In der früheren Sowjetrepublik Moldau hat die proeuropäische Staatschefin Maia Sandu eine beispiellose Attacke demokratiefeindlicher Kräfte auf die Präsidentenwahl beklagt.
21.10.2024 - 06:35:02Moldaus Präsidentin beklagt beispiellose Wahlmanipulation
Kriminelle Gruppen hätten gemeinsam mit einer ausländischen Macht versucht, die Lage in Moldau zu destabilisieren. Die nach einem EU-Beitritt strebende Führung des verarmten Agrarstaats sieht Russland als größte Bedrohung für die Stabilität der Republik. Bei einem parallel zur Wahl abgehaltenen Referendum über die EU-Ambitionen des Landes droht der Staatsführung zudem eine herbe Niederlage, die Moskau begrüßen dürfte.
Es gebe Beweise, dass 300.000 Stimmen gekauft worden seien, sagte Sandu bei einem nächtlichen Auftritt in der Hauptstadt Chisinau. Dutzende Millionen Euro seien ausgegeben worden, um Lügen und Propaganda zu verbreiten. "Wir haben es mit einem beispiellosen Angriff auf die Freiheit und die Demokratie in unserem Land zu tun", wurde Sandu von örtlichen Medien zitiert. Sie wolle das Endergebnis abwarten und dann Entscheidungen treffen.
Prorussische Wählerbestechung aufgedeckt
Details nannte die 52-Jährige nicht. Allerdings hatten moldauische Sicherheitskräfte schon vor dem Urnengang Wählerbestechung und prorussische Desinformation in dem Land mit rund 2,5 Millionen Einwohnern aufgedeckt, das zwischen der von Russland angegriffenen Ukraine und dem EU-Mitgliedstaat Rumänien liegt.
Sandu bewirbt sich um eine zweite Amtszeit. Nach Auszählung von mehr als 96 Prozent der Wahlzettel verfehlte sie mit rund 41 Prozent der Stimmen die absolute Mehrheit und müsste damit in eine Stichwahl in zwei Wochen gehen. Ihr Gegner wird aller Voraussicht nach der frühere Generalstaatsanwalt Alexandru Stoianoglo sein, der rund 27 Prozent der Stimmen erhielt und für die traditionell starke Sozialistische Partei des prorussischen Ex-Präsidenten Igor Dodon antritt. Insgesamt waren elf Bewerber zur Wahl angetreten, darunter einige, die sich für gute Beziehungen zu Russland einsetzen.
EU-Referendum: Nein zur Verfassungsänderung?
Eines der wichtigsten Ziele Sandus ist es, den EU-Kurs des Landes unwiderruflich als strategisches Ziel in der Verfassung festschreiben zu lassen. Beim Referendum über diese Frage schien es nach Auszählung von knapp 97 Prozent der Stimmen, als wenn sich das Volk mit hauchdünner Mehrheit gegen die Verfassungsänderung ausgesprochen hätte. Umfragen hatten eher das Gegenteil erwarten lassen.
Als einflussreicher Akteur in der moldauischen Politik gilt neben Russland der ins Ausland geflüchtete moskautreue Oligarch Ilan Shor, der in seiner Heimat wegen Geldwäsche und Betrug in Abwesenheit zu 15 Jahren Haft verurteilt wurde und zur Fahndung ausgeschrieben ist. Russischen Staatsmedien zufolge warf Shor seiner Rivalin Sandu vor, bei der Wahl gescheitert zu sein - Moldau brauche die EU nicht.
Russland wirft der Europäischen Union vor, mit Milliardenversprechen Einfluss auf die Abstimmung genommen zu haben. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte bei einem Besuch in Chisinau und einem Treffen mit Sandu kurz vor der Abstimmung 1,8 Milliarden Euro an Fördergeld in Aussicht gestellt. Die Finanzspritze soll erklätermaßen vor allem das Wachstum ankurbeln, Arbeitsplätze schaffen sowie Dienstleistungen und Infrastruktur verbessern.
Kritik an Volksabstimmung
Auch am Wahlsonntag gab es teils scharfe Kritik daran, dass Sandu die Präsidentenwahl und das EU-Referendum miteinander verknüpfte. Mehrere Politiker von Parteien aus dem russlandfreundlichen Lager boykottierten das Referendum und sprachen von einem rechtswidrigen Prozess. "Die Gespräche mit der Europäischen Union sollen fortgesetzt werden, doch die Entscheidung über eine Mitgliedschaft in der EU sollten erst nach dem Abschluss dieser Verhandlungen getroffen werden, wenn alle Bedingungen klar sind", sagte Ex-Präsident Dodon. Erst dann sei ein Referendum möglich.
Viele sind mit Sandus Politik unzufrieden
In der russischen Hauptstadt Moskau bildeten sich vor der moldauischen Botschaft lange Schlangen für die Stimmabgabe. Zugleich gab es Beschwerden, dass die Zahl der Wahllokale in Russland gezielt klein gehalten worden sei und nicht genügend Stimmzettel vorhanden seien. Das Außenministerium in Chisinau bezeichnete die Schlangen laut Medien in Moldau als künstliche Inszenierung.
Das Bewerberfeld dürfte auch deshalb so groß gewesen sein, weil viele Menschen mit Sandus Politik unzufrieden sind und seit ihrer Wahl 2020 zu wenig Fortschritte sehen - etwa im immer wieder proklamierten Kampf gegen Korruption. Damals kam Sandu im ersten Wahlgang auf 36,2 Prozent und im zweiten Wahlgang auf 57,7 Prozent der Stimmen. Weil sie einen Verzicht auf russisches Gas durchsetzte, stiegen die Energiepreise, was viele Verbraucher ärgert.
Um Reformen umzusetzen, ist Sandu auf eine Mehrheit im Parlament angewiesen, die sie derzeit noch hat. Der politische Machtkampf in Moldau könnte seinen Höhepunkt bei der Parlamentswahl im kommenden Sommer erreichen. "Für eine starke, politikgestaltende Rolle als Präsidentin ist ein loyaler Premierminister und eine Mehrheit im Parlament notwendig", sagte Expertin Brigitta Triebel von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Chisinau der Deutschen Presse-Agentur. Sie erwartet nicht, dass Russlands versuchte Einflussnahme in Moldau nachlassen wird.