Seit dem Morgen können die Hessen über die Zusammensetzung ihres neuen Parlamentes entscheiden.
08.10.2023 - 18:38:16ZDF-Hochrechnung: CDU in Hessen klar vorn. Jetzt gibt es die erste Prognose.
Bei der Landtagswahl in Hessen ist die CDU mit Abstand stärkste Kraft geworden. Laut ersten Hochrechnungen von ARD und ZDF liegen die Christdemokraten von Ministerpräsident Boris Rhein deutlich vor dem Koalitionspartner Grüne, der SPD und der AfD, die sich ein knappes Rennen um den zweiten Platz liefern - mit leichtem Vorsprung für die AfD. Der Wiedereinzug der FDP in den Landtag steht auf der Kippe. Die Linke wird ihn voraussichtlich nicht schaffen.
Den Hochrechnungen zufolge steigert sich die CDU kräftig auf 34,7 bis 35,4 Prozent (Wahl 2018: 27,0). Die SPD mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser als Spitzenkandidatin steuert mit 15,2 bis 15,9 Prozent (19,8) auf ein historisch schlechtes Landesergebnis zu. Die mitregierenden Grünen verlieren ebenfalls und landen bei 15,4 bis 15,5 Prozent (19,8).
Die AfD gewinnt deutlich hinzu und kommt auf 16,3 bis 16,8 Prozent (13,1). Die FDP nimmt nach diesen ersten Zahlen mit 5,0 Prozent (7,5) nur knapp die Fünf-Prozent-Hürde, ihr Einzug in den Landtag ist unsicher. Die Linke rutscht ab auf 3,5 Prozent (6,3). Sie muss das Parlament in Wiesbaden voraussichtlich verlassen. Die Freien Wähler kommen auf 3,5 Prozent (3,0). Die Wahlbeteiligung wird mit 64,5 bis 65,5 angegeben - weniger als 2018 mit 67,3 Prozent.
Die CDU erhält demnach 44 bis 53 Sitze im Landtag. Die SPD kommt auf 20 bis 23, die Grünen erreichen 19 bis 23 Mandate. Die AfD bekommt 21 bis 25 Sitze, die FDP 6 bis 8. Damit wäre eine Fortsetzung der schwarz-grünen Koalition möglich. Aber auch eine große Koalition aus CDU und SPD hätte eine Mehrheit.
Rhein: CDU hat «klaren Regierungsauftrag» in Hessen
CDU-Ministerpräsident Boris Rhein sieht nach der Landtagswahl in Hessen einen «klaren Regierungsauftrag» der Bürgerinnen und Bürger für die Union. Die Wähler hätten die Hessen-CDU und damit «Stil und Stabilität, aber auch sanfte Erneuerung gewählt», sagte er in Wiesbaden. «Wir haben den Regierungsauftrag und wir werden natürlich diesen Regierungsauftrag annehmen», betonte Rhein. «Wir werden eine Regierung bilden aus der Mitte dieser Gesellschaft, aus der Mitte des Landes». Das sei vollkommen klar.
CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann zeigt sich ebenfalls sehr zufrieden mit dem Abschneiden von CDU und CSU bei den Landtagswahlen in Hessen. Das Abschneiden der CDU in Hessen bezeichnete Linnemann als «sensationelles Ergebnis». Boris Rhein sei ein toller Spitzenkandidat, der genau die richtigen Themen adressiert habe. CDU-Chef Friedrich Merz habe ihn unterstützt. Der Wahlkampf in Hessen habe eine Vorbildfunktion auch für den Bundestagswahlkampf.
Kühnert: Bitterer Abend für SPD
SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert wertet das Ergebnis der Landtagswahlen als bitter für seine Partei und für die Ampel-Koalition gewertet. «Wir sind heute Abend ausdrücklich nicht die Wahlsieger», sagte Kühnert im ZDF. Die drei Parteien der Ampel-Koalition hätten in beiden Bundesländern verloren.
«Wir sollten die Signale alle miteinander in der Ampel-Koalition erkennen: In diesem Wahlergebnis liegt auch eine Botschaft für uns», sagte Kühnert. In der ARD sagte er, man müsse erkennen, dass «die allgemeine Stimmungslage den Menschen aufs Gemüt drückt und dass mehr Orientierung erforderlich ist».
Der SPD-Generalsekretär stärkte zugleich der hessischen SPD-Spitzenkandidatin und Bundesinnenministerin Nancy Faeser den Rücken. Ihre Autorität als Bundesministerin sei nicht beschädigt, sagte er. «Da kann ich auch für die gesamte Parteispitze sprechen.»
Auch die hessische SPD-Spitzenkandidatin Nancy Faeser zeigt sich von den Verlusten ihrer Partei bei der Landtagswahl schwer enttäuscht. «Wir hatten viel Gegenwind, wir haben es in den Umfragen gesehen. Deswegen ist es auch nicht ganz so überraschend, aber trotzdem sehr enttäuschend», sagte Faeser, die auch Bundesinnenministerin ist, mit Blick auf das schwache Ergebnis ihrer Partei.
Die SPD sei mit ihren Themen leider überhaupt nicht durchgedrungen, sagte Faeser. Sie habe als Spitzenkandidatin natürlich eine besondere Rolle. «Mit dieser konnte ich euch leider nicht helfen in diesen Tagen», sagte sie vor Parteimitgliedern.
Jetzt lässt sie ihre Zukunft als Chefin der Landespartei offen. Auf die Frage, ob sie Vorsitzende der hessischen SPD bleibe, sagte sie im ZDF: «Das werden wir sehen in den nächsten Tagen und Wochen. Unsere Partei steht sehr solidarisch zusammen.» Es zeichne die SPD aus, gerade in Krisenzeiten zusammenzustehen. «Wir gewinnen gemeinsam, aber wir verlieren auch gemeinsam», sagte Faeser.
Al-Wazir wertet Grünen-Wahlergebnis trotz Verlusten als Erfolg
Der hessische Grünen-Spitzenkandidat Tarek Al-Wazir wertet das Ergebnis seiner Partei bei der Landtagswahl trotz Verlusten als Erfolg. «Wir werden unser historisch zweitbestes Ergebnis erreichen. Und das ist auch ein Erfolg», sagte er.
«Alle Parteien, die an der Bundesregierung beteiligt sind, hatten keinen Rückenwind. Und wir mussten bergauf kämpfen», erklärte Al-Wazir vor Parteimitgliedern. «Wir hätten uns natürlich ein besseres Ergebnis gewünscht, aber wenn ihr euch die Hochrechnungen anschaut, dann ist das einfach so.»
Der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour bezeichnet die Wahlergebnisse seiner Partei bei den Landtagswahlen als stabil. Die Grünen hofften, bei beiden Wahlen zweitstärkste Kraft zu werden, sagte Nouripour in der ARD. Die Grünen stünden für Verantwortung. Seine Partei hat den Prognosen zufolge verloren.
Als «erschreckend» bezeichnete er das Abschneiden der AfD, die in beiden Ländern hinzugewonnen hat. Das sei auch ein Auftrag für die Ampel-Koalition, wieder Vertrauen zurückzugewinnen.
Trotz der Verluste der Grünen spricht die Bundesvorsitzende Ricarda Lang indes von stabilen Ergebnissen. «Es sind stabile Ergebnisse, auch wenn es nicht das ist, was wir uns vielleicht gewünscht hätten», sagte Lang im ZDF nach den ersten Prognosen. Das sei eine gute Basis für die Zukunft. Mit Sorgen beobachte man, dass alle drei Ampel-Parteien, also SPD, Grüne und FDP, nicht dazugewinnen konnten.
Hessens AfD-Spitzenkandidat kündigt starke Opposition an
Der Spitzenkandidat der hessischen AfD, Robert Lambrou, kündigt eine starke Oppositionsarbeit seiner Partei im Landtag an. Sehr viele Bürger in Hessen hätten zum ersten Mal AfD gewählt, sagte er. «Es ist ein enormer Vertrauensvorschuss, dem wir uns als würdig erweisen werden.» Er freue sich auf die nächsten fünf Jahre im Landtag «mit einer ganz starken Stimme bürgerlich, konservativ, freiheitlich».
Die AfD-Vorsitzende Alice Weidel zeigt sich hocherfreut über das Abschneiden ihrer Partei. Weidel sprach in der ARD von Rekordergebnissen.
«Unsere Politik gibt uns Recht», sagte Weidel. Sie wertete die Stärke ihrer Partei auch als Zeichen für die Unzufriedenheit der Menschen mit der «Verbotspolitik» der Bundesregierung. Mit Blick auf den Bund sprach sie von einer realistischen Chance auf eine Regierungsbeteiligung 2025.
Stark-Watzinger: Regierungshandeln schlägt sich nieder
Die hessische FDP-Vorsitzende Bettina Stark-Watzinger führt das Landtagswahlergebnis auch auf die Politik der Ampel-Koalition im Bund zurück. «Wir sehen natürlich, dass das Regierungshandeln aus Berlin auch auf die Landtagswahlen sich niederschlägt», sagte Stark-Watzinger, die auch Bundesbildungsministerin ist. «Alle drei Koalitionsparteien haben Einbußen hier in Hessen hinnehmen müssen.»
Die FDP-Politikerin betonte: «Wir haben Wahlkampf geführt in einer Zeit, in der die Frage des Migrationsthemas wirklich mit voller Wucht auch in den Wahlkampf gekommen ist.» Das habe die politischen Ränder ein Stück weit stärker werden lassen.
Die Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger an die Bundesregierung seien nicht erfüllt worden. In den nächsten Wochen müssten auf die Themen, die die Menschen bewegten, nun die richtigen Antworten gefunden werden, um das Vertrauen in das Regierungshandeln in Berlin zu stärken.
FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai reagiert indes kurz angebunden auf das schlechte Abschneiden seiner Partei. «Aus Sicht der FDP sind die derzeit vorliegenden Zahlen aus Bayern enttäuschend. In Hessen bleibt es spannend», sagte er in Berlin.
Die FDP-Gremien würden morgen die Ergebnisse beider Landtagswahlen auswerten, sagte Djir-Sarai. «Wir werden aber auch innerhalb der Koalition diese Ergebnisse analysieren und besprechen.»
Wissler: Wahlergebnisse für Linke bitter
Die Linke-Parteivorsitzende Janine Wissler ist schwer enttäuscht vom Abschneiden ihrer Partei bei den Landtagswahlen in Hessen und Bayern. Wissler sprach in der ARD von einem «bitteren Abend». «Es ist so bitter, dass wir unsere Arbeit nicht weiter fortsetzen können», sagte sie mit Blick auf ihr Heimatland Hessen, wo die Linke voraussichtlich nicht mehr im Landtag vertreten sein wird.
Immens geschadet hätten auch die Spekulationen über eine Parteineugründung durch die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht. «Natürlich ist das ein Problem».
Wagenknecht: Faeser nach Hessen-Wahl als Ministerin entlassen
Nach der Hessen-Wahl fordert die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht die Entlassung von Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Hintergrund ist das schwache Abschneiden der hessischen SPD mit Faeser als Spitzenkandidatin. «Wer in Wiesbaden scheitert, ist in Berlin fehl am Platz», sagte Wagenknecht der Deutschen Presse-Agentur. «Auf die Rote Karte der Wähler sollte die Entlassung durch den Kanzler folgen.»
Das Innenministerium sei eines der wichtigsten Ministerien und «die Flüchtlingskrise mindestens so dramatisch wie 2015», meinte Wagenknecht. «Hier braucht es an der Spitze keine Wahlverliererin, sondern maximale Handlungsfähigkeit.» Sie warf Faeser vor, dass sie «die Schleuserindustrie machen lässt». Die Bundesregierung solle sich an Ländern wie Dänemark orientieren und den Zuzug minimieren, sagte Wagenknecht.
Drei Spitzenkandidaten mit Führungsanspruch
Seit knapp 25 Jahren wird Hessen von der CDU regiert, seit fast zehn Jahren gemeinsam mit den Grünen - meist recht harmonisch. Derzeit hat die Koalition eine Mehrheit von nur einem Mandat. Während CDU-Ministerpräsident Rhein (51) sein Amt verteidigen wollte, strebte Rheins Stellvertreter und Grünen-Spitzenkandidat Tarek Al-Wazir (52) an, zweiter Ministerpräsident seiner Partei zu werden - nach Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg. Ziel von SPD-Spitzenkandidatin und Bundesinnenministerin Faeser (53) war es, die erste Frau an der Spitze der hessischen Landesregierung zu werden.
Vor der Wahl hatte Faeser klargestellt, nur dann aus Berlin zurück in die Landespolitik zu wechseln, wenn sie Ministerpräsidentin wird. Die Schlappe der Sozialdemokraten macht das nun höchst unwahrscheinlich. Auch als Bundesinnenministerin könnte Faeser jetzt angezählt sein.
Fast zehn Jahre Schwarz-Grün - Wie geht es jetzt weiter?
Nach ihren Zugewinnen bei der hessischen Landtagswahl will die CDU «allen demokratischen Fraktionen» Sondierungsgespräche anbieten. Das sagte die CDU-Fraktionsvorsitzende im hessischen Landtag, Ines Claus. Den Prognosen zufolge steigerte die CDU ihr Ergebnis bei der Landtagswahl im Vergleich zu 2018 deutlich.
Claus sagte, es zeichne sich «ein herausragendes Ergebnis für die CDU in Hessen ab». «Das ist ein toller Abend für uns, das ist etwas ganz Besonderes.» Ihre Partei habe einen Wahlkampf geführt, «der nach Sound und Stil immer anständig war», sagte die CDU-Politikerin. Das sei ein tolles Ergebnis für Ministerpräsident Boris Rhein.
Hessens Ministerpräsident und CDU-Spitzenkandidat Boris Rhein bietet nach dem Wahlerfolg seiner Partei ebenfalls sowohl SPD als auch Grünen und FDP Gespräche über eine mögliche Regierungszusammenarbeit an. «Jetzt kommt es erst einmal darauf an, in Sondierungsgesprächen Schnittmengen zu finden und Schnittmengen zu suchen», sagte Rhein.
«Dann ist es natürlich wichtig für uns, so viel CDU wie möglich umzusetzen.» Bislang regiert in Hessen ein schwarz-grünes Bündnis. Nach den Hochrechnungen hätten die beiden Parteien auch künftig eine Mehrheit zusammen.
Die hessische AfD wirbt indes dafür, dass die rechtspopulistische Partei von anderen Parteien als Koalitionspartner in Betracht gezogen wird. Die AfD habe bei der Wahl in Hessen das beste Ergebnis der Partei jemals in Westdeutschland erreicht, sagte Spitzenkandidat Robert Lambrou.