Nach der Pleite bei der Wahl 2018 kündigte Markus Söder eine ehrliche Analyse an.
23.09.2023 - 05:22:00Nachhaltig verunsichert - Söders Kursdilemma. Fünf Jahre später steht seine CSU noch schlechter da. Nicht nur Söders Zukunft ist ungewisser denn je.
Für Markus Söder ist es zum Haareraufen. Schier unzählige Termine hat der CSU-Chef in Bayern absolviert, allein in diesem Jahr werden es bis zur Landtagswahl am 8. Oktober 110 Auftritte in Festzelten und bei Kundgebungen sein. Doch trotz des immensen Aufwands bleibt die CSU in jüngsten Umfragen mit meist nur 36 Prozent weit hinter ihren eigenen Ansprüchen zurück. Auch von den historisch schlechten Zustimmungswerten für die Ampel-Regierung im Bund kann die CSU nicht profitieren. Dafür kamen die Freien Wähler (17 Prozent) und die AfD (13 bis 14 Prozent) zuletzt zusammen auf bis zu 31 Prozent.
Wer auf die Suche nach den Gründen für Dilemma von Ministerpräsident Söder und dessen CSU geht, hört derzeit gerne das Stichwort Flugblattaffäre. Auch Söder selbst bezeichnet den Höhenflug der Freien Wähler als «Fieberkurve aus Solidarität». Viele Leute in Bayern hätten sich im Zuge der Affäre um das antisemitische Flugblatt aus Aiwangers Schulzeit mit diesem solidarisiert. Die AfD wiederum profitiere im Freistaat vom bundesweiten Umfragehoch, hinke aber den Werten in vielen anderen Ländern klar hinterher.
Während die Zahlen viele CSUler nervös machen, bemüht sich Söder nach außen um Gelassenheit: «Freude über Umfragen ist schön, aber keiner soll sich zu früh freuen. Es kommt dann doch immer ganz anders, als man denkt», sagte er Anfang der Woche nach der Sitzung des CSU-Vorstands. Dort sollen dem Vernehmen nach die schlechten Umfragewerte nur in den Hinterköpfen eine Rolle gespielt haben.
Die Erklärungen zu Freien Wählern und AfD sind sicher nicht falsch - wer damit aber vollends die Lage der CSU analysieren will, blendet Söders Verantwortung aus. Dies wissen auch viele in der Partei - sagen es aber bisher nur hinter vorgehaltener Hand. Wie immer steht die CSU bis zur Wahl geschlossen hinter ihrem Parteichef.
Ob das nach dem 8. Oktober auch so sein wird, bleibt abzuwarten. Ein schlechteres Ergebnis als 2018 (37,2 Prozent) wäre definitiv eine Bürde - ob es dann für Söder eng würde, kann niemand sagen. Immerhin stehe die CSU nach der Unionspleite im Bund 2021 als Oppositionspartei noch schlechter da, heißt es. Söders Glück sei es, dass hinter ihm kein Söder auf seine Chance warte. Gleichwohl dürften sich dann aber auch Söders möglicherweise noch im Geheimen schlummernden Ambitionen auf eine bundespolitische Karriere von selbst erledigt haben.
Söders Kurs
Doch zurück zur CSU: Söder habe die Partei und viele ihre Mitglieder mit seinen bisherigen Kurswechseln nachhaltig verunsichert, heißt es etwa. «Heute weiß man nicht mehr, wofür die CSU steht, und schon gar nicht, wofür sie in einem Jahr stehen wird», umschreibt ein Parteivorstand die Kritik, die er nach eigener Aussage im Wahlkampf oft von der Basis zu hören bekommt.
Konkret genannt wird in dem Kontext sowohl Söders einstiger Hardlinerkurs im Wahlkampf 2018, als er sich zu Aussagen wie «Asyltourismus» und einem offenen Konflikt mit der damaligen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hinreißen ließ, um der AfD zugeneigte Wähler abzuwerben. Auch damals vor der Wahl lag die CSU in Umfragen bei Werten zwischen 33 und 35 Prozent.
Nach der «politischen Nahtoderfahrung», wie Söder den Rechtsruck rückwirkend nannte, verordnete er sich und der CSU einen Linksruck zurück in die Mitte. Klima- und Artenschutz waren plötzlich die «Megathemen». Zum Sinnbild des neuen Söders wurde ein Foto aus dem Juli 2019, als er im Park hinter der Staatskanzlei einen Baum umarmte. Damals setzte sich Söder auch noch für eine verpflichtende Frauenquote in CSU-Kreisvorständen ein.
Doch so sehr sich Söder auch mühte, in der Partei regte sich zunehmend Widerstand. Die Frauenquote wurde auf dem Parteitag von den Delegierten abgeschmettert, den grüneren Kurs verzeihen ihm viele in der Partei bis heute nicht. Doch Söder hielt am neuen Kompass fest, die CSU müsse moderner werden und sich für die sich verändernde Gesellschaft wappnen. «Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit», erklärte er den Kurs damals, dies sei alternativlos.
Machtkampf und Wahlkampf
Erst als vor der Bundestagswahl 2021 - also nach Söders verlorenem Machtkampf um die Kanzlerkandidatur der Union - die CSU in Bayern auf eine Rekordpleite zusteuerte, zogen die CSU-Strategen die Reißleine. Mit einer Stammwählerkampagne versuchte die Partei die Kehrtwende, warnte vor dem Linksrutsch im Bund und buhlte so um die Gunst der enttäuschten Konservativen, warnte vor dem «Öko-Diktat» und Steuererhöhungen.
Auch im aktuellen Wahlkampf präsentiert sich die CSU wieder betont konservativ, schließt eine Regierungszusammenarbeit mit den Grünen kategorisch aus, wie 2018 hat sie auch das zwischenzeitlich bewusst ausgeklammerte Migrationsthema wieder für sich entdeckt. Hatte Söders Vorgänger Horst Seehofer jahrelang bis zur Wahl 2018 eine Obergrenze für Zuwanderer gefordert, spricht Söder seit dieser Woche wieder von einer notwendigen «Integrationsgrenze».
Verstärkt wird das Kurs-Dilemma der CSU von einer nachhaltigen Veränderung in der bayerischen Parteienlandschaft: Die Freien Wähler, die lange als «Fleisch vom Fleische» der CSU bezeichnet wurden, haben sich inzwischen erkennbar rechts von der CSU etabliert. Sichtbar wurde dies nicht zuletzt auf der umstrittenen Erdinger Kundgebung gegen das Heizungsgesetz der Bundesregierung.
Und Söder hat sich früh festgelegt, mit den Freien Wählern auch nach der Wahl wieder regieren zu wollen. Das Mantra von Söders großem Vorbild Franz Josef Strauß, dass es rechts von der Union keine demokratisch legitimierte Partei geben dürfe, wurde also gebrochen. Söder selbst hatte 2016 nach Wahlniederlagen der CDU noch lautstark gefordert, diese müsse den «Urauftrag der Konservativen» wieder ernst nehmen, wolle sie dauerhafte Wählerverluste verhindern.
Angesichts der Ausgangslage ist die Bayern-Wahl längst nicht nur für den einstigen Schattenkanzler Söder eine Schicksalswahl. Sollten sich die Umfragen bestätigen und die Freien Wähler mit Zugewinnen an den Kabinettstisch zurückkehren, würde die Volkspartei CSU weiter Boden verlieren. Söders Name wäre dann in den Geschichtsbüchern dauerhaft mit dem Bedeutungsverlust der CSU verbunden.