Deutschland hofft auf ein Sommermärchen 2.0Köln -- Atradius: "Wirtschaftsstandort in ausgewachsenem Formtief."- Branchen unter Druck, mehr Insolvenzen und LiquiditätsproblemeWenn am 14.
07.06.2024 - 10:07:21Atradius Kreditversicherung / Deutschland hofft auf ein Sommermärchen 2.0
Deutschland hofft auf ein Sommermärchen 2.0Köln (ots) -
- Atradius: "Wirtschaftsstandort in ausgewachsenem Formtief."- Branchen unter Druck, mehr Insolvenzen und Liquiditätsprobleme
Wenn am 14. Juni die UEFA-Europameisterschaft 2024 beginnt, hofft ganzFußball-Deutschland auf ein Sommermärchen 2.0. Auch die heimische Wirtschafthofft - darauf, dass die EM die lahmende Konjunktur ankurbelt. "Während unsereNationalmannschaft nach der zumeist erfolgreichen Vorbereitung fit für dieEuropameisterschaft zu sein scheint, steckt der Wirtschaftsstandort Deutschlandin einem ausgewachsenen Formtief", sagt Thomas Langen, Senior Regional DirectorDeutschland, Mittel- und Osteuropa von Atradius. Tatsächlich spricht nicht vielfür eine kurzfristige Rückkehr auf den Erfolgspfad.
Deutschland steckt in der Krise. Laut Oxford Economics wird das deutscheBruttoinlandsprodukt (BIP) in diesem Jahr erneut stagnieren, nach einemNullwachstum im Jahr 2023. Für 2025 wird ein bescheidener Aufschwung von 1,3Prozent erwartet. Die Exporte werden 2024 nur um 0,3 Prozent wachsen, nachdemsie 2023 um 1,3 Prozent sanken. "Große internationale Turniere können denVolkswirtschaften einen dringend benötigten Auftrieb geben, aber derzeit ist dieStimmung trotz der anstehenden EURO 2024 eher gedämpft", betont Thomas Langen.Laut einer Umfrage im Gastgewerbe erwarten nur 16 Prozent der Befragten, dasssich das Turnier positiv auf Buchungen oder Umsatz auswirken werde.
Ähnlich sieht es bei Deutschlands Industrieunternehmen aus. Auch wenn sie Lichtam Ende des Tunnels sehen, so ist es doch schwach und noch weit entfernt.Atradius geht davon aus, dass die Industrieproduktion in diesem Jahr um etwa einProzent zurückgehen wird, bevor sie sich in 2025 auf drei Prozent Wachstumerholt. Die Unternehmensinvestitionen haben wahrscheinlich ihren Tiefpunkterreicht und könnten 2024 weiter ansteigen, aber mit 0,4 Prozent blieben sie imhistorischen Vergleich schwach. Mangelnde Investitionen könnten die deutschenUnternehmen weniger effizient und wettbewerbsfähig machen, wenn dieWeltwirtschaft 2025 und darüber hinaus expandiert.
Wettbewerbsfähigkeit energieintensiver Industrien beeinträchtigt
Die Energiekrise hat sich zwar entspannt, aber die Gaspreise dürften sich aufeinem höheren Niveau als vor der Pandemie einpendeln und dieWettbewerbsfähigkeit energieintensiver Industrien beeinträchtigen. DieVerbraucherausgaben dürften 2024 wieder ansteigen, wenngleich nicht zu erwartensei, dass sie bis zum Ende des Jahres das Niveau vor der Pandemie erreichen."Starke Lohnzuwächse werden den Verbrauchern mehr Geld zum Ausgeben geben, aberdie trübe Stimmung könnte dazu führen, dass viele ihre Ersparnisse aufstocken,anstatt Geld auszugeben", schätzt Thomas Langen.
Vor diesem Hintergrund sehen sich zahlreiche Unternehmen mitZahlungsverzögerungen konfrontiert. Eine Welle weltweiter Insolvenzen treffe dasexportabhängige verarbeitende Gewerbe. Gleichzeitig kämpften die Unternehmen mitder hohen Inflation und hohen Zinssätzen. Daher ist es keine Überraschung, dassim jüngsten Atradius-Barometer zur Zahlungsmoral rund die Hälfte der befragtendeutschen Unternehmen angaben, dass sie Zahlungsprobleme mit ihren Kunden haben.Thomas Langen: "Alles in allem erwarten wir, dass sich die finanzielle Situationdeutscher Unternehmen 2024 weiter verschlechtern wird."
Deutsche Automobilindustrie unter besonderem Druck
Besonders unter Druck stehen aktuell die Automobilhersteller und -zulieferer.Die weltweite Nachfrage schwächt sich ab, die Umstellung auf Hybrid- undElektrofahrzeuge gewinnt an Fahrt. Zahlen von Oxford Economics zeigen, dass dasWachstum der deutschen Automobilproduktion von 12,8 Prozent im Jahr 2023 auf 3,0Prozent im Jahr 2024 und 1,3 Prozent im Jahr 2025 zurückgeht.
Das treffe die Hersteller erst mit der Zeit, aber kurzfristig stelle derProduktionsrückgang die Automobilzulieferer vor Herausforderungen. "In denletzten Monaten haben Insolvenzen und Turbulenzen bei Tier-2- undTier-3-Zulieferern zugenommen", sagt Jens Stobbe, Manager Atradius Risk ServicesDeutschland, und ergänzt: "Jüngste Berichte zahlreicher Zulieferer überWerksschließungen, Stellenabbau und Kostensenkungsprogramme lassen vermuten,dass die Krise nun auch diese Unternehmen voll erfasst hat. Da wir für 2024einen Absatzrückgang erwarten, dürfte auch die Zahl der Zuliefererschäden weitersteigen." Längerfristig müssten die deutschen Automobilhersteller erheblichinvestieren, um mit den chinesischen Konkurrenten auf dem aufstrebenden Marktfür Elektrofahrzeuge Schritt zu halten. Jens Stobbe: "Wir erwarten, dass innaher Zukunft mehr erschwingliche Elektrofahrzeuge aus Fernost auf dieeuropäischen Märkte kommen werden."
Chemieproduzenten sind robust
Deutschland ist der mit Abstand größte Chemieproduzent in Europa. Alsenergieintensiver Industriezweig leidet die Produktion jedoch weiter unter denmassiven Gaspreiserhöhungen von 2022. Die Chemieproduktion in Deutschland ging2022 um zwölf Prozent zurück, gefolgt von einem Rückgang um neun Prozent im Jahr2023. Die gute Nachricht sei, so Thomas Langen, dass die Produktion 2024voraussichtlich um 1,6 Prozent und 2025 um 1,1 Prozent leicht ansteigen werde."Die Branche ist robust und verfügt über eine starke Kapitalisierung, einenguten Zugang zu externer Finanzierung und ein ausgewogenes Schuldenprofil."
Längerfristige Sorgen bleiben jedoch bestehen. Die Gaspreise werden vermutlichauf unbestimmte Zeit über dem Vorkrisenniveau bleiben, da Europa russisches Gasdurch weltweite Importe von Flüssigerdgas ersetzt. Die europäischen Vorschriftenwerden weiter verschärft. Diese Faktoren beeinträchtigen die Fähigkeit derdeutschen Produzenten, mit amerikanischen und asiatischen Konkurrenten zukonkurrieren. "Unternehmen, die nicht in der Lage sind, die gestiegenenProduktionskosten an ihre Kunden weiterzugeben, könnten Probleme mit demCashflow bekommen und damit ein Kreditrisiko für ihre Lieferanten darstellen",sagt Olaf Gierlichs-Steffens, Senior Underwriter bei Atradius Risk ServicesDeutschland. "Das größte Risiko ist die Möglichkeit, dass die Hersteller ihreProduktion in Länder verlagern, in denen die Energiekosten niedriger sind.
Geringe Nachfrage behindert die Erholung des Metallsektors
Die Zahlen von Oxford Economics zeichnen auch ein düsteres Bild des deutschenMetall- und Stahlsektors: Die Produktion von Basismetallen wird bis 2024voraussichtlich um 3,2 Prozent sinken, nachdem sie im vergangenen Jahr um 1,7Prozent zurückgegangen war. Die Branche leidet unter der geringen Nachfrage derKunden. Die Auswirkungen des stagnierenden Wirtschaftswachstums ziehen sichdurch die gesamte Lieferkette und beeinträchtigen das Geschäft auf allen Ebenen.Die Energiekrise hat auch die Metallerzeuger getroffen, die Kosten liegenweiterhin über dem historischen Niveau. Die Preise stehen unter Druck, dieNachfrage nach Lagerbeständen lässt nach, dünnere Gewinnspannen verringern dieEinnahmen. Atradius erwartet daher für 2024 steigende Zahlungsverzögerungen undmehr Insolvenzen. "Deutschland wird auch in nachhaltigeMetallproduktionskapazitäten investieren müssen, um die bestehende Produktion zuersetzen", sagt Michael Prüfer, Manager Risk Services bei Atradius Deutschland."Trotz staatlicher Unterstützung stellen die Investitionen eine großeHerausforderung für die Branche dar."
Insolvenzen im Maschinenbau
Die Maschinenbauproduktion wird laut Oxford Economics 2024 um 3,2 Prozentschrumpfen. Für 2025 wird ein Aufschwung von 1,6 Prozent prognostiziert. MitAusnahme des Verteidigungssektors sind die Auftragseingänge von Kunden in allenBereichen rückläufig. Die Zahl der Insolvenzen ist 2023 gestiegen und werde 2024wahrscheinlich weiter wachsen. "Die Situation verschärft sich durch diezunehmende Zahl von Zahlungsausfällen bei Lieferungen an deutscheMaschinenbauer", sagt Jens Stobbe und fügt hinzu: "Sie liegen derzeit 40 Prozenthöher als im Vorjahr und deutlich über dem Niveau vor Covid. Unsere Zahlendeuten darauf hin, dass die Unternehmensinsolvenzen im Maschinenbau spürbarzunehmen werden."
Deutschland im Abseits - aber noch im Spiel
So wie die deutsche Nationalmannschaft nach den Rückschlägen bei derWeltmeisterschaft in Katar 2022 und der pan-europäischen EM im Jahr 2020 wiederden Weg in die Erfolgsspur zurückgefunden zu haben scheint, herrscht auf bei derdeutschen Industrie das Prinzip Hoffnung. "Zahlungsverzug undLiquiditätsprobleme nehmen tendenziell zu. Aber es ist nicht alles verloren. Diedeutsche Industrie hat zwar zu kämpfen, ist aber nach wie vor sehrwiderstandsfähig und gut geführt", sagt Thomas Langen und ergänzt: "DieWirtschaftslenker werden auf das Jahr 2025 blicken und auf Anzeichen einerRückkehr zur alten Form hoffen."
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