Die Länder haben Fortschritte in der Asylpolitik zur Bedingung für den vom Kanzler geforderten «Deutschlandpakt» gemacht.
11.10.2023 - 17:57:06Spitzengespräch im Kanzleramt und «Migrationspaket». Jetzt könnte es da Bewegung geben.
Kurz nach den Landtagswahlen in Hessen und Bayern deutet sich Bewegung beim Streitthema Migrationspolitik an. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bat die Union und Vertreter der Bundesländer für Freitag zu einem Spitzengespräch. Er rief Union und Länder zur Zusammenarbeit mit der Regierung in der Migrationspolitik auf. Zudem legte die Regierung am Mittwoch einen Gesetzentwurf für erleichterte Abschiebungen vor und kündigte an, noch bestehende Arbeitsverbote für Geflüchtete demnächst größtenteils aufheben zu wollen. Vizekanzler Robert Habeck sagte, die Regierung mache mit diesem «Migrationspaket» wichtige und notwendige Schritte, um die Probleme besser in den Griff zu bekommen.
Dass in der Migrations- und Asylpolitik Handlungsbedarf besteht, mahnen Länder und Kommunen, die sich um die Unterbringung und Versorgung einer wachsenden Zahl von Schutzsuchenden kümmern müssen, seit Monaten an. Auch in den Wahlkämpfen in Hessen und Bayern, wo die Ampel-Parteien Verluste hinnehmen mussten, spielte die Asylpolitik eine nicht unwesentliche Rolle - obgleich Entscheidungen dazu hauptsächlich auf Bundesebene getroffen werden.
Scholz betonte am Mittwochabend bei einer Wirtschaftskonferenz der SPD-Fraktion, die Migrationspolitik sei «ein Thema, wo der Staat zeigen muss, dass er auch Dinge unter Kontrolle hat». «Wichtig ist, dass wir in dieser Frage zusammenarbeiten.» Deshalb habe er die Sprecher der Ministerpräsidentenkonferenz, Boris Rhein (CDU) und Stephan Weil (SPD) sowie den «Oppositionsführer», CDU-Chef Friedrich Merz, für Freitagabend zu einem Gespräch eingeladen. Merz nimmt die Einladung an. Ein Sprecher der Unionsfraktion bestätigte der dpa den Eingang einer Einladung zu einem Gespräch über Migration.
Gesetzentwurf vorgestellt
Über die Herausforderungen durch die gestiegene Zahl von Ukraine-Flüchtlingen und Asylbewerbern werden die Regierungschefs der Länder ab Donnerstag bei einem Treffen in Frankfurt am Main sprechen. Die Länder verlangen eine an die Zahl der Ankommenden gekoppelte Beteiligung des Bundes an den Kosten sowie eine beschleunigte Rückführung abgelehnter Asylbewerber. Scholz betonte, es gebe zu viel irreguläre Migration nach Europa und nach Deutschland. Zugleich aber brauche das Land auch dringend einen Zuwachs von Fachkräften, also reguläre Migration.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) stellte am Mittwoch einen Gesetzentwurf vor, der nach Angaben ihres Ministeriums in Kürze vom Bundeskabinett beraten werden soll. Er zielt darauf ab, die Zahl von Abschiebungen, die im letzten Moment scheitern, zu reduzieren. Außerdem sollen die Ausländerbehörden durch verlängerte Fristen entlastet werden. Länder und Verbände könnten nun zu dem Entwurf Stellung nehmen, hieß es aus dem Innenministerium. Parallel laufe die weitere Abstimmung innerhalb der Bundesregierung. Zuvor hatte das ARD-Hauptstadtstudio darüber berichtet.
Laut Entwurf soll die Höchstdauer des Ausreisegewahrsams von 10 auf 28 Tage verlängert werden. Damit erhielten die Behörden mehr Zeit, eine Abschiebung vorzubereiten. Scholz sagte dazu: «Das ist kein einfacher Schritt, aber einer, der dazugehört, wenn man die Effizienz des ganzen Systems gewährleisten will.» Er hoffe, dass die Länder bei ihren Gesprächen bis zum Freitag ähnliche Vorschläge machten wie die Bundesregierung. «Spricht alles dafür, wenn ich so höre, was da diskutiert wird», sagte Scholz.
Erleichtert werden soll zudem die Ausweisung von Schleusern. Bei Mitgliedern krimineller Vereinigungen sollen hinreichende Tatsachen, die eine Mitgliedschaft belegen, für eine Ausweisung ausreichen - unabhängig von einer individuellen strafgerichtlichen Verurteilung. Ist ein Ausreisepflichtiger in Haft, müsste ihm, wenn die Pläne so beschlossen werden sollten, eine Abschiebung künftig nicht mehr angekündigt werden. Ermöglicht werden soll außerdem die Durchsuchung von Wohnungen nach Datenträgern und Unterlagen, um die Identität eines Ausländers zweifelsfrei klären zu können.
Faeser: Irreguläre Migration deutlich begrenzen
Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP heißt es: «Wir starten eine Rückführungsoffensive, um Ausreisen konsequenter umzusetzen, insbesondere die Abschiebung von Straftätern und Gefährdern.»
Um der humanitären Verantwortung für die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine gerecht zu werden und das Grundrecht auf Asyl zu schützen, sei es notwendig, die irreguläre Migration deutlich zu begrenzen, sagte Faeser. Sie greift in ihrem Entwurf auch Vorschläge einer Arbeitsgruppe von Bund, Ländern und Kommunen auf, die nach einem Treffen im Bundesinnenministerium Mitte Februar gebildet worden war. Beispielsweise sollen Aufenthaltserlaubnisse von subsidiär Schutzberechtigten künftig nicht nur ein Jahr, sondern drei Jahre gültig sein. Die Gültigkeitsdauer von Aufenthaltsgestattungen im Asylverfahren soll von drei auf sechs Monate verlängert werden. Beides soll für eine Entlastung der Behörden sorgen. Subsidiär schutzberechtigt sind Menschen, die stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass ihnen im Herkunftsland ernsthafter Schaden droht.
«Die Verschärfung der Rückführungsregeln ist überfällig», sagte die stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Andrea Lindholz (CSU). Einiges von dem, was nun in dem Entwurf von Faeser enthalten sei, sei von der Union schon 2019 vorgeschlagen, damals aber von der SPD blockiert worden.
Habeck kündigte an, weitere Arbeitsverbote für Geflüchtete sollten wegfallen. Es sei beispielsweise vereinbart worden, «dass Beschäftigungserlaubnisse für Geduldete künftig im Regelfall erteilt werden sollen, statt der bisherigen Ermessensregelung». In Form eines Gesetzentwurfs ist das aber noch nicht ausbuchstabiert. Faeser sagte der «Rheinischen Post», die Bundesregierung habe sich darauf geeinigt, dass künftig Geflüchtete, die eine gute Bleibeperspektive haben, nach spätestens sechs Monaten arbeiten dürften anstatt erst nach neun Monaten.
«Außerdem regeln wir, dass bei Geduldeten künftig im Regelfall eine Beschäftigungserlaubnis erteilt werden soll», sagte Faeser. Es gelte aber, «wer aus einem sicheren Herkunftsland kommt oder wessen Asylantrag offensichtlich unbegründet ist, darf weiterhin nicht arbeiten».
Schneller, moderner und sicherer
Scholz hatte den Begriff «Deutschlandpakt» bei einer Generaldebatte im Bundestag eingeführt und eine nationale Kraftanstrengung zur Modernisierung des Landes gefordert. Dazu sollten Ampel-Koalition, Opposition, Länder und Kommunen besser als bisher zusammenarbeiten, um Deutschland schneller, moderner und sicherer zu machen.
Zuletzt hatte Hessens Ministerpräsident Rhein, der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, gesagt, er wolle den Pakt ablehnen, falls zentrale Fragen der Migration nicht aufgenommen würden. Merz machte nach den Landtagswahlen in Hessen und Bayern ebenfalls deutlich, die Bundesregierung müsse ihre Politik ändern.
Zwischen Anfang Januar und Ende September haben in Deutschland 233 744 Menschen erstmals einen Asylantrag gestellt, rund 73 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum.