Drei Bedingungen für einen Kurswechsel der EZB
Drei Bedingungen für einen Kurswechsel der EZB
Ich hatte es zwar bereits vermutet, jetzt bin ich mir aber relativ sicher: Die Vertreter der Europäischen Zentralbank (EZB) sind auch Leser des Newsletters Börse-Intern. Denn offenbar hat EZB-Präsidentin Christine Lagarde meine vorgestrige Kritik gelesen und daher gestern eingelenkt.
Spaß beiseite – auf einer Diskussionsveranstaltung des Weltwirtschaftsforums räumte Lagarde ein, dass die Notenbank trotz der Erwartung abflauender Inflation grundsätzlich offen für künftige geldpolitische Kurswechsel sei. Sie blieb zwar bei ihrer Einschätzung, dass die Bedingungen für Zinserhöhungen derzeit nicht erfüllt seien und die derzeit hohe Teuerung schrittweise zurückgehen werde, „doch das bedeutet nicht, dass wir nicht offen sein müssten für Änderungen am Inflationsausblick“, fügte sie hinzu.
Im März könnte es Anpassungen geben
Die Geldpolitik sei abhängig von der Datenlage. Und derzeit zeichne sich nicht ab, dass die Inflation über eine Lohn-Preis-Spirale außer Kontrolle gerate. Bereits im März stünden aber neue Projektionen der EZB-Volkswirte an, „die möglicherweise anders aussehen“, so die Französin. Wenn es so käme, müsse sich die EZB ihren Fahrplan für das weitere geldpolitische Vorgehen anschauen.
Lagarde verwies dazu auf drei Kriterien, die sie laut eines Medienberichts erstmals im Juli 2021 benannt hatte und die vor einer möglichen Zinserhöhung erfüllt sein müssten. Die EZB müsse nicht nur davon überzeugt sein, dass die jährliche Inflationsrate auf über 2 % steigt, sondern dass diese auch bis zum Ende des EZB-Prognosezeitraums, der aktuell bis Ende 2024 reicht, nicht mehr unter 2 % fällt. Außerdem müsse die „zugrunde liegende“ Inflation, also die Inflation ohne temporäre Effekte, dauerhaft beim 2%-Ziel der EZB verankert sein. Wenn diese drei Kriterien erfüllt seien, werde man handeln, sagte Lagarde. Derzeit seien sie aber nicht erfüllt.
Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt
Letztlich hängt es also von den eigenen Prognosen der EZB ab, wie die Geldpolitik zukünftig gestaltet wird. Und bislang waren die Prognosen alles andere als treffsicher, weshalb an diesem Maßstab durchaus Kritik angebracht ist.
Vorgestern hatte ich jedenfalls geschrieben, dass die EZB womöglich bereits auf ihrer anstehenden Sitzung Anfang Februar ihre aktuellen Pläne für die Anleihekaufprogramme anpassen könnte. Angesichts der aktuellen Worte Lagardes ist aber der Termin der März-Sitzung wahrscheinlicher. Und da dann das Programm PEPP quasi bereits Geschichte ist, könnten die Anleihekäufe des APP zusammengestrichen werden.
DAX auf neuem Jahrestief abgerechnet
Es darf darüber spekuliert werden, ob die Anleger diese Perspektiven heute wieder zum Anlass für Gewinnmitnahmen genutzt haben. Jedenfalls wurde der deutsche Leitindex zum gestrigen kleinen Verfallstag bei 15.604,26 Punkten abgerechnet, und damit auf einem neuen Jahrestief.
Torsten Ewert hatte am Montag geschrieben, das ideale Abrechnungsniveau nach der Max-Pain-Kurve (unterer Teil des Verfallstagsdiagramms) liege bei 15.750 Punkten. Doch charttechnisch war auch denkbar, dass der DAX sogar bis auf 15.600 Punkte fällt. Denn ein Abwärtskeil könnte den DAX bis zum Verfallstag führen, schrieb Torsten Ewert. Und mit diesem hatte der Index Platz bis zur Unterkante eines möglichen kurzfristigen Aufwärtstrends, der sich seit Ende November andeutete. Tatsächlich wurde der DAX im Bereich dessen unterer Linie bei rund 15.600 Punkten abgerechnet. – Volltreffer!
Das Tagestief wurde sogar bei nur noch 15.456,87 Punkten markiert. Und damit ist der DAX nun wieder tief in seiner großen Seitwärtsbewegung zurückgefallen (gelber Bereich).
Dabei hat er mehr als 61,80 % der Jahresendrally korrigiert.
Und aus Sicht der Fibonacci-Marken gilt diese damit als beendet. Die Frage aus der Börse-Intern vom 13. Januar, ob der Abpraller vom Rekordhoch bei 16.290,19 Punkten „nur eine normale Gegenbewegung auf die vorangegangenen Kursgewinne war und es nun wieder zu steigenden Kursen kommt oder der DAX seine große Seitwärtstendenz fortsetzt, in deren Rahmen die Kurse auch wieder tief in die alte Seitwärtsrange zurückfallen können“, ist damit beantwortet.
Im Rahmen der alten Seitwärtsbewegung kann nun wieder alles passieren. Plötzliche Richtungswechsel sind jederzeit möglich. Und die Kurse haben nun auch wieder Platz bis zum unteren Ende des gelben Rechtecks bei rund 15.000 Punkten. Dieses Kursziel ist insbesondere erreichbar, wenn die Rechteckgrenze bei 15.430 Punkten unterschritten wird.
Einziger Trost für die Bullen ist, dass die übergeordnete Tendenz noch aufwärtsgerichtet ist, solange das Tief, welches vor der Jahresendrally an der Mittellinie bei 15.075 Punkten gebildet wurde, nicht unterschritten wird. Und bullishe Signale werden wieder gesendet, wenn sich der DAX erneut bis über die Mittellinie bei 15.785 Punkten hocharbeiten kann.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg an der Börse
Ihr
Sven Weisenhaus
(Quelle: www.stockstreet.de)