Wie können Klimaschutz-Projekte der Ampel-Koalition nach dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts finanziert werden? Die Beantwortung dürfte eine Rolle auf dem Parteitag der Grünen spielen.
23.11.2023 - 05:07:16Lang sieht Anlass zu Selbstkritik bei Grünen
Unmittelbar vor Beginn des von der aktuellen Haushaltskrise überschatteten Parteitags in Karlsruhe sieht Grünen-Chefin Ricarda Lang auch Anlass zur Selbstkritik. «Wir sollten uns schon fragen, warum manche Vorurteile gegen uns immer noch verfangen», sagte sie dem Nachrichtenportal «t-online» (Donnerstag). «Wir sind nicht ganz unschuldig daran.» Derzeit liegen die Grünen in Umfragen um die 15 Prozent. Nach den Worten von Co-Parteichef Omid Nouripour wollen die Grünen auf dem Parteitag, der bis Sonntag dauert, auch «zentrale Entscheidungen» zur Klimapolitik treffen.
Beim Parteitag, der unter dem Motto «Machen, was zählt» steht, stellen sich Lang und Nouripour zur Wiederwahl. Debattieren wollen die Grünen über zwei Dringlichkeitsanträge zu Migration und zu Israel. Zum Nahost-Konflikt wird unter anderem eine Rede von Außenministerin Annalena Baerbock erwartet.
Eine wesentliche Rolle dürfte für die 825 Delegierten die Frage spielen, wie Klimaschutz-Projekte der Ampel-Koalition und andere Kernanliegen der Grünen nach dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichtes jetzt noch finanziert werden könnten.
Lang gegen Kürzung der Sozialausgaben
Lang warnte: «Die Sozialausgaben zu kürzen, ist jedenfalls der falsche Weg. Es braucht in Zeiten der Krisen mehr Sicherheit und Gerechtigkeit, nicht weniger.» Die Aussetzung der Schuldenbremse sei «eine Lösung», über die die Koalition sprechen müsse. Sie forderte zudem eine Reform der im Grundgesetz verankerten Schuldenregel, etwa durch eine Klausel, um mehr Investitionen zu ermöglichen.
Das Bundesverfassungsgericht hat eine Umschichtung von 60 Milliarden Euro im Haushalt von 2021 für verfassungswidrig erklärt. Der Bund darf zur Bekämpfung der Corona-Krise gedachte Gelder damit nicht für andere Zwecke verwenden. Nach einer ersten Einschätzung sind auch andere Sondervermögen wie das für die Energiepreisbremsen betroffen.
Nouripour sagte der «Augsburger Allgemeinen», es sei die historische Aufgabe der Partei, Wohlstand, Klimaschutz und Gerechtigkeit zusammenzubringen. Ebenso werde der Parteitag «Orientierung in der Migrationspolitik» geben und die Solidarität mit Israel unterstreichen.
Klimaunion fordert Überarbeitung des Klimaschutzgesetzes
Der unionsnahe Verein Klimaunion forderte die Grünen zu einer Überarbeitung des Klimaschutzgesetzes auf. In einem der Deutschen Presse-Agentur (dpa) vorliegenden Brief an Lang und andere führende Partei- und Fraktionsvertreter regt der Klimaunion-Vorsitzende und CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Heilmann eine Weiterentwicklung des Gesetzes bei den Sektorzielen, den Nachsteuerungsmechanismen und der Rolle des Expertenrats an.
Der von der Bundesregierung eingebrachte Gesetzentwurf sieht vor, erst in der nächsten Legislaturperiode ein neues Klimaschutzprogramm vorzulegen. Damit verstoße die Ampel gegen das Grundgesetz, weil Klimaschutz nicht auf die lange Bank geschoben werden dürfe, warnte Heilmann. Ähnlich hätten sich zuletzt 14 Sachverständige in einer Anhörung des Bundestages geäußert. Nach dem Heizungsgesetz und dem Klimafonds riskiere die Ampel beim Klimaschutzgesetz die nächste Niederlage in Karlsruhe.
Kellner: «Dürfen Traum vom Kanzleramt nicht aufgeben»
Der Grünen-Politiker Michael Kellner warnte seine Partei unterdessen vor zu viel Hadern mit dem Regieren. «Bei einem Teil der Grünen gibt es in solchen Situationen den Reflex, sich in die Nische zurückzuziehen. Das ist aber falsch», sagte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium im Interview des «Spiegel». «Die Grünen dürfen den Traum vom Kanzleramt nicht aufgeben, so schwer das derzeit auch sein mag.»
Zudem forderte Kellner vor dem anstehenden Parteitag strukturelle Reformen. «Wenn wir dauerhaft führen wollen, müssen wir schneller und klarer werden», sagte der Grünen-Politiker. Die Partei brauche zu lang für Botschaften und Papiere. Während sie noch intern berate, sei die Konkurrenz schon längst auf Sendung. Zum Heizungsgesetz von Wirtschaftsminister Robert Habeck, das im vergangenen Frühjahr massiv in die Kritik geraten war, sagte Kellner: «Wir haben zu wenig erklärt, all die Argumente, Fakten und Entlastungsangebote sind zu spät herausgetröpfelt.» Damit habe man der Sache geschadet.
Kubicki verlangt mehr Realismus in Migrationspolitik
Derweil forderte der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki den Koalitionspartner zu mehr Realismus in der Migrationspolitik auf. Die Zustimmung der Grünen zur Beendigung der Zahlungen für die private Seenotrettung im Mittelmeer sei «der erste, kleine Schritt aus dem kunterbunten Wolkenkuckucksheim in Richtung einer vernunftgeleiteten Migrationspolitik», sagte Kubicki der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. «Ich erwarte weitere energische Schritte auf der anstehenden Bundesdelegiertenkonferenz und eine unmissverständliche Bestätigung der jüngsten Bund-Länder-Vereinbarungen zur Migration.»