Wolfgang Schäuble zieht nach 30 Jahren eine ambivalente Bilanz der Wiedervereinigung
02.10.2020 - 10:44:16Wolfgang Schäuble, bei der Wiedervereinigung Bundesinnenminister, bewertet den Einheitsprozess rückblickend weitgehend positiv, räumt allerdings auch Versäumnisse ein.
Auch 30 Jahre nach der vollzogenen Einheit sieht Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) weiterhin Handlungsbedarf. Wir müssen auch in den nächsten Jahren an der inneren Einheit arbeiten, betont Schäuble gegenüber der Redaktion der Funke-Mediengruppe. Die Einheit ist kein Selbstläufer. Der CDU-Politiker verweist auf Defizite beim kulturellen mentalen Wiedervereinigungsprozess. Viele Ostdeutsche, die in der DDR aufgewachsen sind oder gelebt haben, fühlen sich nicht ernst genommen. Dies hat viel auch mit Entscheidungen zu tun, die vor 30 Jahren aus dem Zeitdruck heraus, gefallen sind. Als Bundesinnenminister war mein größter Fehler vielleicht der Umgang mit beruflichen Qualifikationen von DDR-Bürgern. Wir haben damals das Potential der DDR-Bürger deutlich unterschätzt. Da war viel Know-How, das wir nicht abgerufen haben. Dies hat bei den Menschen zu Frustrationen geführt, weil viele sich und ihre Leistungen im Arbeitsleben nicht anerkannt sahen. Gerade auch im ministerialen Bereich wurden viele Mitarbeiter von Ministerien und Behörden in eine politische Ecke gestellt und aus dem Dienst entfernt, obwohl sie als Experten viel Wissen über die Strukturen und Verhältnisse im Osten hatten. Das hat Zeit gekostet und zu vielen Fehleinschätzungen geführt, bemängelt der CDU-Spitzenpolitiker.
Die Einheit bedarf des gegenseitigen Interesses. Das Leben in der DDR muss offen aufgearbeitet werden, es muss offen diskutiert werden, aber es darf auf keinen Fall unterschätzt oder vergessen werden, fordert Schäuble. Es ist ein Teil der Lebenserfahrung von Menschen, die auch selbstbewusst zu diesen Lebensabschnitten stehen sollen.
Schäuble verwahrte sich allerdings gegen Fundamentalkritik gegen die damalige Strategie der Entscheidungsträger in der Bundesrepublik. Wir haben uns entschieden, die Wiedervereinigung formal nach dem Artikel 23 des Grundgesetzes durchzuführen. Dies bedeutete den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik. Die Bundesregierung musste auch auf den Druck der DDR-Bevölkerung reagieren. Die Wahlergebnisse in der letzten DDR-Wahl waren ein eindeutiges Signal für die Lösungsoption eines schnellen Beitritts. Die Situation hat auch ihre eigene Dynamik entwickelt und eine Entschleunigung war nicht mehr denkbar. Die Menschen haben damals mit den Füßen abgestimmt. Der Exodus aus der DDR nach Westen hat eine schnelle Reaktion erfordert.
Schäuble verwahrt sich ebenfalls gegen Vorwürfe, dass der Westen die DDR annektiert und überrollt habe. Es entspricht nicht den Tatsachen, dass wir bewusst einen Ausverkauf der DDR und eine Strategie der Deindustrialisierung umgesetzt haben. Im Gegenteil, die Bundesregierung hat alles versucht, so viel an Substanz zu erhalten wie möglich. Bei aller Nostalgie und zeitlichem Abstand darf nicht vergessen werden, dass es sich bei der DDR um einen Unrechtsstaat gehandelt hat, stellt Schäuble fest. Die SED hatte den Staat fest im Griff und herrschte mit Instrumenten wie der Staatssicherheit. Die Stasi war allgegenwärtig und hat auch das private Leben der Menschen dominiert. Keiner konnte dem anderen vertrauen. Die Öffnung der Stasi-Archive hat diesen Aspekt des DDR-Lebens mehr als deutlich gemacht.
Nach dem Erbe der DDR befragt, verweist der CDU-Politiker auf die Menschen. Die Bürger der neuen Bundesländer, ihr Potential und ihr Lebensperspektiven haben die Bundesrepublik verändert. Es gab auch einige Aspekte, bei denen die DDR durchaus Vorbildcharakter hatte. Als Beispiel spielt Schäuble auf das veränderte Rollenbild der Frauen in der Gesellschaft an. Hier war die DDR im öffentlichen Leben und im Berufsleben deutlich weiter. An den Strukturen der Kinderbetreuung und in der Vereinbarkeit von Familie und Beruf konnten wir uns nicht messen lassen.
Die Distanz vieler Menschen in den neuen Bundesländern gegenüber den Institutionen und den Spielregeln der demokratischen Gesellschaft, rührt für Schäuble auch aus den Erfahrungen der Menschen in den Jahren nach der Wende. Hier sind Lebensentwürfe ins Wanken geraten und eine massive Arbeitslosigkeit entstanden. Viele standen mit Mitte Vierzig auf der Straße und sahen keine Perspektiven mehr. Die Populisten links und rechts knüpfen an diese Erfahrungen an und mobilisieren sie. Zum Beispiel hat das Thema Migration in der DDR überhaupt keine Rolle gespielt und der Schritt in die offene Gesellschaft mit Migrationsströmen hat einige überfordert. Trotzdem sieht Schäuble den Rassismus und rechtes Gedankengut nicht als exklusives Problem des Ostens. Die fremdenfeindlichen Ausschreitungen gab es ja auch in Solingen oder Mölln. Das ist unser gemeinsames Problem, betont der Bundestagspräsident gegenüber der Funke-Mediengruppe.
Die Zeit der Wende hatte alle Zutaten eines Dramas. Auch die Option Krieg sei damals auf dem Tisch gewesen. Schäuble erinnert sich an den 9. November und die Bilder der Maueröffnung. Ein Eingreifen der sowjetischen Truppen war durchaus eine reale Gefahr und ich erinnere mich an emotionale Telefonate von Bundeskanzler Kohl mit dem sowjetischen Regierungschef Gorbatschow. Damals war alles möglich, bemerkt Schäuble abschließend.
Die Einheit bedarf des gegenseitigen Interesses. Das Leben in der DDR muss offen aufgearbeitet werden, es muss offen diskutiert werden, aber es darf auf keinen Fall unterschätzt oder vergessen werden, fordert Schäuble. Es ist ein Teil der Lebenserfahrung von Menschen, die auch selbstbewusst zu diesen Lebensabschnitten stehen sollen.
Schäuble verwahrte sich allerdings gegen Fundamentalkritik gegen die damalige Strategie der Entscheidungsträger in der Bundesrepublik. Wir haben uns entschieden, die Wiedervereinigung formal nach dem Artikel 23 des Grundgesetzes durchzuführen. Dies bedeutete den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik. Die Bundesregierung musste auch auf den Druck der DDR-Bevölkerung reagieren. Die Wahlergebnisse in der letzten DDR-Wahl waren ein eindeutiges Signal für die Lösungsoption eines schnellen Beitritts. Die Situation hat auch ihre eigene Dynamik entwickelt und eine Entschleunigung war nicht mehr denkbar. Die Menschen haben damals mit den Füßen abgestimmt. Der Exodus aus der DDR nach Westen hat eine schnelle Reaktion erfordert.
Schäuble verwahrt sich ebenfalls gegen Vorwürfe, dass der Westen die DDR annektiert und überrollt habe. Es entspricht nicht den Tatsachen, dass wir bewusst einen Ausverkauf der DDR und eine Strategie der Deindustrialisierung umgesetzt haben. Im Gegenteil, die Bundesregierung hat alles versucht, so viel an Substanz zu erhalten wie möglich. Bei aller Nostalgie und zeitlichem Abstand darf nicht vergessen werden, dass es sich bei der DDR um einen Unrechtsstaat gehandelt hat, stellt Schäuble fest. Die SED hatte den Staat fest im Griff und herrschte mit Instrumenten wie der Staatssicherheit. Die Stasi war allgegenwärtig und hat auch das private Leben der Menschen dominiert. Keiner konnte dem anderen vertrauen. Die Öffnung der Stasi-Archive hat diesen Aspekt des DDR-Lebens mehr als deutlich gemacht.
Nach dem Erbe der DDR befragt, verweist der CDU-Politiker auf die Menschen. Die Bürger der neuen Bundesländer, ihr Potential und ihr Lebensperspektiven haben die Bundesrepublik verändert. Es gab auch einige Aspekte, bei denen die DDR durchaus Vorbildcharakter hatte. Als Beispiel spielt Schäuble auf das veränderte Rollenbild der Frauen in der Gesellschaft an. Hier war die DDR im öffentlichen Leben und im Berufsleben deutlich weiter. An den Strukturen der Kinderbetreuung und in der Vereinbarkeit von Familie und Beruf konnten wir uns nicht messen lassen.
Die Distanz vieler Menschen in den neuen Bundesländern gegenüber den Institutionen und den Spielregeln der demokratischen Gesellschaft, rührt für Schäuble auch aus den Erfahrungen der Menschen in den Jahren nach der Wende. Hier sind Lebensentwürfe ins Wanken geraten und eine massive Arbeitslosigkeit entstanden. Viele standen mit Mitte Vierzig auf der Straße und sahen keine Perspektiven mehr. Die Populisten links und rechts knüpfen an diese Erfahrungen an und mobilisieren sie. Zum Beispiel hat das Thema Migration in der DDR überhaupt keine Rolle gespielt und der Schritt in die offene Gesellschaft mit Migrationsströmen hat einige überfordert. Trotzdem sieht Schäuble den Rassismus und rechtes Gedankengut nicht als exklusives Problem des Ostens. Die fremdenfeindlichen Ausschreitungen gab es ja auch in Solingen oder Mölln. Das ist unser gemeinsames Problem, betont der Bundestagspräsident gegenüber der Funke-Mediengruppe.
Die Zeit der Wende hatte alle Zutaten eines Dramas. Auch die Option Krieg sei damals auf dem Tisch gewesen. Schäuble erinnert sich an den 9. November und die Bilder der Maueröffnung. Ein Eingreifen der sowjetischen Truppen war durchaus eine reale Gefahr und ich erinnere mich an emotionale Telefonate von Bundeskanzler Kohl mit dem sowjetischen Regierungschef Gorbatschow. Damals war alles möglich, bemerkt Schäuble abschließend.
Redaktion ad-hoc-news.de, NeoMatrix