Digitalisierung, Regierung

Digitalisierung 2022: Was können wir von der neuen Regierung erwarten?

25.04.2022 - 07:55:05

 

„Mehr Fortschritt wagen“ – so lautet der Name des Koalitionsvertrags, den die neue Bundesregierung im Jahr 2021 unterschrieben hat. Die Ampel, bestehend aus SPD, FDP und den Grünen, hat sich darin große Ziele gesetzt. Das betrifft auch die Digitalisierung, denn diesbezüglich hinkt Deutschland im internationalen Vergleich hinterher. Dies soll sich zukünftig ändern, wie sich dem Koalitionsvertrag entnehmen lässt. „Deutschland braucht einen umfassenden digitalen Aufbruch“, lautet dort die Formulierung und es wurden verschiedene Punkte festgehalten, wie dieser Aufbruch gelingen soll. Es ist deshalb durchaus interessant, einen genaueren Blick auf die Frage zu werfen, was bezüglich der Digitalisierung im Jahr 2022 und darüber hinaus von der neuen Regierung erwartet werden kann.

 

Digitalisierung in Deutschland – der Status quo

 

Zumindest, wenn es um digitale Technologien geht, kann Deutschland aktuell nicht mehr als führendes Innovationsland bezeichnet werden, wie dies lange Zeit der Fall war. Stattdessen zeigt sich hinsichtlich des Digitalisierungsfortschritts im internationalen Vergleich eine deutliche Tendenz zum Mittelfeld. So lautet jedenfalls das Fazit der ifo-Studie „Benchmarking – Digitalisierung in Deutschland“, die pünktlich zum Regierungsantritt der Ampel veröffentlicht wurde. Nachholbedarf besteht dementsprechend vor allem bei den digitalen Dienstleistungen (auch) in der öffentlichen Verwaltung.

Ebenso fungieren aber viele Unternehmen als Bremsen, wenn es beispielsweise um die digitale Transformation oder Innovationskraft geht, wodurch sie wirtschaftliche Nachteile erfahren. Sie haben die Chancen der Digitalisierung entweder noch nicht erkannt oder schlichtweg bislang nicht genutzt. Prinzipiell bleiben aber auf der gesamten Bandbreite der Digitalisierung noch zahlreiche Chancen ungenutzt, was auch an fehlenden oder einschränkenden rechtlichen Rahmenbedingungen liegt. Die Politik spielt dementsprechend eine wichtige Rolle, wenn die Digitalisierung endlich aktiv vorangetrieben werden soll, um den Rückstand zu anderen Ländern aufzuholen oder – besser noch – eine Führungsrolle einzunehmen.

 

„Best Practices“ als Wegweiser nutzen

 

Nicht nur, aber auch, auf Seiten der Bundesregierung wurde der digitale Fortschritt in den vergangenen Jahren also ein Stück weit verschlafen. Das hatte verschiedene Gründe: Einerseits wurde ihm eine zu geringe Priorität zugewiesen, andererseits mangelte es oftmals am Know-how oder an kreativen Ideen, wie digitale Technologien genutzt werden können. Auch der eher geringe Gründergeist in Deutschland leistete einen Beitrag, was aber nicht bedeutet, dass es keinerlei „Best Practices“ gab. Auch in Deutschland gibt es nämlich eine Reihe an Unternehmen und sogar öffentlichen Einrichtungen, die bezüglich der digitalen Transformation als gutes Vorbild vorangehen und zeigen, wie Technologien genutzt werden können – und sollten.

 Dazu gehört beispielsweise die Polizei, die im „Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs“ bereits festgelegt hat, dass bis zum Jahr 2026 alle Strafakten bei der Justiz sowie Ermittlungsakten bei der Polizei auf die elektronische Form umgestellt werden müssen. Schon jetzt nutzen viele Standorte dafür die VIS-Polizei, ein System zur digitalen Aktenführung und Vorgangsbearbeitung mit zahlreichen Vorteilen für den Arbeitsalltag in einer digitalen Welt. Ebenso gibt es bereits Modellprojekte in mehreren Finanzämtern, um die Digitalisierung weiter auszubauen. Hinzu kommt eine Vielzahl an gewerblichen „Best Practices“, sprich von Unternehmen jeder Art, Größe oder Branche sowie von einigen humanitären Organisationen, die innovative Konzepte rund um die Digitalisierung entworfen oder bereits umgesetzt haben und damit als Vorbilder dienen können. Aufgabe für die neue Bundesregierung ist demnach, solche „Best Practices“ zu ermitteln und als Wegweiser zu nutzen, um die Digitalisierung deutschlandweit voranzutreiben.

 

Die Pläne und Ziele im Koalitionsvertrag

 
An Benchmarks mangelt es also nicht, wenn es um die Digitalisierung in Deutschland geht, und ebenso wenig an Plänen der Ampel. Im Koalitionsvertrag wurden jedenfalls zahlreiche Ziele sowie Strategien definiert, um die digitale Transformation voranzutreiben und somit die in den vergangenen Jahren entstandenen Lücken zu schließen. „Wir wollen das Potenzial der Digitalisierung für die Entfaltungsmöglichkeiten der Menschen, für Wohlstand, Freiheit, soziale Teilhabe und Nachhaltigkeit nutzen“, so lautet das im Koalitionsvertrag definierte Ziel. Dieses will die neue Bundesregierung erreichen, indem folgende Pläne im Jahr 2022 sowie darüber hinaus in Angriff genommen werden:
  • Grundlegende Maßnahmen

Um die Weichen für eine umfassende Digitalisierung zu stellen, plant die Regierung die Einführung eines zentralen sowie zusätzlichen Digitalbudgets. In diesem Zuge soll auch eine Überprüfung der Gesetze gemäß „Digitalisierungscheck“ stattfinden, damit diese eventuell notwendigen Maßnahmen nicht mehr länger im Weg stehen. Weiterhin ist eine Digitalisierung der Verwaltung geplant, die sich vordergründig an den Wünschen sowie Bedürfnissen der Bürger orientiert. Für sie sollen entsprechende Angelegenheiten also einfacher werden, während sie auf staatlicher Seite weniger Bürokratie erfordern. Das bedeutet zugleich eine Automatisierung durch digitale Technologien, wo immer diese möglich und sinnvoll ist.

  • Maßnahmen im Bereich digitale Infrastruktur

Der stockende Ausbau des Glasfasernetzes gehört zu den größten Problemen der Digitalisierung in Deutschland – und soll daher von der Ampel endlich gelöst werden. Sie plant dafür eine flächendeckende Versorgung mit Glasfaser auf der einen, aber auch dem neuesten Mobilfunkstandard auf der anderen Seite. Begonnen wird damit vor allem in den sogenannten „weißen Flecken“, sprich dort, wo bislang die größten Lücken herrschen. Der Fokus liegt dementsprechend vor allem auf der Schnelligkeit, aber auch auf der Verschlankung von Verfahren, die beispielsweise im Rahmen der Anträge oder Genehmigungen anfallen. Weiterhin sollen der Verbraucherschutz und die Normierung in diesem Bereich vorangetrieben werden.

  • Maßnahmen im Bereich digitale Wirtschaft

Um die Wirtschaft zu stärken und Wettbewerbsnachteile durch die fehlende Digitalisierung auszuräumen, plant die Ampel europäisch einheitliche Interoperabilitätsverpflichtungen sowie Regelungen zur Fusionskontrolle. Ziel ist zudem, durch eine gezielte Förderung mehr Startups im digitalen Sektor hervorzubringen sowie Deutschland als Games-Standort zu stärken. Eine weitere wichtige Maßnahme soll sein, kleine und mittelständische Unternehmen bei ihrer Digitalisierung besser zu fördern, wenn es beispielsweise um die Umsetzung der DSGVO geht, weil es dort noch besonders häufig zu Problemen kommt – um nur einen von vielen Punkten aus dem Maßnahmenkatalog zu nennen.

  • Maßnahmen im Bereich digitale Schlüsseltechnologien

Durch gezielte Investitionen in Schlüsseltechnologien wie die Künstliche Intelligenz möchte sich die Regierung den Weg zum Vorreiter bahnen, wenn es um digitale Technologien geht. Deutschland soll zu einem starken Technologiestandort ausgebaut werden, um den Wohlstand der Bevölkerung langfristig zu sichern. Dafür werden neben finanziellen auch rechtliche Maßnahmen umgesetzt, um den notwendigen Rahmen zu kreieren; und digitale Innovationen sollen ihren Weg in die Verwaltung finden.

Im Koalitionsvertrag sind zudem zahlreiche weitere Maßnahmen sowie Ziele definiert, welche beispielsweise die Bereiche digitaler Staat, digitale Verwaltung, IT-Sicherheit, digitale Bürgerrechte, Daten, Datenschutz und Datenrecht, digitale Gesellschaft sowie Nachhaltigkeit in der Digitalisierung betreffen. In der Theorie plant die neue Bundesregierung demnach eine ganze Reihe an Maßnahmen, welche die digitale Transformation in Deutschland durchaus vorantreiben könnten. Allerdings steht die Frage im Raum, ob diese tatsächlich umgesetzt werden – und wann.

 

Experteneinschätzungen: Welche Erwartungen sind realistisch?

 

Diesbezüglich gehen die Meinungen von Experten stark auseinander. Fakt ist, dass der umfassende Maßnahmenkatalog ein erster Schritt in die richtige Richtung ist, um der Digitalisierung endlich Priorität sowie einen konkreten „Fahrplan“ zu geben. Allerdings ist die Mehrheit der Deutschen skeptisch, ob es tatsächlich zu der notwendigen Trendwende im digitalen Bereich kommen wird. Bezweifelt werden einerseits die Kompetenzen der zuständigen Politiker und andererseits, dass der internationale Rückstand überhaupt noch eingeholt werden kann. Doch vor allem die Unternehmen machen Druck, denn sie müssen durch einen zu langsamen oder gänzlich fehlenden Fortschritt der digitalen Transformation im globalisierten Markt erhebliche Wettbewerbsnachteile befürchten. Führungskräfte präsentieren sich dementsprechend optimistischer, wenn es um ihre Erwartungshaltung an die Ampelkoalition geht.

Schlussendlich muss wohl abgewartet werden, ob die neue Regierung ihre Ziele, die sie im Koalitionsvertrag verankert hat, tatsächlich erreichen wird und wann. Nach wenigen Monaten lassen sich jedenfalls noch keine allzu großen Fortschritte erkennen, zumal der Fokus vor allem auf aktuellen Krisensituationen liegt und weniger auf der Digitalisierung. Das sollte sich jedoch bald ändern, ansonsten drohen schon in naher Zukunft weitere – vor allem wirtschaftliche – Probleme, welche die Regierung vor noch größere Herausforderungen stellen könnte. Es ist deshalb richtig und wichtig, dass vor allem die Unternehmen zunehmend Druck ausüben, wenn es um digitale Belange geht, um international nicht endgültig abgehängt zu werden.

Bildquelle:  Quelle: @Adobe Stock, Robert Kneschke, #324860391

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