Mithalten, Alkohol

Im Durchschnitt trinken Frauen weniger Alkohol als Männer.

04.02.2024 - 04:17:54

Mithalten beim Alkohol: Mehr Frauen mit riskantem Konsum. Bei jungen Menschen aber ändert sich das: Frauen holen auf.

Alkoholabhängigkeit gilt in Deutschland eher als Männer-Problem. Generell greifen Männer Statistiken zufolge häufiger zur Flasche als Frauen. Sie trinken sich öfter einen Rausch an und konsumieren Alkohol häufiger in riskanten Mengen. Lange Zeit war das die Regel. Nun aber ändert es sich: Junge Frauen haben gleichaltrige Männer beim riskanten Alkoholkonsum eingeholt. 

Der riskante Alkoholkonsum bei Frauen zwischen 18 und 25 Jahren nimmt seit 2015 zu, wie es im Alkoholsurvey aus dem Jahr 2022 heißt, der von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) herausgegeben wird. Immer mehr junge Frauen trinken demnach jeden Tag Alkohol in einer Menge, die mehr als einem Glas Sekt oder einem kleinen Glas Bier entspricht. Bei einer repräsentativen Umfrage der BZgA im Jahr 2021 gaben 16,4 Prozent der jungen Frauen und 16,9 Prozent der jungen Männer an, in den vergangenen zwölf Monaten Alkohol in gesundheitlich riskanten Mengen getrunken zu haben. Bei Männern entspricht das mehr als zwei Gläsern Sekt oder zwei kleinen Gläsern Bier pro Tag.

Woher kommt der Trend?

«Junge Menschen werden bei uns zum Glück in einer Welt groß, wo jungen Frauen die gleichen Möglichkeiten und auch die gleichen Risiken offenstehen wie jungen Männern», sagt der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie, Falk Kiefer. «Dementsprechend ist es naheliegend, dass sich das Trinkverhalten angleicht.» Das Phänomen ist also auch eine Folge der Emanzipation.

Hochrechnungen zufolge trinken in Deutschland rund 7,9 Millionen Menschen zwischen 18 und 64 Jahren Alkohol in riskanter Weise, wie die Deutsche Hauptstelle Suchtfragen (DHS) vergangenes Jahr in ihrem «Jahrbuch Sucht» berichtete. Rund 4,1 Millionen davon sind Männer, 3,8 Millionen Frauen. Laut dem «Alkoholatlas Deutschland 2022», der vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) herausgegeben wurde, sind es bei den Frauen allen voran die jungen, die einen riskanten Alkoholkonsum haben.

Suchthilfe

Suchthilfeeinrichtungen in Deutschland müssten sich an diese Entwicklung anpassen, sagt Kiefer. «Wir haben aktuell immer noch eine große Überzahl an Männern in der Suchthilfe», so der Suchtexperte, der Ärztlicher Direktor am Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim ist. Dementsprechend richte sich das Angebot vor allem nach den männlichen Patienten. Grundsätzlich brauchen Frauen aus seiner Sicht keine anderen Therapien. Allerdings müsse in Gesprächsgruppen ein gleichberechtigter Austausch ermöglicht werden. Angebote speziell für alkoholkranke Frauen seien daher sinnvoll und notwendig.

Davon ist auch Stephanie Krüger überzeugt, die an zwei Einrichtungen der Berliner Vivantes Kliniken die Abteilung für seelische Gesundheit leitet.  Beide Häuser führen ein Zentrum für Seelische Frauengesundheit, das auf Diagnostik und Therapie weiblicher psychischer Beschwerden und Erkrankungen spezialisiert ist. Auch sie glaubt, dass das veränderte Trinkverhalten mit gesellschaftlichen Veränderungen zusammenhängt: «Frauen wollen nicht hinten anstehen, sie wollen überall mithalten. Und dann sagen sie eben auch mal: Dann lass ich mich halt volllaufen, das kann ich genauso gut», sagt die Psychiaterin. 

Frauen und Alkohol in der Gesellschaft

Trotzdem sei es bei Frauen nach wie vor sozial weniger akzeptiert, Alkohol zu trinken, sagt Krüger. «Eine in der Öffentlichkeit trinkende Frau, eine rauchende Frau oder eine, die sich völlig enthemmt verhält, wird viel eher stigmatisiert als ein Mann und wird auch heute noch sozial geächtet.» Der Psychiaterin zufolge trinken Frauen deswegen viel öfter heimlich als Männer. In ihren Einrichtungen blieben Frauen in allen Gesprächsrunden unter sich: «Da herrscht mehr Offenheit und die zugrunde liegenden Probleme werden besser verstanden, weil andere Frauen sich damit auch identifizieren können.»

Für Frauen zwischen 18 und 24 Jahren gebe es eine Spezialsprechstunde, in der sie «geschützt und vorurteilsfrei» sprechen könnten. Bislang könne sie zwar nicht erkennen, dass das veränderte Trinkverhalten zu einem Anstieg von psychischen Folgeerkrankungen führe, sagt Krüger. Allerdings steige die Zahl der Frauen, die im berauschten Zustand in der Rettungsstelle landen. «Wir haben häufig gerade bei jungen Frauen schwere Intoxikationen mit diversen Substanzen, unter anderem auch Alkohol in der Rettungsstelle.» Manche hätten bis zu drei oder vier Promille intus. 

Die Psychiaterin meint, dass bei der Entwicklung auch andere Faktoren eine Rolle spielten. Viele junge Frauen fühlten sich unter Druck gesetzt, etwa durch Schönheitsideale, die in den sozialen Medien verbreitet würden. «Ich kann mir vorstellen, dass dieser Druck dazu führt, dass man sich Entlastung in Form von Alkohol und Drogen verschafft und im Rausch gerne vergessen möchte, dass man geghostet oder gemobbt wurde.» Ghosting bezeichnet einen plötzlichen Kontaktabbruch. Umso wichtiger sei es, bei jungen Frauen besonders gut hinzuschauen: «Es ist ein Alter, in dem sich seelische Erkrankungen häufig das erste Mal manifestieren.» Alkohol könne das begünstigen oder verschlimmern. 

Alkoholkonsum in Deutschland

Auch wenn der Alkoholkonsum in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten der DHS zufolge insgesamt gesunken ist, trinken die Deutschen im europäischen Vergleich immer noch viel. Das hat Folgen: Jährlich lassen sich laut Alkoholatlas etwa 20.000 Krebsneuerkrankungen auf Alkoholkonsum zurückführen. Schätzungsweise mehr als 8000 Menschen sterben an einer alkoholbedingten Krebserkrankung. An einer ausschließlich durch Alkohol bedingten Krankheit starben demnach im Jahr 2020 rund 14.200 Menschen. 

Suchtexperte Kiefer geht davon aus, dass sich der gestiegene Alkoholkonsum bei Frauen im Laufe der Zeit durch alle Generationen durchsetzt. Sehr wahrscheinlich werde dadurch auch die Zahl der alkoholabhängigen Frauen steigen. Wer in jungem Alter damit anfange, jeden Tag Alkohol zu trinken, erhöhe mit der Zeit die Dosis.  

@ dpa.de