Konkrete Beispiele für gestörte Lieferketten
Die US-Notenbank (Fed) hat vorgestern mal wieder für volatile Kursbewegungen gesorgt. Zunächst ging es mit Veröffentlichung der geldpolitischen Beschlüsse kräftig abwärts am Aktienmarkt. Der Dow Jones verlor zum Beispiel binnen 30 Minuten rund 400 Punkte bzw. fast 1,2 %. Man hatte sich wohl erhofft, dass der Ukraine-Krieg ein langsameres Vorgehen der Notenbank bewirken könnte – und wurde enttäuscht.
Ukraine-Krieg erhöht die Inflationssorgen
Dabei hatte die Fed im FOMC-Statement den Fokus durchaus auf den Ukraine-Krieg und die damit verbundenen Unsicherheiten sowie den zusätzlichen Aufwärtsdruck auf die Inflation gerichtet. Die bisher erwähnten Auswirkungen der Corona-Krise auf die Wirtschaft wurden dagegen fast vollständig gestrichen. Doch wahrscheinlich gerade wegen des durch den Ukraine-Krieg zusätzlich angefachten Preisdrucks wurde die vorbereitete und somit mehrheitlich erwartete Anhebung des Leitzinses um 25 Basispunkte auf eine Spanne von 0,25 % bis 0,50 % beschlossen.
Zudem hält die Notenbank laut Statement „fortlaufende Erhöhungen“ für angemessen. Konkret deuten die sogenannten „dotplots“ mehrheitlich auf 7 Zinsanhebungen im laufenden Jahr hin, was Zinsschritte auf jeder kommenden Sitzung erwarten lässt.
(Quelle: federalreserve.gov)
Ebenso zeigen die aktuellen Projektionen der Notenbank im Median bis Ende des Jahres einen Leitzins von 1,9 % an. Ende 2023 sollen es 2,8 % sein. Das würde weitere 3 oder 4 Zinsanhebungen im kommenden Jahr bedeuten.
(Quelle: federalreserve.gov)
Außerdem wurde für eine „der nächsten Sitzungen“ die Reduzierung der Bestände an Staatsanleihen und hypothekenbesicherten Wertpapieren angekündigt.
Das alles kommt nicht völlig überraschend. Wobei durch den Ukraine-Krieg zuletzt „nur“ noch 5 bis 6 Zinsschritte für das laufende Jahr eingepreist worden waren. Und daher wurden die Entscheidungen in einer ersten Reaktion von den Aktienmärkten wohl auch bearish aufgenommen.
Anhaltende Lieferkettenprobleme halten die Inflation hoch
Auf der Pressekonferenz begründete Fed-Chef Jerome Powell das Tempo der Fed auch damit, dass die Lieferkettenprobleme länger anhalten als erwartet (siehe dazu auch die vorgestrige Börse-Intern) und die Inflation wahrscheinlich langsamer als erwartet in Richtung Zielwert zurückkehren wird. Und es sei daher durchaus möglich, dass die Notenbank das Tempo im Laufe des Jahres sogar noch erhöhe. Damit dürfte eine große Zinsanhebung um einen halben Prozentpunkt gemeint sein, wie sie die Fed bereits angedeutet hatte, seit über 20 Jahren aber nicht mehr vorgenommen hat. Für einen solchen votierte der Chef des Fed-Bezirks St. Louis, James Bullard, bereits auf der aktuellen Sitzung.
Erneuter Short-Squeeze?
Dennoch holten die Aktienmärkte ihre Verluste im Verlauf der Pressekonferenz vollständig auf. Der Dow Jones kletterte um fast 800 Zähler bzw. mehr als 2,3 % zu. Einige Medien begründeten dies damit, dass Powell wiederholt auf die Stärke der US-Wirtschaft verwies, die ein solches Tempo an Zinserhöhungen verkraften könne.
Es liegt aber auch die Vermutung nahe, dass viele Anleger im Vorfeld des Zinsentscheides auf negative Marktreaktionen gewettet hatten. Und weil die meisten Anleger somit schon in diese Richtung positioniert waren, kam kein weiterer Verkaufsdruck auf. Stattdessen mussten sie ihre Short-Positionen auflösen, als es mit Beginn der Pressekonferenz in die entgegengesetzte Richtung ging. Das trieb den Kursanstieg zusätzlich an. Ähnliches hatten wir am Mittwoch vergangener Woche gesehen, als es einen mächtigen Short-Squeeze gab (siehe dazu Börse-Intern vom 10. März).
Kann es jetzt nur noch nach oben gehen?
Die nur noch kurze negative Marktreaktion von vorgestern passt auch zu meinen jüngsten Aussagen, wonach negative Nachrichten inzwischen eingepreist scheinen und man daher eher mit plötzlichen Kurssprüngen rechnen sollte. Kann es also jetzt nur noch nach oben gehen?
Zur Beantwortung dieser Frage möchte ich noch einmal auf die Probleme der Lieferketten zurückkommen, die ich bereits in der vorgestrigen Börse-Intern besprochen habe und auf die auch Jerome Powell vorgestern hinwies. Was bedeutet dies nun konkret für die Unternehmen?
Wie aus einer gestern veröffentlichten Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) hervorgeht, melden rund 60 % der Unternehmen zusätzliche Störungen in der Lieferkette und Logistik als Folge des Ukraine-Krieges. Die russische Invasion verschärft also die bereits bestehenden Probleme. Denn schon in der IHK-Konjunkturumfrage vom Jahresbeginn, also vor Beginn des Ukraine-Krieges, hatten 84 % der Unternehmen in Deutschland mittlere bis erhebliche Lieferschwierigkeiten beklagt.
Das Institut für Weltwirtschaft (IfW) hat vor diesem Hintergrund seine Wachstumsprognose für Deutschland nahezu halbiert. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) dürfte in diesem Jahr nur noch um 2,1 % zulegen, wie das IfW nun vorhersagt. Noch im Dezember waren die Forscher von 4,0 % ausgegangen. Auch das in Essen ansässige RWI-Institut senkte seine Wachstumsprognose für dieses Jahr, von bislang 3,9 auf nun 2,5 %.
ThyssenKrupp und SAF-HOLLAND mit klaren Einbußen
Die Auswirkungen sind also schon recht konkret. Es geht aber noch konkreter. Schauen wir uns dazu den gestrigen Kursverlauf von ThyssenKrupp an:
Vom vorgestrigen Schlusskurs bis zum gestrigen Tagestief verloren die Aktien 8,58 % an Wert, weil das Unternehmen gestern meldete, Teile seiner Prognosen auszusetzen. Auch wenn die Umsätze mit Russland und der Ukraine vernachlässigbar seien (deutlich unter 1 % vom Gesamtumsatz), würden die weitreichenden gesamtwirtschaftlichen und geopolitischen Folgen des Krieges in der Ukraine den Geschäftsverlauf beeinträchtigen, begründete Thyssenkrupp den Schritt. Das Unternehmen verwies dabei insbesondere auf die steigenden Rohstoffpreise. Der bislang prognostizierte ausgeglichene Free-Cash-Flow könnte also nun negativ ausfallen.
Schauen wir uns zudem noch den gestrigen Kursverlauf von SAF-HOLLAND an:
Der Aktienkurs brach sogar um bis zu 17,47 % ein, weil der Hersteller von LKW-Komponenten Stornierungen von Kundenaufträgen für Lieferungen nach Russland fürchtet. Zudem rechnet das Unternehmen mit höheren Kosten. Die Gewinnmarge werde daher voraussichtlich deutlich unter den Vorjahreswert von 7,5 % fallen.
Fazit
Sie sehen also: Es kann in konkreten Fällen durchaus auch noch kräftig nach unten gehen. Und wenn sich diese Fälle häufen, wird dies auch den Gesamtmarkt belasten. Aktuell ist die Marktstimmung freundlich und man kann Kurserholungen genießen. Aber man sollte jederzeit damit rechnen, dass die Kurse von der Realität eingeholt werden.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg an der Börse
Ihr
Sven Weisenhaus
(Quelle: www.stockstreet.de)