Polizei und Staatsanwaltschaft gehen gegen die Letzte Generation vor.
24.05.2023 - 08:56:09Bundesweite Razzia gegen Letzte Generation. Wohnungen und Geschäftsräume in sieben Bundesländern werden durchsucht - auch bei der Sprecherin Carla Hinrichs.
Mit einer großangelegten Razzia sind Polizei und Staatsanwaltschaft gegen die Klimaschutzgruppe Letzte Generation vorgegangen. Rund 170 Beamte durchsuchten ab dem frühen Morgen 15 Wohnungen und Geschäftsräume in sieben Bundesländern, wie die Generalstaatsanwaltschaft München und das Bayerische Landeskriminalamt mitteilten.
Ermittelt wird gegen sieben Beschuldigte, die zwischen 22 und 38 Jahre alt sind. Fünf von ihnen wird nach Angaben der Generalstaatsanwaltscaft die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen, zweien die Unterstützung.
Auch die Wohnung der Sprecherin Carla Hinrichs ist im Berliner Stadtteil Kreuzberg durchsucht worden. Das bestätigten die Aktivisten. Zuvor hatte die «Augsburger Allgemeine» darüber berichtet, dass Hinrichs zu den sieben Beschuldigten in dem Ermittlungsverfahren gehört. Hinrichs zählt zu den bekanntesten Gesichtern der Letzten Generation und wurde bereits mehrfach wegen der Teilnahme an Straßenblockaden verurteilt.
Von Klimaaktivisten kommt scharfe Kritik
Nach den Razzien hat die Klimaschutzgruppe vehement bestritten, kriminell zu sein und ruft Unterstützer zu Protestmärschen auf. Aimée van Baalen, Sprecherin der Aktivisten, forderte bei einer Pressekonferenz alle Bürger dazu auf, sich am nächsten Mittwoch an Protestmärschen in vielen Städten zu beteiligen. Bereits heute sollte eine Demonstration in Berlin stattfinden.
«Die 15 Hausdurchsuchungen haben alle Unterstützer hart getroffen. Sie machen uns Angst, aber wir dürfen nicht in dieser Angst verharren», sagte van Baalen. «Müssen wir in Deutschland erst eine Dürre erleben, an Nahrungsmittelknappheit leiden (...), bevor wir verstehen, dass die Letzte Generation für unser aller Leben einsteht und dass das nicht kriminell ist?», kritisierte die Sprecherin weiter. Die Klimaschutzgruppe wolle weiter Widerstand leisten.
Andere Klimaschutzaktivisten reagierten ebenfalls mit scharfer Kritik. Die Gruppe Ende Gelände kritisierte auf Twitter, Razzien gebe es bei denen, «die vor der Klimakrise warnen, und nicht bei denen, die dafür verantwortlich sind». Die Letzte Generation selbst fragte auf Twitter, wann Lobbystrukturen durchsucht und «fossile Gelder der Regierung» beschlagnahmt würden.
Spendenkampagne zur Finanzierung weiterer Straftaten?
Zentraler Vorwurf im Zusammenhang mit den Durchsuchungen ist laut Polizei und Generalstaatsanwaltschaft, dass die Beschuldigten eine Spendenkampagne zur Finanzierung weiterer Straftaten für die Letzte Generation organisiert und so mindestens 1,4 Millionen Euro eingesammelt haben sollen. Dieses Geld sei nach bisherigen Erkenntnissen «überwiegend auch für die Begehung weiterer Straftaten» eingesetzt worden. Woher das Geld stamme, sei Gegenstand der Ermittlungen. Wie viel davon beschlagnahmt wurde, sagte die Polizei zunächst nicht. Ziel der Durchsuchungen sei auch «das Auffinden von Beweismitteln zur Mitgliederstruktur» gewesen, hieß es.
Durchsuchungen gab es in sieben Bundesländern, konkret in Hessen im Landkreis Fulda, in Hamburg, Sachsen-Anhalt (Magdeburg), Sachsen (Dresden), Bayern (Augsburg und München), Berlin und im Kreis Segeberg in Schleswig-Holstein. Die Einsätze verliefen ersten Informationen nach friedlich. Auf Anweisung der Staatsanwaltschaft wurde auch die Homepage der Gruppe beschlagnahmt und abgeschaltet.
In den vergangenen Wochen war das Umfeld für die Aktivisten extrem rau geworden. Abgenervte Autofahrer schlugen und traten die Protestierenden des Öfteren und schleiften sie ruppig von der Straße, und das Landgericht Potsdam bestätigte erstmals den Anfangsverdacht, dass die Gruppe eine kriminelle Vereinigung sein könnte. Diese Woche äußerte sich auch Kanzler Olaf Scholz extrem kritisch und nannte die Anklebe-Aktionen der Gruppe «völlig bekloppt».
Die Aktivisten forderten anfangs ein «Essen-Retten-Gesetz» gegen Lebensmittelverschwendung. Die derzeitigen Forderungen sind Tempo 100 auf Autobahnen und ein dauerhaftes 9-Euro-Ticket für den öffentlichen Verkehr.
Faeser verteidigt Razzia
Angesiedelt sind die Ermittlungen bei der Bayerischen Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus. Ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft München betonte aber, dass das nicht bedeute, dass man die Letzte Generation als extremistisch oder terroristisch einstufe. «Wir gehen nach jetzigem Ermittlungsstand davon aus, dass es sich um eine kriminelle Vereinigung handelt - wohlgemerkt nicht um eine terroristische», sagte der Sprecher. Dies wolle man gerichtlich prüfen lassen.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser verteidigt die Maßnahmen. Sie zeigten, dass der Rechtsstaat sich nicht auf der Nase herumtanzen lass. «Polizei und Justiz nehmen Straftaten nicht hin, sondern handeln - so wie es ihre Pflicht ist», sagte Faeser der Funke-Mediengruppe. Legitimer Protest ende immer da, wo Straftaten begangen und andere Menschen in ihren Rechten verletzt würden. «Wenn diese rote Linie überschritten ist, dann muss die Polizei handeln», sagte die SPD-Politikerin. Auch die Deutsche Polizeigewerkschaft begrüßte die Durchsuchungen. «Die Justiz greift durch, das ist das richtige Signal eines wehrhaften Rechtsstaates», sagte Gewerkschaftschef Rainer Wendt in Berlin.
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) äußerte sich ähnlich. Der Rechtsstaat setze ein klares Zeichen gegen diejenigen, die die Demokratie diskreditieren und die Gesellschaft spalten wollten, hieß es in einer Mitteilung.
Der stellvertretende Vorsitzende der Linken, Lorenz Gösta Beutin, nannte die Razzien völlig überzogen. Die Menschen, die sich der sogenannten Letzten Generation zurechneten, setzten auf friedlichen zivilen Ungehorsam, um auf die Klimakatastrophe und das Versagen der Bundesregierung aufmerksam zu machen.