Nachhaltigkeit, Weltkongress

Wie lassen sich Städte nachhaltiger gestalten? Dieser Frage will der Weltkongress der Architekten in den kommenden Tagen in Kopenhagen nachgehen.

30.06.2023 - 12:09:02

«Gesund bauen»: Wie nachhaltig kann Architektur sein?. Die dänische Hauptstadt macht vor, wie es gehen kann.

Kopenhagen gilt nicht umsonst als eine der lebenswertesten Städte der Erde. Täglich radeln die Einwohnerinnen und Einwohner der dänischen Hauptstadt im zufriedenen Kollektiv zur Arbeit, zum Feierabend bieten dann kostenlose Hafenbäder Gelegenheit zur Abkühlung. Die innovative Stadtarchitektur ist dabei ein stetiger, nicht zu unterschätzender Begleiter: Mit Brücken in Schiffsform, Spielplätzen auf Parkhausdächern und grünen Oasen in jeder Nachbarschaft bereitet sie die Bühne für Kopenhagens außergewöhnlich hohe Lebensqualität, von der sich auch Millionen Touristen jedes Jahr aufs Neue so gerne begeistern lassen.

Diese Stadt bietet nun die passende Kulisse für das wichtigste Treffen der internationalen Architektenszene: Ab Sonntag findet der 28. Weltkongress des Internationalen Architektenverbandes UIA in Kopenhagen statt, das in dem Rahmen in diesem Jahr auch den Titel der Welthauptstadt der Architektur tragen darf.

Kernthema Nachhaltigkeit

Im Zentrum des nur alle drei Jahre stattfindenden und bis Donnerstag laufenden Kongresses steht das Kernthema Nachhaltigkeit. «Nachhaltige Zukunft - Niemanden zurücklassen» ist das Motto der Veranstaltung. Die sechs Kongressthemen - Klimaanpassung, ein Umdenken beim Ressourcenverbrauch, widerstandsfähige Gemeinschaften, Gesundheit, Inklusion und Partnerschaften für Veränderung - orientieren sich allesamt an den 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen.

Auch die Rednerliste spiegelt wider, worum es bei dem Kongress vor allem gehen soll: Neben weltbekannten Architektinnen und Architekten wie den Dänen Bjarke Ingels und Jan Gehl oder der Pakistanerin Yasmeen Lari sind auch Nachhaltigkeitsexperten wie der Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber unter den Hauptrednern. Insgesamt werden Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus über 135 Ländern erwartet.

Die Organisatoren hoffen, dass der Weltkongress zu einem Impulsgeber wird, um das Vorgehen in der Architektur neu zu definieren. «Das übergeordnete Ziel besteht darin, eine Stadt zu schaffen, die inklusiv, gesund und nachhaltig ist», betont Mette Lindberg, die Geschäftsführerin des Kongresses. Es gehe darum, eine Zukunft aufzubauen, in der die planetarischen Grenzen ebenso Kern jedes Projekts sind wie das Einbeziehen der Menschen und die Artenvielfalt.

Vorbild Kopenhagen

Dabei machen die Veranstalter kein Geheimnis daraus, dass der Weg zur nachhaltigen Stadt von morgen noch weit ist. Helfen sollen dabei die Erfahrungen der Gastgeberstadt. Kopenhagen gilt nicht nur beim Kampf gegen klimaschädliche Emissionen, sondern auch bei der innovativen Entwicklung einer menschen- und radfreundlicheren Stadt als internationales Vorbild.

«Kopenhagen ist seit 30 Jahren führend bei dem Experiment, wie man nachhaltiger bauen und leben kann», sagt Stadtarchitektin Camilla van Deurs. Mit einer umfassenden Strategie und Hunderten Projekten habe sich das Erscheinungsbild der Stadt radikal von grau zu grün und blau gewandelt, unter anderem mit Gebäuden, die mehrere Funktionen auf einmal erfüllen - vom Parkhaus über den Energiespeicher bis zum öffentlichen Spielplatz auf dem Dach.

«Diese Multifunktionalität ist sehr typisch für die Art und Weise, wie wir in Kopenhagen über Nachhaltigkeit nachdenken», sagt van Deurs. «Alles, was wir tun, stellt vielleicht zunächst ein technisches Problem dar - aber die Lösung landet direkt im Alltag der Menschen.» Dabei gehe es am Ende darum, dass die Menschen ein angenehmes, nachhaltiges Leben führen könnten - die Schönheit der Stadt, Design und Architektur trügen dazu ihren Teil bei.

All dies will Kopenhagen nun der Welt zeigen - doch die Inspiration soll keine Einbahnstraße sein. «Auch wir haben definitiv nicht all die Antworten parat», räumt van Deurs ein. Auf dem Kongress wolle man daher auch vom Rest der Welt lernen und sich gemeinsam auf die Reise in eine nachhaltigere Zukunft begeben, die konform mit den Pariser Klimazielen ist. «Wir wollen zeigen: Ein nachhaltigeres Leben kann tatsächlich ein besseres Leben sein», sagt sie.

Bausektor muss klimafreundlicher werden

Architekten stehen in Zeiten der Klimakrise vor einer doppelten Herausforderung: Zum einen müssen Bauwerke und Städte an eine Realität mit häufigeren und heftigeren Extremwetterereignissen angepasst sein, zum anderen muss der Bausektor an sich viel klimafreundlicher werden. Global betrachtet gehen fast 40 Prozent der CO2-Emissionen auf sein Konto, und Rohmaterialien werden noch immer in nicht-nachhaltigen Mengen verbraucht. In der EU ist der Sektor für 60 Prozent des Abfallaufkommens, 40 Prozent des Energie- und 50 Prozent des Ressourcenverbrauchs verantwortlich, wie die Architekturprofessorin Natalie Essig von der Hochschule München sagt.

Manche wünschen sich angesichts dieses immensen Fußabdrucks ein Umdenken in der Branche. Statt auf den geldbringenden Neubau müsse man sich vielmehr auf das Erhalten und Bewahren bestehender Gebäude fokussieren, sagt Nachhaltigkeitsexpertin Essig. «Eigentlich dürften wir gar nicht mehr bauen, wir müssten uns stattdessen auf den Bestand konzentrieren und lernen, mit ihm kreativ und nachhaltig umzugehen.»

Materialien würden heute nur aus ästhetischen, nicht aber aus Nachhaltigkeitsaspekten betrachtet, sagt Essig. Dabei sei ein Gebäude immer auch eine wertvolle Ressource. «Und da ist dann die Kreativität des Architekten gefragt, das, was schon da ist, im Sinne der Nachhaltigkeit zu nutzen, umzubauen, aufzustocken und zu sanieren.» Ästhetik und Nachhaltigkeit ließen sich ohne Weiteres miteinander verbinden - letztlich gehe es dabei um ein «gesundes Bauen».

Jungen Architekten gibt Essig mit auf den Weg, dass sie keine Angst vor dem Thema Nachhaltigkeit haben sollten. «Wir können mutiger und nachhaltiger bauen, das müssen wir uns nur trauen.» Das sei vielleicht auch etwas, das man in Deutschland von Kopenhagen lernen könne: Weniger diskutieren und sich mehr trauen. «Viele Sachen werden dort anders gedacht, auch liberaler und nicht zu verkompliziert. Ich glaube, das macht Kopenhagen aus», sagt sie.

@ dpa.de