Frankfurt-News, Nasdaq

Ali Masarwah erinnert daran, dass der Nasdaq 100 kein echter Tech-Index ist.

12.02.2024 - 11:38:31

Börse Frankfurt-News: Mit dem Nasdaq 100 das perfekte Investstment geschaffen

Er betont, dass Indizes ebenso Glaubenskonstrukte seien wie die eigenen Investmententscheidungen.

12. Februar 2024. Systematisch handelnde Anleger neigen dazu, sich feste Regeln zu setzen. Die werden oft zu Glaubenssätzen. Bestes Beispiel hierfür sind Indizes. Sie gelten als Maß aller Objektivität, weil sie festen Regeln folgen. Gerade ETF-Anleger schwören auf die Effizienz der Märkte. Alle Informationen sind in den Kursen enthalten, und dann braucht man sich nicht um die Einschätzungen von Fondsmanagern zu kümmern. Anleger aus Fleisch und Blut gelten als irrational, weil sie emotional, unreflektiert handeln, oder weil sie einen zu verengten Blick auf das Geschehen hätten.

Aber auch Indizes sind menschengemacht. Was wäre, wenn das Konzept eines höchst erfolgreichen Index auf Zufall, Missverständnissen und sogar auf brillantem Marketing fußte? Unser Beispielindex enthält die größten Aktien, die an einer noch jungen Börse gelistet sind, er schließt eine der wichtigsten Branchen der Wirtschaft aus und lässt die Kurse weitgehend laufen, ohne auf Klumpenbildung zu achten. Die Indexbestandteile sind auch deshalb dort gelistet, weil die Verantwortlichen der Börse gut im Marketing sind. So viel zum Thema Index-Objektivität!

Dieser schreckliche Index hört auf den Namen Nasdaq 100. Er bringt die größten 100 Unternehmen von der gleichnamigen Börse zusammen. Er schließt dabei Finanzunternehmen aus. Die Nasdaq wurde in den 1970-er Jahren als erste Börse gegründet, an der der Handel elektronisch abgewickelt wird. Man umgab sich zudem mit einer fortschrittlichen (Marketing-)Aura und umwarb als Listing-Ort dynamisch wachsende Börsenkandidaten. Aus der Börse, an der per Computer gehandelt wird, wurde in der allgemeinen Wahrnehmung eine "Computerbörse", die irgendwann zu einer "Technologiebörse" mutierte. Aber das ist sie gerade nicht. Im Nasdaq 100 finden sich jede Menge Konsumgüter-Aktien wie Starbucks, PepsiCo oder Costco. An der Nasdaq lassen sich Unternehmen listen, die sich als "Growth"-Champions verstehen.

Der Wilshire 5000-Index umfasst so ziemlich alle Aktien, die an US-Börsen gelistet sind. Er ist der repräsentativste Index, den man sich für den US-Markt vorstellen kann. Er ist weitgehend unbekannt. Ist der Nasdaq 100 also nur ein Missverständnis? Eine miese, missratene Benchmark, ein schlechter Investment-Case? Wer diese Meinung vertritt, dürfte nicht nur von den Anlegern belächelt werden, deren Nasdaq-100-ETF in den vergangenen 20 Jahren ein Plus von über 1.100 Prozent gemacht hat und allein in den vergangenen fünf Jahren um jährlich 22 Prozent stieg. Das war kein Zufall: Der Nasdaq 100 bringt mit den großen Plattformen die Gewinner der Digitalisierung und Träger der KI-Revolution zusammen, die sich in verschiedenen Branchen tummeln (Alphabet und Meta gehören zum Telekom-Sektor, Amazon und Tesla sind Konsum-Titel).

Indizes sind gedankliche Konstrukte. Manche werden durch unser Handeln zur Anleger-Realität, indem ETFs sie tracken und Fonds sie zur Benchmark machen. Aktuell einigen sich immer mehr Menschen darauf, dass die gedanklichen Konstrukte für ihre Wirklichkeit maßgeblich sind. Milliarden von Euro und Dollar, die in Nasdaq-Trackern und Growth-Fonds stecken, bezeugen diese neue Wirklichkeit.

Unsere Wahrnehmung der Realität hängt also nicht nur von objektiven Fakten ab - wir erschaffen sie uns mitunter selbst. So manche Realität wird von menschlichen Interaktionen und gemeinschaftlichen Deutungen der Wirklichkeit erst erschaffen. Das klingt abgehoben? Nun, unsere Sprache ist vielleicht das beste Beispiel für intersubjektive Realität. Wir haben uns innerhalb einer Gruppe darauf verständigt, Wörter, Ausdrücke, Grammatiken zur Verständigung zu nutzen. Das eint uns - und grenzt uns von anderen Gruppen ab. So ist auch Geld deshalb eine anerkannte Währung, weil es auf einer gesellschaftlichen Vereinbarung basiert. Auch die Bundesrepublik Deutschland und ihre Normen und Werte, die im Grundgesetz verankert sind, sind zunächst nur Konstrukte unserer Gedankenwelt. Sie sind allerdings für die 84 Millionen Menschen, die in Deutschland leben, real. Weil die Mehrheit der Meinung ist, dass Demokratie die beste Staatsform ist, haben wir uns Regeln geschaffen, die für alle verbindlich sind.

Wer außerhalb der so erschaffenen Realitäten steht, ist gewissermaßen "ver-rückt" - er oder sie haben andere Normen und Werte. Im schlimmsten Fall hat ein zerbrochener Konsens ernste Konsequenzen - etwa Bürgerkriege, wenn vollkommen konträre Vorstellungen mehrerer verfeindeter Gruppen über die Gestaltung der gesellschaftlichen Ordnung aufeinanderprallen.

Aber folgen nicht die Analyse und die Einschätzungen zur Attraktivität der Aktien, die den Nasdaq 100 bilden, objektiven Regeln? Ja, aber es gibt eben derer viele. Wer das Forward-KGV von Nvidia zum Maßstab seiner Bewertung nimmt, landet bei der Erkenntnis, dass auch nach der Kursverfünffachung in etwas mehr als einem Jahr "noch was geht". Wer dagegen das rückwärtsblickende (TTM-)KGV von Nvida nimmt, wendet sich mit Grausen von der Aktie ab.

Investieren ist auch eine Glaubenssache. Das ist kein Problem, solange wir nicht unseren Glauben verabsolutieren und zu Ideologen werden. Wer investiert, muss für andere Deutungen des Geschehens offen sein. Werte wandeln sich, Realitäten wandeln sich, Anlegermeinungen sind Veränderungen unterworfen. Wer diese Seite der Gleichung ignoriert, landet am Ende bei einem richtig miesen Investment.

Von: Ali Masarwah, 12. Februar 2024, © envestor.de

Ali Masarwah ist Fondsanalyst und Geschäftsführer von envestor.de, eine der wenigen Fondsplattform, die Cashbacks auf Fonds-Vertriebsgebühren zahlt. Masarwah analysiert seit über 20 Jahren Märkte, Fonds und ETFs, zuletzt als Analyst beim Research-Haus Morningstar. Seine Expertise wird auch von zahlreichen Finanzmedien im deutschsprachigen Raum geschätzt.

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