Die Börse ist keine Einbahnstraße
28.12.2006 - 13:09:51Die Börse ist keine Einbahnstraße. Dirk Kirschbaum sieht seinen Leitspruch bestätigt...
Zum Jahresausklang befragte Instock Börsenexperten über ihre Sicht auf 2006 und 2007. Heute: Dirk Kirschbaum, Gründer und Geschäftsführer der Kirschbaum Derivate-Investments GmbH.
Instock:
Mit welchen Erwartungen sind Sie in das Börsenjahr 2006 gestartet? Sind Sie zufrieden?
Kirschbaum:
Wer mich kennt weiß, dass ich immer dann vorsichtig werde, wenn zu viele dasselbe denken. So haben wir uns für die aktuelle Aktien-Hausse bereits in Zeiten positioniert, als der Irak-Konflikt und das Platzen der New Economy-Blase für eine regelrechte Depression unter den Aktionären gesorgt haben. Damals geisterten Kursziele für den Dax im dreistelligen Bereich durch die Medien. Tatsächlich haben sich die Preise der deutschen Blue Chips in den darauffolgenden dreieinhalb Jahren im Schnitt verdreifacht. Seit Ende 2005 hat die Stimmung jedoch signifikant gedreht. Bereits die Prognosen für 2006 waren nahezu durchweg geprägt von einem grundlegenden Optimismus. Es herrschte weitgehend Einigkeit darüber, dass sich der Aufwärtstrend fortsetzen würde, zumal sich mit der Fußballweltmeisterschaft und dem Vorzieheffekt der geplanten Mehrwertsteuererhöhung gerade in Deutschland zusätzliche positive Faktoren auswirken sollten.
Dass die Börse jedoch so einfach nicht zu berechnen ist, haben wir in der Vergangenheit immer wieder lernen müssen. Anleger, die in Zukunft von steigenden Kursen ausgehen, sind in der Regel längst investiert und damit die potentiellen Verkäufer von morgen. Insofern sollte es generell zur Vorsicht mahnen, wenn die Stimmung an der Börse zu gut wird. Darauf hatten wir unsere Kunden schon früh im Jahresverlauf hingewiesen. Und tatsächlich hielt sich das erwartete Kursfeuerwerk im abgelaufenen Kalenderjahr in Grenzen. Zwar steht nach einer kräftigen Korrektur in den Frühsommermonaten am Ende unterm Strich auch in 2006 ein Plus bei den meisten Aktienmärkten. Doch im Vergleich mit den Vorjahren ist festzustellen, dass der Aufschwung erheblich an Dynamik verloren hat.
Die eigentlichen Chancen in 2006 lagen eher abseits des Aktienmarktes, beispielsweise bei Rohstoffen oder Devisen. Meine Prophezeiung im vergangenen Winter, dass wir noch im ersten Halbjahr neue Rekordstände beim Ölpreis von über 80 US-Dollar sehen werden, hat sich punktgenau erfüllt. Und auch das Wiedererstarken des Euro hat uns nicht überrascht. Bei Wechselkursen von 1,18 US-Dollar schrieb ich in meiner Kolumne: "Die Argumente, die zuletzt für den Greenback gesprochen haben, nämlich erstens die boomende Wirtschaft in den USA, zweitens die dort steigenden Zinsen und drittens die politische Stabilität im Vergleich zu Europa, drehen sich zunehmend um. Das Wachstumstempo der US-Konjunktur wird sich verlangsamen und während sich der Zinszyklus in Übersee dem Ende zuneigt, hat er in Europa erst begonnen..... Wir rechnen daher im Jahresverlauf mit einer erneuten Aufwertung des Euros in Richtung 1,30 Dollar."
Insgesamt verlief 2006 aus unserer Sicht wenig spektakulär. Die ganz großen Überraschungen blieben aus. Vielleicht ist aber auch gerade das das Überraschende...
Instock:
Was waren für Sie aus Anlegersicht die Knackpunkte im auslaufenden Börsenjahr?
Kirschbaum:
Zweifellos das Timing. Per saldo haben sich viele Märkte gegenüber ihren Jahresanfangsständen wenig verändert. Die Bewegungen im Jahresverlauf waren aber durchaus beträchtlich. Beispiel Aktienmarkt: Aktive Anleger, die zwischendurch immer mal wieder Gewinne gesichert haben und mutig genug waren, um das trocken gehaltene Pulver in den kleineren Rücksetzern (im Januar, März und November) oder während der großen Korrekturphase (von Mai bis Juli) neu zu investieren, konnten ein Vielfaches der Renditen erzielen, die eine klassische Buy-and-Hold-Strategie abgeworfen hätte. Gleiches gilt für die Rohstoffmärkte. Wer es versäumt hat, seine Schärflein im Sommer rechtzeitig ins Trockene zu bringen oder gar erst auf dem Hochpunkt des Hypes auf den fahrenden Zug aufgesprungen ist, steht heute bestenfalls wieder in der Nähe seiner Einstandswerte. Mein Leitspruch „Die Börse ist keine Einbahnstraße“ hat sich wieder einmal bestätigt. Als Derivate-Händler sind wir glücklicherweise in der Lage, der Börse in beiden Richtungen zu folgen und auch von Abwärtsbewegungen zu profitieren. In Zukunft wird mehr denn je ein aktives Depotmanagement zum entscheidenden Erfolgsfaktor. Dabei ist es wichtig, sich nicht von der Masse beeinflussen zu lassen. Der Markt hat auch in diesem Jahr immer genau in dem Moment wieder gedreht, als die wenigsten damit gerechnet haben.
Instock:
Verschieden Analysten sehen den Dax bereits auf 8.000 Punkte klettern. Ist das auch Ihre Erwartung für 2007? Mit welchen Entwicklungen rechnen Sie im kommenden Börsenjahr?
Kirschbaum:
Wir glauben nicht daran, dass die Hausse unmittelbar vor ihrem Ende steht. Allerdings befinden wir uns vermutlich in der letzten Phase der Anfang 2003 begonnenen Aufwärtsbewegung. Was noch fehlt, ist eine Art „Kaufpanik“, wenn die derzeit herrschende positive Grundstimmung in Euphorie ausufert. Eine solche exzessive Phase der Übertreibung geht typischerweise einem nachhaltigen Wendepunkt an der Börse voraus. Noch kann man davon sicherlich nicht sprechen. Auch die Bewertung der Aktienmärkte ist trotz der Kurzuwächse in den vergangenen Jahren noch nicht unangemessen, insbesondere in Relation zu den Bond-Renditen. Dennoch sollte man auf diesem Niveau vorsichtig werden und im Hinterkopf behalten, dass beispielsweise der Dax immerhin schon einen Anstieg um fast 200 Prozent innerhalb von gerade einmal drei Jahren hinter sich hat. Anfeuerung für die Aktien dürfte es im nächsten Jahr vor allem von der Zinsfront geben. Wir erwarten zunehmend aufkommende Zinssenkungsphantasie im Markt. Wenn parallel die Rohstoffpreise weiter konsolidieren, sind beste Voraussetzungen für eine finale Aktien-Rallye erfüllt. Im Zuge eines solchen Schubs wäre eine Dax-Stand von 8.000 Punkten kein unrealistisches Ziel, wobei mittlerweile jeder Anleger wissen sollte: Was hoch steigt, kann später umso tiefer wieder fallen!
Instock:
Worin sehen Sie die größten Gefahren für den Markt?
Kirschbaum:
Ökonomisch betrachtet leben wir derzeit in der besten aller Welten: Überregionales robustes (aber nicht extensives) Wirtschaftswachstum, niedrige Zinsen, wenig Inflation und stabile Währungen. Die Weltwirtschaft befindet sich insgesamt nahezu in einem Idealzustand. Meine Sorge gilt einer nachhaltigen Störung dieses Gleichgewichts durch einen externen Schock, beispielsweise ein politischer Konflikt, der außer Kontrolle gerät. Leider hängen in diesen Tagen einige politische „Damoklesschwerte“ über den Märkten und ich spreche dabei nicht nur von den bereits im Focus stehenden „Brandherden“ Naher Osten, Irak oder Nordkorea. Letztlich wird die Weltkonjunktur auch immer stärker von den innenpolitischen Entwicklungen innerhalb wirtschaftlich bedeutender Regionen wie Nordamerika oder Europa abhängig sein. Ganz allgemein kann man nur hoffen, dass alle Marktteilnehmer aus den Erfahrungen der vergangenen Jahre klüger geworden sind und dieselben Fehler nicht wieder begehen. Denn die größte Gefahr an der Börse sind immer noch die Anleger selbst!
Instock:
Wie werden sich der Dollar im Vergleich zum Euro und der Ölpreis entwickeln?
Kirschbaum:
Wir gehen von einem anhaltend schwachen Dollar aus. Schon jetzt wachsen die meisten europäischen Volkswirtschaften schneller als die amerikanische. Die Zinsschere zwischen den USA und Euroland wird sich weiter schließen. Die Geldanlage in Euro wird daher gegenüber einem Dollar-Investment immer attraktiver. Entsprechend ändert sich die Richtung der Kapitalströme. Ein Dollar-Crash ist aber unwahrscheinlich. Die meiste Zeit des kommenden Jahres wird sich der Euro wohl in einer Spanne zwischen 1,30 und 1,40 Dollar bewegen. An den Rohstoffmärkten rechnen wir im kommenden Jahr mit einer breiten Entspannung, weil der Nachfragedruck aus der Wirtschaft abnimmt.
Instock:
Wird der Goldpreis weiter steigen?
Kirschbaum:
Gold gilt als vermeintlich "sicherer Hafen" und wird als Rückzugsmöglichkeit gesucht, wenn viel Angst und Unsicherheit im Markt ist. Gold an sich besitzt kaum einen echten Wert! Das muss man sich immer wieder vor Augen führen. Die Entwicklung des Goldpreises ist deshalb davon abhängig, welche Alternativen es gibt. Bricht tatsächlich eine finale Kaufpanik am Aktienmarkt aus, werden die Anleger ihr Geld scharenweise aus weniger rentablen Anlageformen abziehen und sich stattdessen wahllos auf Unternehmensanteile stürzen. Bei einem Blick in die 90er Jahre erkennt man, wie schnell in solchen Phasen das Interesse für "sichere Häfen" wie Gold verloren geht.
Instock:
Ihre Prognosen zur Zinsentwicklung in den USA und in Europa?
Kirschbaum:
In den USA dürften die Leitzinsen noch einige Monate auf dem aktuellen (aus unserer Sicht absolut angemessenen) Niveau verharren. Entsprechend erwarten wir auch am „langen Ende“ bei den Kapitalmarktzinsen einen Seitwärtsverlauf ohne heftigere Ausschläge. In der Eurozone wird es mit ziemlicher Sicherheit noch mindestens zwei Zinsschritte nach oben geben, was aber weder die Wirtschaft noch die Börse negativ beeinflussen dürfte.
Dirk Kirschbaum leitet das Derivate-Portfoliomanagement der Grüner Vermögensverwaltung und ist Gründer und Geschäftsführer der Kirschbaum Derivate-Investments GmbH. Mehr Informationen unter www.derivate-investments.de.
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