Der DAX zum Februar-Verfallstag
Sehr verehrte Leserinnen und Leser,
noch am Freitag sah es so aus, als könnte der DAX zum (kleinen) Verfallstag am Freitag dieser Woche problemlos das ideale Kursziel für die Stillhalter erreichen. Aber nach einem sehr schwachen Verlauf am gestrigen Montag steht nun für den deutschen Leitindex sehr viel auf dem Spiel.
Die aktuelle Verfallstagskonstellation im DAX
Werfen wir dazu wie immer als erstes einen Blick auf das aktuelle Verfallstagsdiagramm.
Deutlich zu erkennen ist die Zweiteilung der Positionen: Oberhalb von 15.500 Punkten dominieren Call-Positionen (blaue Balken), darunter Put-Positionen (rote Balken). Daher wäre dieses Niveau auch das ideale Abrechnungsdatum für die Stillhalter nach der Max-Pain-Kurve im unteren Diagrammteil (siehe auch grüne Pfeile).
Der DAX schloss am Freitag bei 15.425 Punkten und lag damit genau im Bereich dieses idealen Kursziels. Doch gestern Morgen eröffnete er bei nur noch 15.066 Punkten und fiel im Tief deutlich bis unter 14.900 Punkte zurück. Damit ist vorerst nicht nur die 15.500-Punkte-Marke außer Reichweite, sondern es droht auch größeres Ungemach.
Die Ukraine-Krise drückte die größte Put-Position ins Geld
Wie Sie sehen liegt bei 15.000 Punkten eine sehr große Put-Position. Es ist die größte überhaupt im Februar-Verfallstagsdiagramm, was sie natürlich sehr bedeutsam macht. Wie immer geht es nun darum, ob die Stillhalter es schaffen, diese Position aus dem Geld und damit den DAX über dieser Marke zu halten. Da die Position sehr groß ist, also sehr viele Stillhalter das gleiche Interesse haben, besteht eine gewisse Chance, dass der DAX bis Freitag dieses Niveau verteidigt.
Allerdings müssen wir auch den Hintergrund für den schwachen Wochenstart berücksichtigen: die Ukraine-Krise. Dazu haben sich sowohl die Aktivitäten wie auch die Nachrichten am Wochenende überschlagen. Die jeweilige Propaganda beider Seiten – „Alarmmeldungen“ aus den USA (z.B., dass militärische Aktionen unmittelbar bevorstünden, also noch vor dem Ende der Olympischen Winterspiele) und empörte Dementis aus Russland – hat Unsicherheiten und Ängste weiter geschürt.
Das hat den US-Futures über das Wochenende allerdings kaum zugesetzt; sie sackten erst (weiter) ab, nachdem die europäischen Märkte so schwach eröffneten. Das erscheint logisch – schließlich ist Europa näher dran an dem Konflikt, auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass er auf andere Länder übergreift oder gar die NATO eingreift. Allerdings haben die US-Börsen schon am Freitag nach Börsenschluss in Europa wieder nachgegeben.
Ein Einmaleffekt
Wie auch immer – beim Bruch der 15.000-Punkte-Marke droht der Rückfall weiterzugehen, weil die Put-Positionen bei 15.000 Punkten abgesichert werden müssen. Das könnte die Kurse weiter drücken, so dass dadurch weitere bearishe Signale ausgelöst werden, die wiederum zu zusätzlichen Verkäufen führen. Es droht also eine gewisse Kettenreaktion.
Wenn wir diesem unerfreulichen Szenario etwas Positives abgewinnen wollen, dann dass die 15.000er Put-Position allein auf weiter Flur ist. Dadurch kann es zwar einen kurzfristigen Druck auf die Kurse geben, aber dieser lässt auch wieder nach, wenn alle Puts abgesichert wurden. Und es scheint, als ob wir genau diesen Einmaleffekt gestern Morgen erlebt haben: Die Kurse fielen zwar zunächst sehr dynamisch, aber es kam dann am späten Vormittag zu einer Beruhigung und später zu einer Erholung im DAX. Der Kurs kehrte zwar wieder über 15.000 Punkte zurück, aber liegt noch auf dem Niveau des Tiefs von Anfang Februar und damit weiterhin in gefährlicher Nähe zu wichtigen Unterstützungen – eben auch der 15.000er Marke.
Desolate Lage für die Bullen
Der weitere Verlauf bis zum Verfallstag wird daher davon abhängen, wie dominant die Bären inzwischen sind bzw. wie stark die Bullen angeschlagen wurden. Denn die kurzfristige charttechnische Lage ist aus Sicht der Bullen fast schon desolat – sofern die Erholung vom Montagnachmittag keinen Bestand hat.
So ist der DAX gestern zunächst aus einem großen absteigenden Dreieck (grau) nach unten herausgefallen und hat bereits die 15.000-Punkte-Marke unterschritten. Das graue Dreieck ist keine klassische Formation, die sich für eine charttechnische Deutung eignet, da sie nicht in einem Trend, sondern in einer Seitwärtsbewegung liegt. Aber die generelle Deutung eines solchen Dreiecks gilt natürlich auch hier: Die Bären konnten die Erholungsversuche der Bullen immer früher zurückschlagen, während die Bullen mit dem Rücken zur „Wand“ (der Unterkante des Dreiecks) standen.
Diese letzte Bastion mussten die Bullen kurzzeitig aufgeben und konnten danach den Angriffen der Bären nur wenig entgegensetzen, so dass das Chartbild kurzfristig klar bearish ist.
Auch die übergeordnete Lage ist kritisch!
In diesem Fall haben die Bullen aber noch eine allerletzte Bastion: die Unterkante des gelben Rechtecks. Diese konnten die Bullen gestern immerhin verteidigen (siehe Pfeil). Das war enorm wichtig, denn diese Linie ist von überragender übergeordneter Bedeutung, wie der längerfristige DAX-Chart zeigt:
Der DAX hat nach dem Corona-Crash 2020 eine kräftige Aufwärtsbewegung gestartet, die zumindest auf der Unterseite einer klaren Trendlinie (grün) folgte. Ab dem Frühjahr folgte dann eine Seitwärtsbewegung – das bekannte gelbe Rechteck –, wodurch die Trendlinie gebrochen wurde. Dieser Trendbruch ist kein Beinbruch, denn ein solches Rechteck ist eine Fortsetzungsformation, die (in diesem Fall) mit einem Ausbruch nach oben beendet werden sollte, wonach die Aufwärtsbewegung weitergeht.
Kritisch ist jedoch, wenn ein solches Rechteck nach unten verlassen wird. Dann kann es auch eine Top-Formation sein. Die Wahrscheinlichkeit dafür steigt, je länger der Trend zuvor lief und je ausgedehnter das Rechteck ist. In diesem Fall liegt vor dem Rechteck der längste Bullenmarkt der Börsenhistorie, der inzwischen fast 14 Jahre läuft. Und die Seitwärtsbewegung hat im März 2021 begonnen, dauert also auch schon fast ein Jahr.
Warum diesmal keine Verfallstagsprognose möglich ist
Aus meiner Sicht überlagern diese drei Faktoren aktuell die Einflüsse der Verfallstagskonstellation: der drohende kurzfristige Bruch der 15.000-Punkte-Marke, die mögliche Top-Formation und der weitere Verlauf der Ukraine-Krise. Insbesondere Letztere ist für Kursausschläge aller Art gut. Eine weitere Eskalation könnte die Kurse weiter (stark) drücken, eine Entspannung, aber auch der Beginn einer militärischen Auseinandersetzung könnte – nach einem ersten heftigen Kurseinbruch – zu einer Gegenbewegung führen.
Daher wäre eine Kurszielprognose zum Verfallstag unseriös. Klar ist jedoch, dass vorerst die Bären die Oberhand haben. Die nächsten Tage sollten Sie daher den Tradern überlassen – oder selbst mittraden. Die gestrige Kurskerze – eine Hohe Welle bzw. ein Doji – bietet dafür eine recht gute Ausgangsposition: Die klassische Regel lautet, dass beim Ausbruch über das Hoch oder unter das Tief ein Einstieg in die entsprechende Richtung sinnvoll ist. Aber aufgrund der geopolitischen Probleme sollten Sie eventuelle Trades eng begleiten und rechtzeitig absichern.
Mit besten Grüßen
Ihr Torsten Ewert
(Quelle: www.stockstreet.de)