Sinkende Ölpreise und Renditen – eine perfekte Kombination
Sinkende Ölpreise und Renditen – eine perfekte Kombination
von Sven Weisenhaus
Die Aktienkurse sind gestiegen, weil die Zinsängste nachgelassen haben und die Renditen am Anleihemarkt daher gesunken sind. Das ist die einhellige Marktmeinung. Und diese ist auch vollkommen richtig. Denn es lassen sich eindeutige Zusammenhänge erkennen.
Renditen sinken um 10 %, Aktienindizes steigen um 10 %
So kratzte zum Beispiel die Rendite der 10-jährigen US-Staatsanleihen die Aktienindizes am 26. Oktober noch an der 5%-Marke (siehe vertikale Linie im folgenden Chart). Seitdem ging es in einem recht hohen Tempo abwärts – auf aktuell „nur noch“ 4,381 %.
Das ist ein Rendite-Rückgang um mehr als 10 %. Zeitgleich haben die Technologieindizes der USA um mehr als 13 % zugelegt (siehe „Ein langfristiges Elliott-Wellen-Szenario für den Nasdaq 100“). Das ist schon mal ein glasklarer Zusammenhang. Die negative Korrelation zwischen Anleiherenditen und Aktienkursen, über die ich in der Vergangenheit bereits mehrfach berichtet hatte (zuletzt am 24. Oktober – siehe „Die neuen Korrekturtiefs sind da! Und jetzt?“), hält also an.
Was war der Auslöser für die Trendwende?
Doch was hat den Renditerückgang ausgelöst? Sicherlich, die jüngsten Verbraucherpreisdaten aus den USA haben auf einen nachlassenden Inflationsdruck hingedeutet und entsprechende Reaktionen der Anleger ausgelöst. Doch die Daten wurden erst vor vier Tagen veröffentlicht. Zu diesem Zeitpunkt waren die aktuellen Trends an den Anleihe- und Aktienmärkten längst im Gange – seit fast 3 Wochen. Die Preisdaten haben die bereits begonnenen Bewegungen also lediglich befeuert.
Ölpreise eingebrochen
Um den Auslöser für die kurzfristigen Trendwechsel zu finden, muss man aus meiner Sicht wieder einmal einen Blick auf die Ölpreise werfen. Am 28. September erreichte die US-Sorte West Texas Intermediate (WTI) ein Trendhoch bei rund 94 US-Dollar (siehe vertikale Linie im folgenden Chart). Bis zum 6. Oktober kam es zu einem scharfen Rücksetzer.
In dieser Zeit konnten sich die Kurse an den Aktienmärkten etwas erholen. Die Renditen stiegen allerdings derweil weiter an. Und als dann auch die Ölpreise wieder zulegten, stürzten die Aktienmärkte auf neue Korrekturtiefs. Von nachlassenden Inflations- und Zinsängsten war also bis dahin nur wenig zu sehen.
Sinkende Ölpreise und Renditen – eine perfekte Kombination
Ab dem 20. Oktober gaben die Ölpreise allerdings von einem tieferen Niveau aus erneut nach (WTI: knapp 90 USD, siehe grüner Pfeil im Chart). Und einige Tage später setzte auch bei den Renditen eine Gegenbewegung ein. Diese Kombination war eine perfekte Mischung für nachlassende Inflationssorgen.
Zunächst erholten sich die Aktienkurse von ihren frischen Tiefs allerdings nur zaghaft. Als dann aber die Ölpreise zum Monatswechsel nach dem tieferen Hoch (grüner Pfeil) auch noch auf ein tieferes Tief fielen (rote Ellipse), rauschten die Anleiherenditen abwärts und die Erholung am Aktienmarkt nahm Schwung auf.
Was ist der Grund für den Einbruch der Ölpreise?
Stellt sich jetzt nur noch die Frage, was der Grund für die sinkenden Ölpreise ist. Ein erhöhtes Angebot kann es meinen Informationen nach nicht sein. Denn in den USA sinkt die Zahl der aktiven Bohrlöcher seit Monaten. Und die Länder der OPEC+, allen voran Saudi-Arabien und Russland, haben erst vor Kurzem beschlossen, die derzeitige Fördermengenreduzierung bis ins kommende Jahr beizubehalten. Bleibt also noch eine sinkende Nachfrage. Und diese lässt sich eigentlich nur mit einer schwächelnden Weltwirtschaft erklären.
Wäre das aber langfristig eine gute Nachricht für die Aktienmärkte? Kurzfristig haben die Anleger eindeutig positiv, also mit steigenden Kursen auf die sinkenden Ölpreise reagiert. Sollte sich aber herauskristallisieren, dass tatsächlich eine zunehmende Wirtschaftsschwäche für den Einbruch der Ölpreise verantwortlich ist, könnte sich das Blatt wenden. Denn langfristig sind immer noch die Gewinne der Unternehmen für die Aktienkurse entscheidend. Und diese dürften bei einem schwächeren Konjunkturverlauf niedriger ausfallen.
OPEC+ und Notenbanken werden nicht tatenlos zusehen
Hinzu kommt die Gefahr, dass die OPEC+ dem Ölpreisverfall nicht tatenlos zusehen wird. Schließlich hat der WTI-Preis inzwischen mehr als 61,80 % seiner fast 50-prozentigen Aufwärtsbewegung abgegeben (siehe graue Fibonacci-Marken im Chart oben). Dabei erreichte er das untere Ende meiner Zielzone (gelb). Zur Erinnerung: Eine Range von ca. 75 bis 80 US-Dollar gilt als das von Saudi-Arabien angestrebte Niveau, um die Staatsausgaben decken zu können.
Womöglich beschließen die ölfördernden Länder bereits auf der nächsten Sitzung weitergehende Förderkürzungen. Das könnte die Ölpreise wieder nach oben treiben und die Rally am Aktienmarkt beenden.
Auch die Notenbanken werden womöglich nicht untätig bleiben. Denn sollte der Renditerückgang anhalten, führt dieser zunehmend zu einer Lockerung der Finanzierungsbedingungen, was den Kampf gegen die hohe Inflation behindern könnte. Das gilt vor allem, wenn die Ölpreise wieder steigen. Deren Rückgang spielt den Notenbanken aktuell in die Karten. Aber sollte sich das Blatt wenden, die Ölpreise also wieder steigen, die Renditen aber nicht, müssen die Notenbanken gegebenenfalls noch einmal aktiv werden, nicht unbedingt mit Taten (Zinsanhebung), aber zumindest mit klaren Worten (Androhung einer Zinsanhebung).
Fazit
Genießen Sie also die „Party“ am Aktienmarkt, solange sie noch läuft. Ich halte das Aufwärtspotential am Aktienmarkt bzw. das Abwärtspotential bei den Renditen nach wie vor grundsätzlich bzw. längerfristig für begrenzt und rechne kurzfristig zunehmend mit Rücksetzern.
Ich wünsche Ihnen jedenfalls weiterhin viel Erfolg an der Börse
Ihr
Sven Weisenhaus
(Quelle: www.stockstreet.de)