Produktion/Absatz, Wettbewerb

Keine einzelne Technologie kann ausschlaggebend für eine klimaschonendere Luftfahrt sein - das geht aus einem Bericht des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) hervor.

08.05.2024 - 13:50:03

Klimaschonender fliegen bis 2050 - selbst das wird wohl schwierig

Keine derzeit mögliche Strategie sei für sich genommen ausreichend, um die Emissionsziele zu erreichen, heißt es in einer am Mittwoch vorgestellten Analyse, in der innovative Antriebe für einen klimaverträglicheren Luftverkehr untersucht wurden. Nötig sei stattdessen ein Technologiemix, der die Potenziale unterschiedlicher Bereiche nutze.

Dazu zählen dem TAB zufolge elektrische Antriebe, nachhaltigere Kraftstoffe aus Abfall oder Biomasse, grüner Wasserstoff (H2), die Optimierung von Kraftstoffen, ein nachhaltigeres Flugzeugdesign sowie eine Emissionsreduktion durch Effizienzsteigerungen.

Stefan Gössling von der Linnaeus University in Kalmar (Schweden) fehlt im Bericht eine klare Aussage als Fazit: "Das Ziel einer auch nur annähernd klimaneutralen Luftfahrt ist bis 2050 unerreichbar, sofern nicht deutlich drastischere Maßnahmen wie Besteuerung oder Einspeisequoten getroffen werden." Forschung- und Entwicklungsförderung könne die Probleme nicht lösen und mache außerdem den Staat mitverantwortlich für die Lösung. "Verantwortlich ist die Luftfahrt."

Schnelle Lösungen seien weder bei Antrieben noch bei neuen Kraftstoffen zu erwarten, heißt es vom TAB. "Der Luftfahrtsektor ist geprägt von vergleichsweise langen Entwicklungs- und Zulassungszeiträumen für neue Technologien." Die Entwicklung und Zulassung neuer Flugzeugdesigns oder Triebwerke dauere schätzungsweise bis zu 15 Jahre, die Marktdurchdringung dann noch einmal bis zu 30 Jahre.

Gössling sieht schon im Ausgangspunkt des Berichts - eine umweltverträglichere Luftfahrt bis zum Jahr 2050 - eine Schwäche. "Es ist unklar, warum die Luftfahrt weniger ambitiöse Klimaziele als andere Sektoren erreichen soll, insbesondere, da es sich um einen Wachstumssektor handelt", kritisiert der Professor, der selbst nicht an der Analyse beteiligt war. "Hier wird gern auf die globale Entwicklung verwiesen, dabei aber ignoriert, dass gerade die Deutschen besonders hohe Reiseemissionen verursachen", sagt er. "Diese werden wiederum von nur etwa einem Drittel der Bevölkerung verursacht und hier besonders von den Vielfliegern."

Ungeachtet der Klimakrise steigt die Zahl der Flugreisen weltweit an. Das hat Folgen: "2050 könnten bereits 60 Prozent mehr CO?-Emissionen entstehen als noch 2019", wie es im TAB-Bericht heißt. In der Gesamtbilanz klimafreundlicher zu werden, stelle für die Branche allein schon deshalb eine große Herausforderung dar. In Deutschland stieg die Zahl beförderter Passagiere dem TAB zufolge von etwa 136 Millionen im Jahr 2004 auf rund 227 Millionen im Jahr 2019.

Gössling sieht im Bericht den "wichtigsten Ansatz der Emissionseinschränkung" kaum diskutiert: die Reduzierung der Nachfrage nach Flügen. Dabei gehe es etwa um die Besteuerung vor allem von Langstreckenflügen, die die größten Emissionsbeiträge verursachen. "Etwa 25 Prozent der Flüge mit den weitesten Strecken machen 70 Prozent der Emissionen aus."

Die Klimawirkung des Luftverkehrs ist beachtlich. Die internationale Luftfahrt hat Schätzungen zufolge einen Anteil von rund 3,5 bis 5 Prozent an der menschengemachten Erwärmung, wie es im TAB-Bericht heißt. In Europa verursache der Luftverkehr rund 4 Prozent der gesamten jährlichen Treibhausgasemissionen.

Hinzu kommen Nicht-CO2-Effekte: Rußpartikel, Wasserdampf, Schwefel- und Stickoxide, die aus der Verbrennung von Kerosin entstehen und zur Bildung von Kondensstreifen und Zirruswolken führen. Sie spielen dem TAB zufolge eine weitaus bedeutendere, wissenschaftlich aber noch nicht gänzlich verstandene Rolle. "Die Klimawirkung variiert zudem in Abhängigkeit von den zurückgelegten Strecken, den Reiseflughöhen sowie den eingesetzten Flugzeugen."

Das Büro für Technikfolgen-Abschätzung erwähnt, dass an nachhaltigeren Flugkraftstoffen (Sustainable Aviation Fuels, SAF) geforscht wird, die nicht auf Erdöl basieren. Unterschieden werden Biokraftstoffe und Elektrokraftstoffe (E-Fuels). Letztere ähneln in ihrer chemischen Zusammensetzung fossilen Kraftstoffen wie Kerosin und werden durch Elektrolyse von Wasser in Wasserstoff und die anschließende Umwandlung von Wasserstoff mit CO2 in synthetische Kraftstoffe hergestellt. Die Methode wird Power-to-Liquid-Verfahren, kurz PtL, genannt. Allerdings wäre für die Deckung des Strombedarfs von E-Fuels laut TAB ein massiver zusätzlicher Ausbau der erneuerbaren Energien nötig.

Ein Problem bei der schon länger erprobten Verwendung von Wasserstoff als direktem Treibstoff sei, dass er bei minus 253 Grad in sehr großen, isolierten, schweren Tanks in den Flugzeugen gespeichert werden müsse. Angesichts des technischen Aufwands sei voraussichtlich nicht vor 2035 mit relevanten Anwendungen zu rechnen.

Ein weiteres Problem ist, dass aufgrund der engen globalen Vernetzung des Luftverkehrs eine einheitliche Energieversorgung auf allen Flughäfen gewährleistet sein müsse, heißt es im TAB-Bericht weiter. Parallele Infrastrukturen wären mit zusätzlichen Kosten verbunden. "Auch aus diesem Grund ist ein Wechsel auf eine grundsätzlich andere Energieversorgung mittelfristig nicht zu erwarten."

Gössling hält den TAB-Bericht trotz der gemachten Einschränkungen noch für viel zu optimistisch formuliert. Bei den E-Fuels gebe es bisher nicht einmal funktionierende Pilotanlagen - der Bericht stelle es so dar, als seien nur die benötigten Strommengen ein Problem. "Die Technik ist herausfordernd und schwer skalierbar; sie wird, wenn sie denn funktioniert, gewaltige Strommengen verbrauchen, die an anderer Stelle der Elektrifizierung fehlen werden." Zudem werde der Preis für E-Fuels so hoch sein, dass keine Fluggesellschaft diese freiwillig nutzen werde.

Eine wesentliche Rolle spiele zunächst die Optimierung des Flugbetriebs, heißt es vom TAB. Aerodynamische Verbesserungen wie besonders glatte Oberflächen oder gebogene Flügelspitzen verminderten den Kraftstoffverbrauch. Auch die Flugplanung auf Ebene der Fluggesellschaften und des Flugverkehrsmanagements habe Potenzial zur Senkung der Emissionen. Dabei geht es zum Beispiel um ein verbessertes Luftraummanagement zur Vermeidung von Umwegen, effiziente Flugverfahren wie einen langsameren Sinkflug, die klimaorientierte Optimierung von Geschwindigkeit und Flugprofilen sowie eine erhöhte Flugzeugauslastung. Gezielte Besteuerung sei eine Maßnahme, derlei Entwicklungen zu beschleunigen.

"Ein spezielles Augenmerk könnte auf das Segment der Privatflugzeuge gelegt werden, die insbesondere für Kurzstrecken genutzt werden", heißt es vom Büro für Technikfolgen-Abschätzung. "Hier zeigt sich in Deutschland eine erhebliche Zunahme der durchgeführten Flüge, verbunden mit einem unverhältnismäßigen Anteil an klimaschädlichen Emissionen."

Auch Gössling sieht es als wichtig an, bei Maßnahmen gezielt zu berücksichtigen, wer pro Kopf besonders viele Emissionen verursache - nämlich eine sehr kleine Gruppe von Vielfliegern mit mehr als zehn Flugreisen pro Jahr. Diese Gruppe fliege häufig in der Premium-Klasse, die wiederum drei- bis fünfmal höhere Emissionen verursache als die Economy Class. "Diese Gruppe einzuschränken beziehungsweise zu mehr Flügen in der Economy zu zwingen, hat ein sehr hohes Emissionsminderungspotenzial", ist Gössling überzeugt. "Hilfreich wäre hier auch ein Verbot von Frequent Flyer Bonusprogrammen, die zu weiteren Reisen und Upgrades ermuntern."

@ dpa.de