Bei einer großen Supermarktkette ist die gute alte Gehaltsabrechnung auf Papier passé - eine Verkäuferin zweifelt die digitale Variante an und klagt sich bis in die höchste Arbeitsgerichtsinstanz in Erfurt.
28.01.2025 - 06:33:28Digitaler Alltag: Bundesarbeitsrichter setzen Regeln
Die Bundesarbeitsrichter beschäftigen sich am Dienstag nicht nur in ihrem Fall mit der Frage, wie digital darf der Arbeitsalltag für Millionen Menschen sein und welche Regeln gelten. Verhandelt werden zwei sehr unterschiedliche Fälle aus Niedersachsen und Bayern, erwartet werden Entscheidungen mit grundsätzlicher Bedeutung.
Worum geht es im Fall der Supermarktverkäuferin?
Hinter ihrem Fall steht die grundsätzliche Frage: Dürfen Gehaltsabrechnungen und andere Personaldokumente ausschließlich digital in ein passwortgeschütztes Mitarbeiterportal geschickt werden? Immer mehr Unternehmen gehen dazu über, sagen Fachleute. Die Supermarktkette hat die Einführung des digitalen Mitarbeiterportals per Betriebsvereinbarung mit Übergangsfristen geregelt, Dokumente können bei Bedarf auch in der Arbeitsstelle ausgedruckt werden. Die Klägerin und ihr Arbeitgeber streiten nun seit vielen Monaten darüber, ob die Entgeltabrechnung auf elektronischem Weg ordnungsgemäß erteilt ist oder nicht.
Wie ist die Rechtslage?
Nicht sehr eindeutig. Arbeitsrechtler verweisen auf die Gewerbeordnung. Dort heißt es im Passus Abrechnung von Arbeitsentgelt: "Dem Arbeitnehmer ist bei Zahlung des Arbeitsentgelts eine Abrechnung in Textform zu erteilen. Die Abrechnung muss mindestens Angaben über Abrechnungszeitraum und Zusammensetzung des Arbeitsentgelts enthalten."
Die Kassiererin argumentiert in ihrer Klage, die Abrechnungen seien durch das digitale Mitarbeiterpostfach nicht erteilt worden. Sie habe dafür keine Zustimmung erteilt - die Betriebsvereinbarung könne ihre Zustimmung nicht ersetzen. Ihr Arbeitgeber ist der Meinung, maßgeblich sei nicht, ob die Klägerin mit der Übermittlung per elektronischem Postfach einverstanden sei, sondern ob ihr das zugemutet werden könne. Das sei der Fall, weil sie ihren Widerspruch digital vorgebracht habe.
Was wird erwartet?
Arbeitsrechtler rechnen mit einer grundsätzlichen Entscheidung. "Kann ein Arbeitgeber sagen, Personalinformationen gibt es nur noch online?", darauf sollte es eine Antwort geben, so eine Juristin. Und es gehe auch darum, ob im konkreten Fall aus Niedersachsen alles richtig gemacht wurde. Der Rechtsanwalt Raphael Hillus von der Düsseldorfer Kanzlei Noerr geht noch weiter: Bei der Entscheidung stehe die grundsätzliche Frage, ob die Digitalisierung der Arbeitswelt auch gegen den Willen der Mitarbeiter vom Arbeitgeber weiter vorangetrieben werden kann, erklärte er.
Die Vorinstanzen in Niedersachsen haben unterschiedlich geurteilt: Das Arbeitsgericht wies die Klage der Verkäuferin ab. Das Landesarbeitsgericht gab ihr recht. Es forderte die Supermarktkette auf, der Frau weiterhin monatliche Abrechnung in Papierform zu geben.
Worum geht es im zweiten Fall?
Ebenfalls um Veränderungen im Arbeitsalltag - der für viele Frauen und Männer digitaler und mobiler wird. Der Erste Senat mit Gerichtspräsidentin Inken Gallner an der Spitze beschäftigt sich mit Gewerkschaftsrechten in der digitalen Arbeitswelt. Es geht darum, wie Gewerkschaften Arbeitnehmer erreichen können, die häufig mobil arbeiten und nur noch selten an ihrem Arbeitsplatz im Betrieb anzutreffen sind.
Die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie verlangt von einem großen Sportartikelhersteller die Herausgabe dienstlicher E-Mail-Adressen von Beschäftigten oder zumindest einen Gastzugang über eine eigene E-Mail-Adresse. Die IG BCE pocht damit auf ein digitales Zugangsrecht für ihre Mitgliederwerbung und -information. Die Gewerkschaft verweist auf ihre verfassungsrechtlich geschützten Betätigungsfreiheit. In den Vorinstanzen hatte sie keinen Erfolg mit ihrer Klage.
Wie ist die bisherige Praxis?
Nach verschiedenen Urteilen des Bundesarbeitsgerichts dürfen Gewerkschaften, die beim jeweiligen Unternehmen auch die Tarifzuständigkeit haben, Mails zu Werbezwecken auch ohne Einwilligung des Arbeitgebers an betriebliche E-Mail-Adressen schicken. Neu am Fall aus Bayern ist, dass der Arbeitgeber das nicht nur dulden soll, sondern aktiv werden müsste, um den Arbeitnehmervertretern elektronisch Zugang zu verschaffen - durch Mail-Adressen oder sogar einen Auftritt im betrieblichen Intranet.
"Gesetzliche Regelungen dazu gibt es nicht", sagt ein Arbeitsrechtler. Deshalb würden mit einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts Regeln für viele Gewerkschaften und Unternehmen gesetzt.