Steht die Korrektur schon vor dem Ende?
Sehr verehrte Leserinnen und Leser,
Konsolidierungen wecken wieder alle zwischenzeitlich verdrängten Ängste bei den Anlegern. Das ist in der laufenden Konsolidierung nicht anders – insbesondere nach dem jüngsten neuerlichen Rücksetzer. Die medial dramatisierten Nachrichten über die Griechenlandkrise tun dabei ein Übriges. Die Stimmung an den Börsen ist jedoch immer noch besser als es den Anschein haben mag.
Branchenvergleich zur Stimmungsanalyse
Wenn man ergründen will, wie die Stimmungslage tatsächlich ist und ob die Zweifel den bisherigen Optimismus verdrängen, hilft meist schon ein einfacher Branchenvergleich. Die Überlegung dahinter ist folgende: Wenn die Zweifel bei der Masse der Anleger – oder zumindest bei den finanzstarken Institutionellen – überhandnehmen, dann werden sie in „sichere Häfen“ flüchten. Neben den Anleihen sind das traditionell die defensiven Branchen.
Dazu gehören all jene Wirtschaftszweige, die weitgehend unabhängig von konjunkturellen und Marktschwankungen sind. Das sind vor allen die Nahrungsmittel- und Getränkeindustrie („Gegessen und getrunken wird immer!“). Aber auch Hersteller von diversen Verbrauchswaren des täglichen Bedarfs zählen dazu und natürlich der Handel, der all diese Dinge unters Volk bringt. Gleiches gilt auch für die meisten Anbieter von Gesundheitsprodukten (vor allem Medikamenten) und -dienstleistungen. Weitgehend konjunkturunabhängig sind natürlich auch Versorgungs- und Telekommunikationsunternehmen, denen die Kunden selbst in Krisenzeiten ebenfalls weitgehend erhalten bleiben.
Zwei typische Phasen
Betrachten wir unter diesen Aspekten die Performance der europäischen Branchenindizes, und zwar in den zwei typischen Phasen. Die erste Phase ist der Zeitraum vom 15. April (bisheriges Jahreshoch im Leitindex STOXX Europe 600) bis zum 09. Juni (jüngstes Tief der gesamten Korrektur). Die zweite Phase ist der Zeitraum seit dem Tief am 09. Juni.
Zu erwarten ist, dass die „ungeliebten“ Branchen in der ersten Phase (Korrektur) am meisten verloren und in der zweiten Phase (Erholung) am wenigstens stiegen. Für die Branchenfavoriten der Investoren sollte dementsprechend das Gegenteil gelten. Schauen wir auf das Ergebnis, sortiert nach der Gesamtperformance in beiden Phasen:
Quelle: MarketMaker (Stand 12.06.2015)
In der Tabelle sind die defensiven Branchen grau markiert. Dabei fällt auf, dass insbesondere die klassischen „sicheren Häfen“, die Nahrungsmittelbranche und der Gesundheitssektor allenfalls im hinteren Drittel rangieren. Das spricht keinesfalls für eine besondere Risikoaversion der Anleger.
Bemerkenswerte Ergebnisse des Branchenvergleichs
Noch erstaunlicher ist allerdings, dass der Bankensektor die Liste anführt und insbesondere die geringsten Verluste in der Korrektur aufzuweisen hat. Würden die Börsianer tatsächlich eine Pleite Griechenlands bzw. im Pleitefall größere Turbulenzen im Finanzsektor erwarten, dann sollte man erwarten, dass Bank-Aktien konsequent gemieden werden. Da dies offensichtlich nicht der Fall ist, sind die Anleger in dieser Frage wohl ziemlich entspannt. Dafür spricht auch, dass andere Finanzwerte im oberen Drittel der Rangliste auftauchen.
Auch größere Konjunkturbefürchtungen sind nach diesem Branchenvergleich nicht auszumachen. Sowohl Automobil- als auch andere Industriewerte rangieren im guten Mittelfeld, ebenso Grund- bzw. Rohstoffaktien. Damit zeigen die Anleger, dass sie offenbar (noch) keinen Grund sehen, auf breiter Front in die vermeintlich sicheren Sektoren umzuschichten.
Letztlich bestätigt damit der Branchenvergleich nur die Signale, die auch die großen Indizes zuletzt sendeten: Trotz der neuen vermeintlichen Hiobsbotschaften zur Griechenlandkrise (z.B. Rückzug des IWF-Verhandlungsteams) markierten die Märkte kein neues Tief mehr, sondern setzten zu einer Gegenbewegung an. Und selbst mit der gestrigen Schwäche bleibt die Chance auf eine Erholung gewahrt!
Bis zu klaren bullishen Signalen ist Vorsicht angebracht
Allerdings ist diese noch relativ frisch und damit wenig aussagekräftig. Man darf zudem davon ausgehen, dass derzeit hauptsächlich spekulative Anleger aktiv sind, die nur sehr kurzfristig orientiert agieren. Diese werden sofort wieder aussteigen, wenn die Lage doch noch kippt und es in Griechenland zum GAU kommt.
Insofern ist eine gewisse Vorsicht weiterhin angebracht, zumal klare bullishe Signale in den Hauptindizes noch fehlen – auch im DAX (siehe Steffens Daily vom Freitag). Der Branchenvergleich kann jedoch ein möglicher früher Hinweis darauf sein, wie es in den kommenden Wochen an den Börsen weitergeht. Wenn also wichtige Widerstände überwunden bzw. Konsolidierungsformationen gebrochen werden, dann können wieder Long-Positionen auf- oder ausgebaut werden.
Mit besten Grüßen
Ihr Torsten Ewert
(Quelle: www.stockstreet.de)