Der DAX zum großen Dezember-Verfallstag
Der DAX zum großen Dezember-Verfallstag
von Torsten Ewert
Sehr verehrte Leserinnen und Leser,
der letzte Verfallstag des Jahres 2022 steht vor der Tür, der wie immer wieder ein großer Verfallstag ist. Und große Verfallstage sind immer von besonderem Interesse. Das liegt nicht nur am „dreifachen Hexensabbat“, also am gleichzeitigen Verfall von Optionen und Futures. (An kleinen Verfallstagen verfallen nur Optionen auf Aktien und Indizes.)
Was die Kursausschläge zu den Verfallstagen beeinflusst
Bedeutsamer ist, dass die Optionen großer und kleiner Verfallstage aufgrund der EUREX-Regularien unterschiedliche Laufzeiten haben. So laufen die DAX-Optionen kleiner Verfallstage maximal 3 Monate. Sie spiegeln also eher kurzfristige Positionierungen wider. Optionen großer Verfallstage können dagegen bis zu 3 Jahre vor dem Verfallstermin gehandelt werden, die Dezember-Optionen sogar bis zu 5 Jahre.
Dadurch sind insbesondere im Dezember-Verfallstagsdiagramm unter Umständen sehr alte Positionen vertreten, die vielleicht längst nicht mehr relevant sind. Oft sind das natürlich Positionen, die weit weg vom aktuellen DAX-Kurs liegen. Für den bevorstehenden Dezember-Verfallstag dürften dies vor allem die zahlreichen Put-Positionen unterhalb von 13.000 Punkte sein. Sie machen immerhin 54 % aller aktuellen Put-Positionen aus.
Ein anderer Punkt ist, dass sehr oft Fed-Meetings in der Woche des großen Verfallstages stattfinden. Die Fed terminiert ihre Treffen bekanntlich unter anderem im März, Juni, September und Dezember, und sehr oft fällt die Bekanntgabe des Sitzungsergebnisses auf den Mittwoch der Verfallswoche. Seit 2017 war das z.B. in 14 der 24 großen Verfallstage so. Auch in diesem Monat wird es so sein sowie im Juni und Dezember 2023.
Das aktuelle Verfallstagsdiagramm des DAX
Es ist klar, dass eine (unerwartete) Fed-Entscheidung kurz vor einem großen Verfallstag besonders starke und/oder hektische Turbulenzen auslösen kann. Das müssen wir also im Hinterkopf behalten, wenn wir nun über den großen Verfallstag in der kommenden Woche (16.12.2022) reden, dem ein weiteres wichtiges Fed-Meeting vorangeht (13./14.12.2022).
Werfen wir dazu wie immer einen Blick auf das aktuelle Verfallstagsdiagramm:
Quelle: https://www.stockstreet.de/boersen-tools/verfallstag-diagramm#/
Der relevante Bereich ist gut zu erkennen. Bei 15.000 Punkten liegt die größte Call-Position (blaue Balken), bei 14.000 Punkten die größte Put-Position (rote Balken) und die drittgrößte Call-Position. Weitere große Positionen befinden sich bei 13.800 Punkten, wo auch das Minimum nach der Max-Pain-Kurve (unterer Diagrammteil) liegt.
Dieses Minimum ist der theoretisch optimale Abrechnungskurs für die Stillhalter. Allerdings verläuft die MaxPain-Kurve in diesem Bereich außergewöhnlich flach, so dass es eher eine minimale Zone als ein Punkt ist. Und diese Zone reicht etwa von 13.500 bis 14.150 Punkte.
Ein gutes Abrechnungsniveau?
Aus der Positionsverteilung lässt sich ablesen, dass der DAX zum Verfallstermin am nächsten Freitag höchstwahrscheinlich zwischen 14.000 und 15.000 abgerechnet werden dürfte. Weder die größte Call- noch die größte Put-Position werden die Stillhalter ins Geld laufen lassen wollen – zumal der DAX aktuell ziemlich genau in der Mitte zwischen beiden Positionen notiert.
Dieses Niveau von 14.500 Punkten scheint auch ein ziemlich gutes Verfallsniveau zu sein: Darüber liegen faktisch nur Call-Positionen, welche die Stillhalter nicht auch noch ins Geld laufen lassen wollen. Darunter liegen einige Put-Positionen, die dann wieder bezahlt werden müssten. Aus aktueller Sicht wäre es für alle also scheinbar am besten, wenn der DAX nun zwei Wochen bei 14.500 Punkten stagniert.
Welche Stillhalter wirklich relevant sind
Doch das Starren auf „die“ Stillhalter ist mitunter irreführend. Letztlich geht es um die Inhaber der relevanten Positionen. Und da ist die Frage, wie z.B. die beiden größten Put-Positionen oberhalb von 14.000 Punkten verteidigt werden, wenn die Kurse wieder fallen. Die Stillhalter könnten sie einfach absichern und die Kurse fallen lassen. Das würde den Kursrückgang bekanntlich verstärken. Oder sie könnten versuchen, sie durch Stützungskäufe zu verteidigen.
Doch wie wir alle aus leidvoller Erfahrung wissen, fallen die Kurse oft schneller und hartnäckiger als sie steigen. Es ist also viel schwieriger, einen Kurs durch Käufe zu stützen, als ihn durch Verkäufe zu drücken. (Das ist der Grund, warum Kursniveaus mit großen Call-Positionen zwar stärkere Widerstände sein können, aber Kursniveaus mit großen Put-Positionen oft keine guten Unterstützungen sind.)
Daher sehe ich die beiden Put-Positionen bei 14.500 und 14.200 Punkten nicht als relevante Hindernisse gegen einen möglichen Kursrutsch in Richtung 14.000 Punkte an. Zumal die Call-Stillhalter in diesem Bereich bei fallenden Kurse ihrerseits ihre Absicherungen auflösen und die Kursschwäche verstärken würden und zudem näher in Richtung des MaxPain-Minimums kämen.
Die aktuelle Chartsituation im DAX
Auch charttechnisch spricht ja vieles für eine Korrektur. Sven Weisenhaus hat erst am Freitag darauf verwiesen, dass der DAX bei knapp 14.600 Punkten auf einen wichtigen Widerstand gestoßen ist: das 61,8%-Niveau der gesamten Abwärtsbewegung seit Januar (siehe blaue Linien im folgenden Chart).
Darüber verläuft ein Widerstandsband durch die Hochs von März und Juni (violett). Hier hätten die (Call-)Stillhalter sicherlich genug Rückendeckung von den Bären, um die Kurse zu drücken. Zumal der DAX schon seit Mitte November seitwärts läuft und inzwischen den steilen Aufwärtskanal seit Oktober verlässt. Das ist zwar kein Umkehrsignal, deutet aber darauf hin, dass die Konsolidierung weitergeht.
Natürlich bleibt das kurzfristige Chartbild bullish, so dass ein Ausbruch nach oben jederzeit möglich ist. Aber die bisherige kleine Seitwärtsbewegung hat längst noch nicht die überkaufte Lage abgebaut, in welcher der DAX inzwischen steckt.
Die Konsolidierung sollte sich eher ausweiten, und der Chart zeigt, dass 14.000 Punkte ein völlig legitimes Ziel wären. Noch gibt es keine erkennbare Abwärtsdynamik, so dass der Kurs tatsächlich weiter an der 14.500er Marke dümpeln könnte. Aber wahrscheinlicher sind einige Rücksetzer, z.B. an die kleine Kurslücke vom 11.11. 2022 (grau), die schwarze Abwärtslinie durch die Hochs vom Frühjahr oder eben die runde 14.000-Punkte-Marke, wo auch die nächste größere Unterstützung für den DAX liegt.
Was bis zum Verfallstag vom DAX zu erwarten ist
Ein solcher Rücksetzer würde die begonnene Aufwärtsbewegung keineswegs beenden, sondern wäre eine völlig normale Konsolidierung. Ein Rückgang bis auf dieses Niveau erscheint mir daher bis zum Verfallstag am wahrscheinlichsten.
Zumal auch aus stimmungstechnischer Sicht in den nächsten Tagen kaum mit stark steigenden Kursen zu rechnen ist. Vor der Fed-Sitzung werden die Anleger keine unnötigen Risiken mehr eingehen, so dass die Seitwärtsbewegung weitergehen sollte. Außerdem gibt es vor dem Verfallstag noch die neuesten Inflationsdaten aus Deutschland (13.12.) und den USA (13.12.) sowie die EZB-Sitzung (16.12.).
Daher werden wir uns beim Trading vorerst darauf einstellen müssen, dass die Volatilität niedrig bleibt. Das spricht genauso für Zurückhaltung wie die Kursausschläge, die in der kommenden Woche möglich sind. Aber vielleicht wird die Verfallstagsprognose in der kommenden Woche schon konkreter.
Mit besten Grüßen
Ihr Torsten Ewert
(Quelle: www.stockstreet.de)