Nach zwei Wochen trennten Jonas Vingegaard und Tadej Pogacar bei der Tour de France nur zehn Sekunden.
16.07.2023 - 18:25:51Sekunden-Kampf am Mont Blanc: Vingegaard behauptet Führung. Auch nach zwei Etappen in den Alpen ist kaum erkennbar, wer stärker ist.
Jonas Vingegaard folgte den wilden Attacken von Tadej Pogacar ohne Mühe, am Ende rollten die Hauptdarsteller im Schatten des mächtigen Mont Blanc Schulter an Schulter über den Zielstrich.
«Das war ein Unentschieden. Keiner konnte den anderen abhängen. Aber es war ein guter Tag», sagte Titelverteidiger Vingegaard nach der 15. Etappe der Tour de France. Dreimal versuchte es Verfolger Pogacar bei der Bergankunft in Saint-Gervais mit explosiven Antritten, doch der Däne im Gelben Trikot bewies Stärke. Nach zwei Dritteln der Tour trennt das Duo nur zehn Sekunden.
Pogacar sieht den Rückstand, der sich beim Zeitfahren am Dienstag auf jeden Fall ändern sollte, als Vorteil. «Ich bin sehr froh über die zehn Sekunden. So kann ich aggressiver sein und attackieren und muss nicht passiv sein», sagte der Slowene. Den Etappensieg bei der letzten Bergankunft der diesjährigen Tour sicherte sich Ausreißer Wout Poels als Solist, hinter dem Niederländer rollte der Belgier Wout van Aert als Zweiter über den Zielstrich.
Pogacar-Angriff erfolglos
Der Fokus lag jedoch auf dem Sekunden-Thriller zwischen Vingegaard und Pogacar. Am sieben Kilometer langen Schlussanstieg lauerte Vingegaard auf die Attacke seines Rivalen, doch der ließ sich lange nicht locken. Erst einen Kilometer vor dem Ziel kam der erste Antritt, doch im Gegensatz zu den vergangenen Angriffen konnte sich Pogacar nicht lösen. Einer zweiten Beschleunigung folgte Vingegaard sogar im Sitzen. Dritter bleibt der Spanier Carlos Rodriguez, Bora-Kapitän Jai Hindley fiel auf Platz fünf zurück.
Dessen Helfer Emanuel Buchmann stürzte am Sonntag in einer Abfahrt, setzte das Rennen aber fort. «Ich habe ein paar Schürfwunden. Der Sturz war nicht allzu schlimm, aber das ist immer ärgerlich. Der Plan ist gewesen, länger bei Jai am Berg zu bleiben. Das war dann nicht mehr möglich», sagte Buchmann. Hindley selbst war am Samstag zu Fall gekommen und litt offenbar auch einen Tag später unter den Folgen. Statt ganz nach vorn zu schauen, rückt für den Australier das Podium immer weiter weg.
Womöglich hätte Pogacar am Samstag die Führung übernehmen können. Auf dem Weg nach Morzine wirkte der zweimalige Champion am letzten Anstieg, den gefürchteten Col de Joux Plane, wie der stärkere Fahrer. Als er gut 500 Meter vor dem Pass eine Attacke startete, blockierten ein TV- und ein Fotografen-Motorrad die schmale Straße und Pogacar musste bremsen. Zwar spielte er den Vorfall im Ziel herunter, räumte jedoch ein, unnötig Kraft verschwendet zu haben. Den Sprint um die Bonussekunden auf der Passhöhe verlor er gegen Vingegaard.
Die Tour belegte beide Motorradcrews mit einer Sperre für die Etappe am Sonntag und jeweils 500 Schweizer Franken (rund 515 Euro) Strafe. Der Fotograf bat um Entschuldigung. «Ich werde das Unhaltbare nicht verteidigen. Wir sollten nicht in dieser Situation sein. Ich hätte meinen Biker bitten sollen, mich schneller und früher zu distanzieren», sagte Bernard Papon, ein Mitarbeiter der französischen Sportzeitung «L'Équipe». Den Vorfall erklärte er mit den vielen Zuschauern am Berg.
Zuschauer sorgt für Negativ-Highlight
Ein Fan stand auf dem Weg nach Saint-Gervais im Mittelpunkt. Etwa 128 Kilometer vor dem Ziel stand er zu weit auf der Straße und hielt seinen Arm heraus, mit dem er offenbar ein Smartphone hielt. Der an der Spitze des Feldes fahrende US-Amerikaner Sepp Kuss touchierte den Arm, stürzte und riss mehr als 20 Fahrer mit zu Boden. In den Bergen ist Kuss der wichtigste Helfer von Vingegaard.
«Das ist das Büro der Fahrer. Geht nicht in ihr Büro», sagte Eurosport-Experte Jens Voigt, der die Etappe auf dem Motorrad begleitete. «Versucht nicht, Teil des Spektakels zu werden. Die Fahrer sind das Spektakel, sie sind die Show. Überlasst die Straße den Fahrern», appellierte der Ex-Profi. John Degenkolb war ebenfalls in den Sturz verwickelt, der unmittelbar keinen Fahrer zur Aufgabe zwang.
Am Montag bietet der zweite Ruhetag den Profis die Gelegenheit, sich von den Strapazen in den Alpen zu erholen. In der Regel setzen sich die Fahrer für maximal zwei Stunden zu einer lockeren Ausfahrt aufs Rad, lassen sich von Physiotherapeuten behandeln, nehmen Medientermine wahr und empfangen Familienbesuch.