Der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff, der einst mit dem Satz "Der Islam gehört zu Deutschland" für gesellschaftspolitische Diskussionen sorgte, hat für mehr Gelassenheit und Toleranz im Umgang mit Muslimen in Deutschland geworben.
11.03.2024 - 16:58:23Wulff mahnt zu mehr Toleranz bei Ramadan-Diskussion
Das "Aufeinanderzugehen" sei ein "ganz wichtiges Signal in einer Zeit, wo der Kapitän unserer Fußballnationalmannschaft Moslem ist, wo 5.000 muslimische Soldatinnen und Soldaten in der Bundeswehr Dienst tun, ihr Leben riskieren für unser Land und für unsere Freiheit. Und da ist das ein Ausweis auch von Realität, dass es bei uns ja Muslime gibt und dass es auch Moscheegemeinden gibt und dass es auch ein muslimisches Leben gibt. Also, ich würde sagen, mal ein bisschen sich der wirklichen Themen zuwenden, der wirklich wichtigen Themen zuwenden, als so eine Debatte aus einer Kommune bundesweit auszurollen." Bei den Ramadan-Diskussionen handele es sich um "Kultur-Identitätsthemen, wo einige Leute eigentlich auch generell gegen Religionen sind", glaubt Wulff. "Es hat ja auch mit der Säkularisierung zu tun, dass das Christentum kämpft, dass die Kirchenaustrittszahlen zunehmen." Aus seiner Zeit als Ministerpräsident wisse er, dass es sich leichter regieren lasse, "wenn ich viele Christen habe, die sich engagieren aus christlicher Nächstenliebe, wenn ich Juden habe, wenn ich auch Muslime habe, die sich für ihr Leben verantworten wollen, als wenn ich die Religion aus dem öffentlichen Raum verbanne." Wulff weiter: "Ich möchte, dass in Kindergärten, in Schulen christliche Weihnachtslieder gesungen werden. Dann kann man aber auch mal ein muslimisches Lied singen. Wenn man Weihnachten ausgiebig feiert, kann man auch mal Verständnis für den Ramadan haben. Aber wenn ich so religionsfeindlich bin wie manche, dann muss ich mich auch nicht wundern, dass das Christentum zurückgedrängt wird. Nein, Weihnachten, das wollen wir überall feiern. Aber dann kann man auch zulassen, dass auch derer gedacht wird, die jetzt den Ramadan feiern." Dennoch brauche der Islam in Deutschland auch Regeln, so Wulff, der auch Vorsitzender der Deutschlandstiftung Integration ist. Dazu zähle etwa "islamischen Religionsunterricht an den Schulen in deutscher Sprache" oder Imamausbildung in Deutschland, "damit sie nicht aus dem Ausland entsandt werden und das Ausland Einfluss auf die Muslime hier ausdehnt. Das wollen wir nicht. Und wenn wir das nicht wollen, dann müssen wir das Thema hier aufgreifen und hier angehen und nicht so fremdenfeindlich intolerant agieren, als hätten wir das Grundgesetz nicht verstanden." Den Schutz der Außengrenzen oder Asylverfahren in Drittstaaten nannte Wulff "kluge Vorschläge", die man diskutieren könne. Auch bei den Abschiebungen "gibt es ein Handlungsdefizit der Politik, das beklage ich auch", so Wulff. "Aber ich beklage natürlich genauso, dass wir unter dem Gesichtspunkt von Integration über Kleinkriminalität, über Terror, über Überforderung, über Sozialmissbrauch diskutieren, aber nicht sehen, was für ein Potenzial junger Menschen wir dort haben." In diesem Zusammenhang warnte Wulff vor einem Erstarken der AfD. "Die haben nicht eine einzige Lösung, die für unser Land gut wäre," so Wulff. Die AfD wolle aus Europa raus und das Volk selektieren. "Der gehört dazu - und der gehört nicht dazu. Herr Höcke hat gesagt, wir werden einige Teile verlieren, die zu schwach sind. Wie die Nazis damals. Herr Höcke hat gesagt, wir machen keine halben Sachen. Und das als Deutscher vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte - `Wir Deutschen machen keine halben Sachen`- da läuft es mir kalt den Rücken runter. Das sind wirkliche Rechtsextremisten, die unser Land grundlegend verändern wollen. Und die gucken nach autoritären Staaten wie der Türkei, wie Russland, wie China, die sich von der Demokratie wegbewegt haben oder gar keine je hatten wie China und Russland. Das sind Vorbilder der AfD." Ein AfD-Verbot hält Wulff durchaus für eine Option. "Über ein Verbot, über Entziehung von Bürgerrechten muss immer wieder diskutiert werden. Das haben die Väter des Grundgesetzes deshalb ins Grundgesetz reingeschrieben, damit wir gegen solche Gegner der freiheitlichen Ordnung vorgehen können. Aber es ist ein jahrelanger Prozess. Der gehört in die Diskussion des Parlaments, des Bundesrates, der Bundesregierung." Er selbst wolle eher mit Argumenten gegen die AfD überzeugen: "Menschen wie ich sollten sich darauf konzentrieren, sich inhaltlich programmatisch mit der AfD auseinanderzusetzen und den Bürgerinnen und Bürgern zu sagen: Die AfD würde unser Land ins Verderben führen; lest, was sie schreiben, was sie sagen - und nehmt Abstand, diese Partei zu wählen."