Keine Angst vor hohen Kursen!
Sehr verehrte Leserinnen und Leser,
neulich erhielt ich eine E-Mail, die mich aufmerken ließ. Ein Leser schrieb mir, dass er einen meiner Börsenbrief kündigt. Ok, das kommt vor. Er begründete dies sogar mit mehr als einer Floskel. Das ist schon sehr ungewöhnlich. Noch ungewöhnlicher war aber der Grund, den er nannte.
Eine ungewöhnliche Begründung und eine weitverbreitete Angst
Er schrieb, dass er einen Newsletter von Sven Weisenhaus gelesen hätte, in dem dieser davor gewarnt hat, „zu blauäugig Aktien zu kaufen“. Andere Hinweise in diesem Text deute er so, dass das Ende der Hausse bevorstehe. Also werde er sich danach richten und keine Aktien (mehr) kaufen.
Nun warnt Sven Weisenhaus zwar seit geraumer Zeit unermüdlich vor einer Korrektur und rät zur Vorsicht. Aber dass er das Ende der Hausse ausgerufen oder gar kategorisch vor einem Kauf von Aktien gewarnt hat, ist mir nicht bewusst. Aber gut, jeder Text lässt Interpretationsspielraum – das ist mir nach 14 Jahren als Börsenbriefautor wohl klar.
Doch die Zuschrift des Lesers ist aus einem anderen Grund sehr aufschlussreich. Sie zeigt die ewige Angst viele Anleger, dass die Kurse „zu hoch“ stehen und deshalb die Aktienmärkte „crashen“ könnten. Diese Sorge grassiert insbesondere dann, wenn neue Allzeithochs erreicht werden – schließlich sind die Kurse dann so hoch wie nie. Oft schüren auch die Medien solche Ängste. Ende Mai titelte z.B. Focus Money „Dax steigt auf Rekordhoch – doch die Aussichten werden immer trüber“, so als sei es ein Naturgesetz, dass die Kurse nach einem neuen Hoch nur noch fallen können.
Das Neue und die unbekannte Gefahr
Jeder Charttechniker schüttelt über solche Sorgen den Kopf. Nach der reinen Chartlehre sind Allzeithochs – aber auch andere langfristige Hochs, z.B. der vergangenen 52 oder 20 Wochen – starke Kaufsignale. Wenn die Kurse neue Hochs erreichen, sind viele, die meisten oder alle Anleger im Gewinn. Niemand hat also Anlass zu verkaufen, um z.B. Verluste zu begrenzen. Und für alle, die neu einsteigen wollen, ist ein neues (Allzeit-)Hoch ein Zeichen, dass sie nun nur noch zu höheren Kursen reinkommen, sich also beeilen müssen, um nicht noch „teurer“ zu kaufen.
Wie so vieles in der Anlegerstimmung ist also auch die Angst vor hohen Kursen nur ein Streich, den uns unsere Nerven und unser Gehirn spielen – weil die Angst vor allem Unbekannten und Neuem in unserer DNA unausrottbar tief verwurzelt ist.
Uns erreichten in dieser Hausse daher in verschiedenen Phasen immer wieder besorgte Fragen, ob es denn sinnvoll sei, „jetzt noch neu einzusteigen“. Das begann mit den neuen Allzeithochs nach der Finanzkrise 2013, wiederholte sich 2016 nach der großen Konsolidierung im Vorjahr, setzte sich 2019 nach den Turbulenzen 2018 fort und blieb natürlich auch nach dem Corona-Crash nicht aus.
Neue Allzeithochs sind klare Kaufsignale!
Und jetzt schauen Sie bitte mal auf folgenden Chart:
Quelle: MarketMaker
Hier habe ich – beginnend mit dem Ausbruch über das Vorkrisenhoch von 2007 (blaue Linie) alle entscheidenden Ausbrüche des S&P 500 seit 2013 mit grünen Pfeilen markiert. Abgesehen vom Hoch 2019, dass durch den Corona-Crash deutlich unterschritten wurde, gab es jeweils nur kurzfristige und meist harmlose Geplänkel an den Hochs, so dass Anleger, die nach diesen Allzeithochs eingestiegen sind, schon nach wenigen Monaten im Plus lagen.
Noch wichtiger: Danach sind die Kurse nicht mehr zurückkehrt! Alle, die darauf gewartet haben, dass eine der nächsten Korrekturen ihnen wieder „Einstiegskurse“ beschert, haben jedes Mal in die Röhre geguckt und sitzen daher wohl heute noch an der Seitenlinie. Es sei denn, sie haben sich bei einer späteren Gelegenheit ein Herz gefasst.
Worin das tatsächliche Risiko besteht
Das tatsächliche Risiko des Abwartens besteht also offensichtlich eher darin, Rendite zu verpassen, als größere Verluste zu machen! Das ist auch logisch, denn längerfristig steigen die Aktienmärkte nun einmal. Die Wahrscheinlichkeit ist also hoch, dass der Kurs des nächsten Monats oder gar des nächsten Jahres (aber nicht des nächsten Tages oder nächsten Woche!) höher ist als der aktuelle.
Das ist wohl auch der Grund, warum Sir John Templeton, Gründer des legendären Templeton Growth Fund, auf die Frage, wann die beste Zeit zum Investieren sei, lapidar geantwortet haben soll: „Die beste Zeit zu investieren ist, wenn Sie das Geld dafür haben.“
Und der Chart beantwortet auch all die ungestellten Fragen, die den Fragenden nach einer solchen Bemerkung durch den Kopf schießen: Wenn aber zu dem Zeitpunkt, an dem ich das Geld habe, die Märkte zu fallen beginnen? Oder ich gar kurz vor einem Crash Geld habe und anlege? Oder vor einer jahrelangen Seitwärtsbewegung?
Was Sie tun können, um die Angst vor dem Allzeithoch zu besiegen
Diese Möglichkeiten bestehen, keine Frage. Aber mit diesem Restrisiko muss man an der Börse leben oder ihr fernbleiben. Wer hinreichend langfristig orientiert ist (mindestens 5 Jahre), kann diese Phasen in der Regel problemlos aussitzen. Wer solche Nerven nicht hat, kann dieses Risiko durch einen regelbasierten (!) gestaffelten Einstieg reduzieren. (Wer allerdings so vorgeht, muss sich klar sein, dass die Wahrscheinlichkeit gegen dieses Vorgehen spricht: Statistisch war es bisher so, dass ein einmaliger Einstieg die bessere Rendite bringt – in einem Betrachtungszeitraum von z.B. 3 Jahren ist man damit in rund 73 % aller Fälle besser gefahren, selbst – oder besser: vor allem! – nach Allzeithochs.)
Im aktuellen Umfeld einer weltweiten Niedrig-, Null- und Negativzinspolitik ist es auch gar keine Option, dem Aktienmarkt fernzubleiben. (Übrigens dürfte ein Großteil der Stärke und Länge der laufenden Hausse genau aus dieser Tatsache herrühren. Daher ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie so lange läuft, bis die Zentralbanken ihre Politik ändern. Die Wahrscheinlichkeit dafür, also z.B. für deutlich steigende Zinsen, ist wiederum – trotz mancher gegenteiliger Beteuerungen – relativ gering…)
Die merkwürdige Schizophrenie der Anleger
Die Gefahr ist daher groß, dass Sie selbst dann einen „günstigen“ Einstiegszeitpunkt verpassen, wenn er sich denn (durch fallende Kurse) ergibt. Schließlich haben die Anleger in jüngster Zeit zur Genüge gezeigt, dass sie jeden Rücksetzer schnell wieder „hochkaufen“ (Buy the dip). Das gilt vor allem auch deshalb, weil uns bei fallenden Kursen erneut unser mentales System in die Quere kommt. Oder haben Sie – Hand aufs Herz! – es in einer der vergangenen Korrekturen tatsächlich geschafft, Ihr Kapital zu investieren, als an den Börsen Ausverkaufsstimmung oder gar Panik herrschte?
Und oft bemerkt man auch eine merkwürdige Schizophrenie bei vielen Anlegern. Sie sind bereits investiert und verfügen plötzlich über zusätzliches Kapital, z.B. durch einen Hausverkauf, eine Erbschaft oder ein anderes „Cash-Ereignis“. Dann wird nach dem oben genannten Schema argumentiert („Die Kurse sind jetzt zu hoch.“), um nicht zu investieren. Aber konsequenterweise müssten sie dann ihr bestehendes Investment liquidieren – schließlich sind sie ja der Meinung, dass die Kurse zu hoch sind und demnächst fallen. Das macht aber niemand.
Auch aus diesem Grund ist es sinnlos, die Kurse zum Kriterium für einen Einstieg zu machen.
Warum Stopps keine Lösung für Langfristanleger sind
Aber was machen nun Anleger, die sich bei hohen Kursen unwohl fühlen? Ein oft gehörter Ratschlag ist: Stopps setzen. Das ist aber aus langfristiger Sicht kontraproduktiv: Klassische Trading-Stopps von wenigen Prozent sind viel zu eng für langfristige Investments.
Weite Stopps von 15 oder mehr Prozent entsprechen aber nicht dem Sicherheitsbedürfnis der Anleger – schließlich kann man dann auch gleich eine entsprechende Korrektur aussitzen. Außerdem besteht dann die große Gefahr, dass man ungünstig ausgestoppt wird und am Ende doch wieder nicht oder nur teilweise investiert ist. Und ehe sich dann die Panik gelegt hat, stehen die Kurse oft schon wieder „zu hoch“. Und das Dilemma beginnt von vorn.
Zwei unkonventionelle Möglichkeiten für Langfristanleger, Verluste zu begrenzen
Es gibt aus meiner Sicht zwei Varianten: Erstens kann man „Gewinne mitnehmen“. Das sollte aber völlig anders geschehen als üblich – nämlich in dem Sie die schlechten Positionen in Ihrem Depot abstoßen, notfalls auch mit Verlust. Wenn Sie nämlich die Outperformer mit den großen Gewinnen verkaufen, haben Sie am Ende nur diese Verlierer im Depot.
Das freie Kapital investieren Sie in die verbliebenen starken Werte. Oder Sie halten es tatsächlich zurück für eventuelle Rückschläge. Für diesen Fall und für den Fall, dass die Kurse doch wieder steigen, brauchen Sie dann aber eine klare Wiedereinstiegs-Regel, falls Sie nicht doch wieder auf dem Cash sitzenbleiben wollen…
Eine Taktik für Fortgeschrittene
Die zweite Variante eignet sich für diejenigen, die sich ein gewisses Timing zutrauen und dabei auch „Irrtums-Phasen“ aushalten. Sie dürfen ihr Depot auch absichern, am besten mit gehebelten Wertpapieren. Aber bitte nur das Depot insgesamt, nicht einzelne Wertpapiere!
Der Kapitaleinsatz ist dabei gering, und das Wiedereinstiegsproblem wird dadurch entschärft, dass man „nur“ die Absicherungsposition verkaufen muss. Im Erfolgsfall (die Kurse fallen tatsächlich) ist das kein Problem, weil man einen Gewinn einstreichen kann. (Auf das genaue Timing kommt es dann nicht mehr so an.) Das Problem beginnt, wenn – wie in der Mehrzahl der Fälle – die Position ins Minus läuft, weil die Aktienmärkte weiter steigen. Aber hier kann man z.B. die Einstiegspunkte meines gestaffelten Systems nutzen, um die Absicherungsposition glattzustellen.
Möglich ist natürlich auch die Kombination beider Varianten.
So werden Sie ein besserer Langfristanleger!
Mit diesen Tipps sollte es Ihnen nun möglich sein, bei Ihrer Langfristanlage bessere und konsequentere Entscheidungen zu treffen – und dadurch noch erfolgreicher zu werden. Außerdem werden Sie sich dann mehr über die steigenden Kurse freuen, was ja eigentlich die natürliche Reaktion darauf sein sollte.
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Mit besten Grüßen
Ihr Torsten Ewert
(Quelle: www.stockstreet.de)