Italiens Ministerpräsident Conte verlangt die ganze Feuerkraft der Europäischen Union
20.04.2020 - 09:56:19Der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte hat sich in der Corona-Krise für eine stärkere europäische Solidarität eingesetzt.
Conte erklärte der "Süddeutschen Zeitung" für ihre am Montag erscheinende Ausgabe, man erlebe gerade die größte Krise seit dem Zweiten Weltkrieg, und daher müsse Europa eine Antwort geben. Nun sei die "ganze Feuerkraft" der EU erforderlich, und zwar in Form der Ausgabe von gemeinsamen Anleihen".
Conte ergänzte, es gehe ihm nicht um die Vergemeinschaftung früherer oder künftiger Schulden, sondern ausschließlich "darum, dass wir alle zusammen" diese außergewöhnliche Anstrengung aufbringen. An diesem Donnerstag wollen sich die europäischen Regierungschefs in einer Videokonferenz beraten und dann über mögliche Auswege aus der sich andeutenden Wirtschaftskrise befinden. Eurobonds, aktuell auch als Corona-Bonds bezeichnet, werden hauptsächlich von Ländern im Süden der Europäischen Union gefordert, die die Corona-Epidemie besonders hart getroffen hat. Zum Beispiel in der Bundesrepublik und in den Niederlanden sind sie aber äußerst umstritten, weshalb Conte starke Kritik an Berlin und Den Haag übte. Man müssen "als Europäer auf Europa blicken", appellierte er. Sein Land habe im Laufe der Geschichte häufig in vorderster Linie gestanden, als es darum gegangen sei, Solidarität mit Ländern zu zeigen, "die im Schutt eines epochalen Geschehnisses lagen", beispielsweise nach dem Zweiten Weltkrieg. Damals habe man auch dabei mitgeholfen, eine Zukunftsvision zu entwerfen. Schließlich habe sich hieraus "das europäische Projekt" gebildet, so Conte. Die Perspektive etwa der deutschen oder der niederländischen Regierung müsse sich "jetzt ändern", verlangte er. Er sei absolut dazu bereit, die Einführung eines derartigen gemeinsamen, seiner Ansicht nach ambitionierten und gerechten Finanzinstruments bis zum Schluß zu fordern. Nur hiermit könne es gelingen, der Welt das starke Zeichen, Europa sei "solide und eins", zu senden.
Der italienische Ministerpräsident argumentierte, dieses Finanzinstrument werde "ganz spezifisch ausgelegt und zeitlich begrenzt" sein. Er klagte, etliche Länder seien ausschließlich auf ihren eigenen Vorteil bedacht. Beispielsweise sei etwa der deutsche Handelsbilanzüberschuss "höher, als es die Spielregeln der EU eigentlich vorsehen". Dieser Überschuss mache Deutschland nicht zur Lokomotive, sondern ganz im Gegenteil zur Bremse Europas. Der ESM, der "europäische Rettungsschirm", habe in Italien einen schlechten Ruf, und zwar zu Recht. Man habe es nicht vergessen, dass Griechenland bei der letzten Finanzkrise Opfer habe bringen müssen, die nicht akzeptabel gewesen seien, um Kredite zu erhalten. Conte selbst sehe den Gebrauch dieses Instruments ebenfalls kritisch, obwohl es für Italien etwa 35 bis 37 Milliarden Euro einbringen könne. Er bezweifle auch, dass die Kredite aus dem europäischen Rettungsschirm letzten Endes wirklich ohne Bedingungen kommen würden. Die Finanzminister der Eurogruppe hatten sich hierauf geeinigt, so dass das Geld allein für Ausgaben zur Sanierung aufgewendet werden würde. Man müsse abwarten, sagte Conte.
Der Ministerpräsident unternahm auch einen Rückblick auf den Beginn der Corona-Epidemie in seinem Land im Februar dieses Jahres. "Italien war allein", stellte er fest. Anstatt Hilfe zu senden, seien im europäischen Norden schnell die alten Klischees im Umgang mit Italien bemüht worden. Als besonders ungerecht empfinde er es, dass immer wieder zwanghaft unterstellt werde, der italienische Staat vergeude Geld. In den letzten 22 Jahren sei es nur ein einziges Mal, nämlich 2009, dazu gekommen, dass eine Regierung seines Landes mehr Geld ausgegeben als es zuvor eingenommen habe. Wenn Italien dennoch jeweils ein Budgetdefizit gehabt habe, dann habe das lediglich an den Zinsen gelegen, die Italien für seine Schulden habe zahlen müssen, erklärte Conte, und die stammten aus einer Zeit, als in Italien noch die Lira gegolten habe. Italien zahle seine Schulde stets pünktlich. Unter Experten sei Italien dafür bekannt, ein sehr verlässlicher Zahler zu sein, "ein exzellenter Zahler", würde er sogar sagen. Des weiteren, und auch das werde immer wieder gern vergessen, sei Italien, genauso wie etwa auch Deutschland, einer der Nettozahler in der Eurpäischen Union. Der Groll, der in großen Teilen der italienischen Bevölkerung gegen Europa gehegt werde, stamme daher, dass ausgerechnet jene Länder zögerten, Europa "groß zu denken" und partnerschaftlich zu handeln, die von Europa den größten Nutzen hätten. Dies gelte auch etwa für die Niederlande, die mit ihrem "Steuerdumping" Tausende von internationalen Großkonzernen ins Land lockten. Hierdurch gebe es in anderen Staaten der EU große Steuerausfälle. Niemand dürfe sich deshalb als Klassenprimus fühlen, "es gibt keinen Klassenprimus". Ein solches Verhalten sei deplatziert, "ganz besonders jetzt".
In Italien sind bislang mehr als 23.000 Menschen an beziehungsweise mit Covid-19 gestorben. Mit radikalen Maßnahmen hat es die italienische Regierung geschafft, einen bevorstehenden Zusammenbruch des Gesundheitssystems zu verhindern. Seit fast zwei Wochen ist die Anzahl belegter Betten in den Intensivstationen der Krankenhäuser des Landes rückläufig und beträgt nun weniger als 3.000. Die höchste Gefahr ist somit zur jetzigen Zeit abgewendet. Der Shutdown wird noch zumindest bis zum vierten Mai andauern. Schon ein wenig früher und nur unter strengsten Auflagen sollen einige Wirtschaftszweige wieder öffnen können. Conte stellte fest, er schlafe in diesen Zeiten nur wenig, die Bürde der Verantwortung laste sehr schwer auf ihm.
Der 55 Jahre alte, parteilose Giuseppe Conte ist Jurist. Seit Juni 2018 ist er der italienische Ministerpräsident, seit 2019 mit einer Koalitionsregierung aus Fünf-Sterne-Bewegung und dem Partito Democratico.
Conte ergänzte, es gehe ihm nicht um die Vergemeinschaftung früherer oder künftiger Schulden, sondern ausschließlich "darum, dass wir alle zusammen" diese außergewöhnliche Anstrengung aufbringen. An diesem Donnerstag wollen sich die europäischen Regierungschefs in einer Videokonferenz beraten und dann über mögliche Auswege aus der sich andeutenden Wirtschaftskrise befinden. Eurobonds, aktuell auch als Corona-Bonds bezeichnet, werden hauptsächlich von Ländern im Süden der Europäischen Union gefordert, die die Corona-Epidemie besonders hart getroffen hat. Zum Beispiel in der Bundesrepublik und in den Niederlanden sind sie aber äußerst umstritten, weshalb Conte starke Kritik an Berlin und Den Haag übte. Man müssen "als Europäer auf Europa blicken", appellierte er. Sein Land habe im Laufe der Geschichte häufig in vorderster Linie gestanden, als es darum gegangen sei, Solidarität mit Ländern zu zeigen, "die im Schutt eines epochalen Geschehnisses lagen", beispielsweise nach dem Zweiten Weltkrieg. Damals habe man auch dabei mitgeholfen, eine Zukunftsvision zu entwerfen. Schließlich habe sich hieraus "das europäische Projekt" gebildet, so Conte. Die Perspektive etwa der deutschen oder der niederländischen Regierung müsse sich "jetzt ändern", verlangte er. Er sei absolut dazu bereit, die Einführung eines derartigen gemeinsamen, seiner Ansicht nach ambitionierten und gerechten Finanzinstruments bis zum Schluß zu fordern. Nur hiermit könne es gelingen, der Welt das starke Zeichen, Europa sei "solide und eins", zu senden.
Der italienische Ministerpräsident argumentierte, dieses Finanzinstrument werde "ganz spezifisch ausgelegt und zeitlich begrenzt" sein. Er klagte, etliche Länder seien ausschließlich auf ihren eigenen Vorteil bedacht. Beispielsweise sei etwa der deutsche Handelsbilanzüberschuss "höher, als es die Spielregeln der EU eigentlich vorsehen". Dieser Überschuss mache Deutschland nicht zur Lokomotive, sondern ganz im Gegenteil zur Bremse Europas. Der ESM, der "europäische Rettungsschirm", habe in Italien einen schlechten Ruf, und zwar zu Recht. Man habe es nicht vergessen, dass Griechenland bei der letzten Finanzkrise Opfer habe bringen müssen, die nicht akzeptabel gewesen seien, um Kredite zu erhalten. Conte selbst sehe den Gebrauch dieses Instruments ebenfalls kritisch, obwohl es für Italien etwa 35 bis 37 Milliarden Euro einbringen könne. Er bezweifle auch, dass die Kredite aus dem europäischen Rettungsschirm letzten Endes wirklich ohne Bedingungen kommen würden. Die Finanzminister der Eurogruppe hatten sich hierauf geeinigt, so dass das Geld allein für Ausgaben zur Sanierung aufgewendet werden würde. Man müsse abwarten, sagte Conte.
Der Ministerpräsident unternahm auch einen Rückblick auf den Beginn der Corona-Epidemie in seinem Land im Februar dieses Jahres. "Italien war allein", stellte er fest. Anstatt Hilfe zu senden, seien im europäischen Norden schnell die alten Klischees im Umgang mit Italien bemüht worden. Als besonders ungerecht empfinde er es, dass immer wieder zwanghaft unterstellt werde, der italienische Staat vergeude Geld. In den letzten 22 Jahren sei es nur ein einziges Mal, nämlich 2009, dazu gekommen, dass eine Regierung seines Landes mehr Geld ausgegeben als es zuvor eingenommen habe. Wenn Italien dennoch jeweils ein Budgetdefizit gehabt habe, dann habe das lediglich an den Zinsen gelegen, die Italien für seine Schulden habe zahlen müssen, erklärte Conte, und die stammten aus einer Zeit, als in Italien noch die Lira gegolten habe. Italien zahle seine Schulde stets pünktlich. Unter Experten sei Italien dafür bekannt, ein sehr verlässlicher Zahler zu sein, "ein exzellenter Zahler", würde er sogar sagen. Des weiteren, und auch das werde immer wieder gern vergessen, sei Italien, genauso wie etwa auch Deutschland, einer der Nettozahler in der Eurpäischen Union. Der Groll, der in großen Teilen der italienischen Bevölkerung gegen Europa gehegt werde, stamme daher, dass ausgerechnet jene Länder zögerten, Europa "groß zu denken" und partnerschaftlich zu handeln, die von Europa den größten Nutzen hätten. Dies gelte auch etwa für die Niederlande, die mit ihrem "Steuerdumping" Tausende von internationalen Großkonzernen ins Land lockten. Hierdurch gebe es in anderen Staaten der EU große Steuerausfälle. Niemand dürfe sich deshalb als Klassenprimus fühlen, "es gibt keinen Klassenprimus". Ein solches Verhalten sei deplatziert, "ganz besonders jetzt".
In Italien sind bislang mehr als 23.000 Menschen an beziehungsweise mit Covid-19 gestorben. Mit radikalen Maßnahmen hat es die italienische Regierung geschafft, einen bevorstehenden Zusammenbruch des Gesundheitssystems zu verhindern. Seit fast zwei Wochen ist die Anzahl belegter Betten in den Intensivstationen der Krankenhäuser des Landes rückläufig und beträgt nun weniger als 3.000. Die höchste Gefahr ist somit zur jetzigen Zeit abgewendet. Der Shutdown wird noch zumindest bis zum vierten Mai andauern. Schon ein wenig früher und nur unter strengsten Auflagen sollen einige Wirtschaftszweige wieder öffnen können. Conte stellte fest, er schlafe in diesen Zeiten nur wenig, die Bürde der Verantwortung laste sehr schwer auf ihm.
Der 55 Jahre alte, parteilose Giuseppe Conte ist Jurist. Seit Juni 2018 ist er der italienische Ministerpräsident, seit 2019 mit einer Koalitionsregierung aus Fünf-Sterne-Bewegung und dem Partito Democratico.
Redaktion ad-hoc-news.de, RSM