Europameister, Keime

Europameister der Keime: Jedes zweite Lidl-Hühnerfleisch mit antibiotikaresistenten Krankheitserregern

18.06.2024 - 09:00:19

Europameister der Keime: Jedes zweite Lidl-Hühnerfleisch mit antibiotikaresistenten Krankheitserregern. Berlin - Eine europaweite Untersuchung ergab, dass Hühnerfleisch beim EM-Sponsor Lidl besorgniserregend oft mit antibiotikaresistenten und anderen Krankheitserregern belastet ist. Auf jeder zweiten Probe befanden sich Bakterien, die gegen eines oder mehrere Antibiotika immun sind. Daneben tummeln sich Fäkalkeime und Durchfallerreger auf der Mehrheit der Proben. Für Kinder, Ältere und Kranke können diese Keime extrem gefährlich werden. Das sind nicht nur schlechte Neuigkeiten für alle Grillfans, sondern ist auch ein beschämendes Ergebnis für den größten Discounter-Konzern Europas. Der Spiegel berichtete am Montag (17. Juni) über die Funde.

"Die Ergebnisse der mikrobiologischen Untersuchung von Lidl-Fleisch sollten uns alle wachrütteln. Der Ball liegt jetzt bei Lidl: Es wäre verantwortungslos, einfach weiterzumachen wie bisher. Lidl muss die Ursache für die hohe Zahl antibiotikaresistenter und sonstiger Krankheitserreger auf Fleisch angehen und für eine flächendeckend bessere Hühnerhaltung bei seinen Lieferanten sorgen", kommentiert Mahi Klosterhalfen, Präsident der Albert Schweitzer Stiftung.

Insgesamt wurden 142 Eigenmarkenprodukte aus 22 Lidl-Filialen in Deutschland, Italien, Spanien, Großbritannien und Polen durch ein unabhängiges Labor in Deutschland mikrobiologisch geprüft. Die Untersuchung haben die Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt, Animal Welfare Observatory, Essere Animali, Open Cages, die Fundacja Alberta Schweitzera und Otwarte Klatki in Auftrag gegeben. Der Fokus lag auf den wichtigsten Bakterien im Zusammenhang mit Lebensmittelinfektionen. Die Ergebnisse:

Alle Proben wurden zwischen Dezember 2023 und März 2024 gekauft. Die Kühlkette wurde dabei streng überwacht und eingehalten. Die Proben aus Deutschland - Steaks, Schenkel, Keulen, Flügel und Schnitzel - stammten alle von der Lidl-Eigenmarke "Metzgerfrisch" und aus Haltungsform 2 ("Stallhaltung Plus"). Sie wurden in Lidl-Filialen in Berlin, Oldenburg, Duisburg und Koblenz gekauft.

Hier finden Sie die Ergebnisse der Untersuchung im Überblick.

Gefährliche Krankheitserreger aus dem Stall

Die Herkunft solcher Keime liegt, so Expert:innen, zu einem großen Teil in der Massentierhaltung. Zahlreiche Videoaufnahmen aus den Ställen europäischer Lidl-Lieferanten belegen, unter welchen katastrophalen Bedingungen Hühner (und auch Schweine) für Lidl gemästet werden: Tausende überzüchtete und kranke Tiere vegetieren in zugekoteten Ställen und zwischen toten Artgenoss:innen vor sich hin - ein Paradies für Krankheitserreger. Ist ein Tier erkrankt, erhalten alle, meist mehrere Tausend Tiere, in den sehr großen Ställen Antibiotika. Das fördert die Entstehung resistenter Bakterien.

"Man darf nicht vergessen, dass Antibiotika seit Jahrzehnten in der Landwirtschaft missbräuchlich eingesetzt werden. Völlig gesunden Tieren werden Antibiotika verabreicht, die sie eigentlich nicht brauchen. Und dass nur, um qualgezüchtete Tiere in überfüllten Ställen profitabel halten zu können", erklärt Dr. Rupert Ebner, Tierarzt und ehemaliger Vizepräsident der Bayerischen Landestierärztekammer.

Geringere Besatzdichten, kleinere Gruppen und gesündere Zuchtlinien könnten den Einsatz von Antibiotika und das Risiko für Krankheitserreger dagegen senken. Allein durch den Umstieg auf langsamer wachsende Rassen konnten die Niederlande den Antibiotikaeinsatz in der Hühnermast um 40 % verringern.

Reinhild Benning, Landwirtin und Agrarexpertin der Deutschen Umwelthilfe, bringt es auf den Punkt: "Zeigen Sie Keimfleisch die rote Karte: Wer ein kolossales Eigentor in Sachen Gesundheit vermeiden will, zeigt Fleisch aus Massentierhaltung wie zum Beispiel Hähnchen von Lidl aus den untersten Haltungsstufen die rote Karte."

Antibiotikaresistenzen: Die "stille Pandemie"

Antibiotikaresistenzen zählen zu den zehn häufigsten Todesursachen weltweit. Weltweit sterben jedes Jahr etwa fünf Millionen Menschen mit und davon 1,27 Millionen an antibiotikaresistenten Bakterien, schätzen Expert:innen. In Deutschland sind es jährlich 45.700 Todesfälle, die im Zusammenhang mit resistenten Keimen stehen, und weitere 9.650, die direkt darauf zurückzuführen sind.

"Meinen Patient:innen würde ich vom Kauf dieser Lidl-Hühnerfleisch-Produkte abraten", so Dr. Imke Lührs, Fachärztin für innere Medizin und ehemalige Sachverständige im Bundestag, Mitglied im Vorstand "Ärzte gegen Massentierhaltung". "Die Untersuchung zeigt, dass das Fleisch mit zahlreichen potentiellen Krankheitserregern belastet ist. Auch wenn diese in der Regel nicht sofort krank machen, bleibt das Risiko, dass die Keime bei unsachgemäßer Zubereitung auf den Menschen übergehen. Im Falle unglücklicher Umstände - Vorerkrankung, Antibiotikagabe aus anderen Gründen, eine Verletzung oder Operation - können sie zu einer ernsthaften gesundheitlichen Bedrohung werden."

So sieht es auch Martin Eikenberg, Facharzt für Hygiene und Umweltmedizin und Direktor am Institut für Allgemeine Hygiene, Krankenhaushygiene und Umwelthygiene in Bremen: "Es wird ohne Warnhinweise in den Kühlregalen der Supermärkte Geflügelfleisch mit resistenten Bakterien angeboten, bei deren Nachweis im Krankenhaus entweder immer oder in bestimmten Risikobereichen aufwändige Hygienemaßnahmen durchgeführt werden müssen. Diese Maßnahmen kosten Zeit, Geld und schränken die betroffenen Patient:innen durch z. B. Isolationsmaßnahmen erheblich ein. Bei Infektionen müssen diese Patient:innen aufgrund der Resistenzen mit schlechteren und teureren Therapien und ungünstigeren Krankheitsverläufen rechnen. Das Gesundheitssystem und die Patient:innen zahlen damit praktisch für das billige Fleisch einen hohen Preis."

Um sich zuverlässig vor Bakterien auf dem Fleisch zu schützen, müssten Verbraucher:innen Hygieneregeln wie im OP-Saal beachten. Das machen jedoch die wenigsten, auch wenn sie sich der Gefahr durchaus bewusst sind. Insbesondere beim Grillen, so wie jetzt im EM-Sommer, können Kühlketten und Hygieneregeln selten akribisch eingehalten werden. Davon abgesehen gelangen antibiotikaresistente Krankheitserreger auch aus den Ställen in die Umgebung, zum Beispiel in Gewässer, den Boden oder auf Gemüse.

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