibeperspektive vor.
So sollen ankommende Menschen aus als sicher geltenden Ländern künftig nach dem Grenzübertritt unter haftähnlichen Bedingungen in streng kontrollierte Aufnahmeeinrichtungen kommen. Dort würde im Normalfall innerhalb von zwölf Wochen geprüft werden, ob der Antragsteller Chancen auf Asyl hat. Wenn nicht, soll er umgehend zurückgeschickt werden. Zudem soll die Überwachung und Abschiebung abgelehnter Asylsuchender erleichtert werden - zum Beispiel, in dem mehr Daten über sie gesammelt und zentral gespeichert werden.
Länder wie Ungarn sind gegen die Pläne
Neben den verschärften Asylverfahren sehen die Vorschläge auch mehr Solidarität mit den stark belasteten Mitgliedstaaten an den EU-Außengrenzen vor. Sie soll künftig nicht mehr freiwillig, sondern verpflichtend sein. Länder, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, würden zu Ausgleichszahlungen gezwungen werden. Länder wie Ungarn stimmten deswegen gegen den Plan.
Von der Pflicht zur Solidarität könnten beispielsweise Länder wie Italien profitieren. Nach Angaben des UN-Flüchtlingskommissariats wurden in Italien in diesem Jahr bereits mehr als 50 000 Migranten registriert, die über das Mittelmeer kamen. Die meisten von ihnen kamen aus Tunesien, Ägypten und Bangladesch und hatten damit so gut wie keine Aussichten auf eine legale Bleibeperspektive.
An der Reform wird bereits seit der Flüchtlingskrise 2015/2016 intensiv gearbeitet. Damals waren Länder wie Griechenland mit einem Massenzustrom an Menschen aus Ländern wie Syrien überfordert und Hunderttausende konnten unregistriert in andere EU-Staaten weiterziehen. Dies hätte eigentlich nicht passieren dürfen, denn nach der sogenannten Dublin-Verordnung sollen Asylbewerber da registriert werden, wo sie die Europäische Union zuerst betreten haben. Dieses Land ist in der Regel auch für den Asylantrag zuständig.
Faeser: «Schengen-Raum in Gefahr»
Faeser warnte in Luxemburg, dass bei einem Scheitern der Reform auch das grenzkontrollfreie Reisen zwischen europäischen Staaten in Frage gestellt werden könnte. «Wenn es heute nicht gelingt, dann ist der Schengen-Raum in Gefahr», sagte sie. Zu befürchten sind ihr zufolge nationalstaatliche kleinteilige Grenzschließungen. Das könnte man unmöglich wollen, sagte sie.
Aus den Reihen der deutschen Grünen kam jedoch weiter Kritik an dem Reformvorschlag. Der Bundestagsabgeordnete Julian Pahlke sagte: «Die Reform schafft keine faire Teilung von Verantwortung, das ist für Staaten wie Italien ein zentrales Problem.» Auch wären die Regelungen zur Verteilung von Geflüchteten wirkungslos, «wenn Staaten sich einfach rauskaufen können und stattdessen Grenzschutz finanzieren». Damit würden «überfüllte Massenlager» zum neuen Standard - dem dürfe Faeser nicht zustimmen. Mit Blick auf Faesers Spitzenkandidatur in Hessen sagte Pahlke, die Bundesinnenministerin müsse das Wohl Flüchtender im Blick haben und nicht die Taktik für ihren Landtagswahlkampf.