Prekariat

Armutsforscher Butterwege: Rettungsschirm für „Allerärmste“ dringend nötig

31.03.2020 - 07:09:06

Der Kölner Armutsforscher und Politologe Christoph Butterwegge kritisiert, dass die milliardenschweren Hilfspakete der Bundesregierung in der Corona-Krise „ganz unten“ kaum ankommen.

Die Regierung habe Rettungspakete für die Unternehmen geschnürt, doch im Kellergeschoss unserer Gesellschaft komme wenig Geld an, sagte der Forscher den RND-Zeitungen („Redaktionsnetzwerk Deutschland“). Seine Einschätzung wird am heutigen Dienstag (31.03.2020) veröffentlicht. Die Corona-Krise betreffe nicht allein die Immunschwachen – auch die Einkommensschwachen müssten fatale Folgen ertragen, so Butterwegge. So hätten mehrere Tafeln schließen müssen. Auch Bettler bekämen nichts mehr: Schließlich seien die Straßen leergefegt, weil die Menschen daheim bleiben müssten und auch von sich aus eine Infektion fürchten würden. Die ohnehin sehr fragile Lebensgrundlage der Ärmsten werde damit vollends zerstört. Der Armutsforscher mahnt an, dass sich ein Sozialstaat gerade in einer nie dagewesenen Krise wie der gegenwärtigen um Bevölkerungsschichten kümmern müsse, die am stärksten benachteiligt seien. Diese Verpflichtung gehe auch aus dem deutschen Grundgesetz hervor. Wenn es für die Allerärmsten, die Obdachlosen, Drogenabhängigen und Bezieher von Transferleistungen keine Rettungsschirme gebe, dürfte es in diesen Personengruppen zu einer Verelendung kommen, die man seit der Nachkriegszeit nicht mehr erlebt habe, so Butterwegge.

Der Forscher warnt eindringlich vor dem beschriebenen Szenario. Gerade im Obdachlosenmilieu mache sich Hoffnungslosigkeit breit, so der Politologe. Ein Vorschlag von ihm lautet, die Regelbedarfssätze für Hartz-IV-Empfänger wegen der Corona-Pandemie zu erhöhen. Butterwegge schlägt mindestens 100 Euro vor. Immerhin seien im gegenwärtig geltenden Satz für alleinstehende Hartz-IV-Bezieher monatlich nur 150 Euro für Lebensmittel (Nahrung und Getränke) enthalten. Davon könne kein Mensch gesund leben – schon unter relativ normalen Bedingungen nicht. Da nun aber Tafeln und Sozialkaufhäuser geschlossen würden, werde es noch schwerer. Eigentlich müssten die Menschen durch Obst und Gemüse ihr Immunsystem stärken, mithin also dieses entweder von der Tafel beziehen, was bislang funktioniert hatte, oder es bei geschlossener Tafel einkaufen. Dazu reiche aber der Hartz-IV-Satz nicht, zumal auch andere günstige Lebensmittel wie Mehl und Nudeln knapp würden: Diese schnappten nämlich die Hamsterkäufer den Hartz-IV-Betroffenen weg. Wenn diesen jetzt keine Aufstockung des Regelbedarfs gewährt werde – zumindest für eine Übergangszeit –, versündige sich der Sozialstaat. Gerade die Einkommensschwächsten dürften nicht fallengelassen werden, so der Armutsforscher.

Aus diesen Beobachtungen leitet Christoph Butterwegge die Forderung ab, den genannten Ernährungszuschlag von 100 Euro pro Monat allen Hartz-IV-Beziehern und ebenso den Empfängern der Grundsicherung wegen Alter und Erwerbsminderung zu zahlen. Geholfen werden solle damit vor allem den Familien mit geringem Einkommen, deren Kinder bislang aus dem Teilhabepaket ein kostenloses Mittagessen in öffentlichen Tageseinrichtungen erhalten hatten. Diese müssten nun daheim verpflegt werden. Das dürfte viele Eltern mit Hartz-IV oder sehr niedrigem Arbeitseinkommen überfordern, so Butterwegge zum „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. Gleichzeitig forderte er eine deutliche Stärkung der sozialen Infrastruktur und eine Verbesserung der medizinischen Behandlung und Gesamtbetreuung von Obdachlosen. Der Politikwissenschaftler verweist in diesem Kontext darauf, dass die kommunalen Sozialdienste systemrelevanter als je zuvor seien, aber für eine unabsehbare Zeit einen gewaltigen Druck verkraften müssten. Das könne zur einer verheerenden Erosion in der gesamten Gesellschaft führen. Diese definiere sich auch über ihren Umgang mit den Ärmsten, so Butterwegge.

 

Redaktion ad-hoc-news.de, A-055824

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