Nur Mini-Fortschritte beim Brexit und dem Handelsstreit
Bei der Parlamentswahl in Großbritannien hat die Partei von Premierminister Boris Johnson die absolute Mehrheit im Unterhaus gewonnen. Johnson kann damit nun den Brexit deutlich einfacher durchsetzen, als es bislang der Fall war. Denn nun muss er nur noch die Kritiker aus den eigenen Reihen überzeugen. Und so scheint ein (geregeltes) Ausscheiden aus der Europäischen Union am 31. Januar deutlich wahrscheinlicher – ja sogar so gut wie sicher. Schließlich hatte Johnson selbst den aktuellen Austrittsvertrag mit der EU zuletzt ausgehandelt. Das Unterhaus kann diesem nun zustimmen und der Brexit damit am 31. Januar geregelt stattfinden.
Eine gehörige Portion Unsicherheit ist aus dem Markt
Und weil damit nun eine gehörige Portion Unsicherheit aus dem Markt ist und die Anleger Sicherheit mögen, konnten insbesondere das Pfund und der Euro, aber auch viele Aktien gestern stark zulegen. Allerdings hielten sich die Gewinne insgesamt in Grenzen und sie wurden anschließend zu einem Großteil wieder abgegeben. So konnte der DAX zum Beispiel zwar mit einer Eröffnungslücke auf ein Zwei-Jahres-Hoch steigen, doch Anschlussgewinne blieben aus (siehe roter Kreis im folgenden Chart).
Dabei lag das neue Trendhoch des gestrigen Tages mit 13.423,41 Punkten gerade einmal um rund 50 Zählern bzw. 0,367 % über dem bisherigen Trendhoch vom 19. November bei 13.374,27 Punkten. Und am Ende kam es, wie auch bei vielen Einzelwerten, zu einem scharfen Rücksetzer, so dass sich eher Wendekerzen ausbildeten als klare neue Aufwärtsbewegungen.
Der Brexit ist nach wie vor eine Belastung
Ein Grund dafür könnte sein, dass sich einerseits in Nordirland und Schottland Tendenzen zeigen, den Brexit nicht mitzugehen, sondern Teil der EU zu bleiben. In Nordirland haben die Nationalisten mehr Stimmen erhalten als die pro-britischen Unionisten. Und in Schottland fordert die Regierungschefin ein eigenes Unabhängigkeits-Referendum. Es könnten sich also neue Unsicherheiten im Brexit-Theater ergeben.
Zudem ist ein Brexit nach wie vor für die Wirtschaft eine Belastung, auch weil bislang lediglich die Austrittsmodalitäten ausgehandelt wurden, aber noch nicht die zukünftigen Beziehungen. Diese sollen erst im nächsten Schritt ab dem 1. Februar bis Ende 2020 verhandelt werden. Und insofern dürfte die Investitionszurückhaltung der Unternehmen bestehen bleiben.
Sehr widersprüchliche Aussagen zum Handelsstreit
Zudem wurde die Erleichterung über den Wahlausgang in Großbritannien sehr schnell wieder von einer Unsicherheit über die Entwicklungen im Handelsstreit überschattet. Denn es gab gestern wieder sehr widersprüchliche Meldungen in Sachen Abkommen und Zölle.
So gab es im frühen Handel (MEZ) die Meldung, dass sich China im Gegenzug zu den reduzierten US-Zöllen dazu bereit erklärt hat, im kommenden Jahr für 50 Milliarden Dollar Agrarprodukte zu kaufen, was eine Verdopplung im Vergleich zu 2017 bedeutet. Doch einige chinesische Regierungsmitglieder sollen nicht glücklich mit dieser Vereinbarung sein. Wenig später teilte US-Präsident Donald Trump mit, die Medienberichte über das Thema Zölle seien „komplett falsch“.
Dennoch verkündete die chinesische Regierung ab ca. 16 Uhr (MEZ) auf einer Pressekonferenz, dass man bei der ersten Phase einer Vereinbarung eine Einigung erzielt habe und die von beiden Seiten beschlossenen Zölle schrittweise zurückgenommen werden sowie die für Sonntag geplanten neuen Zölle nicht in Kraft treten. China werde mehr amerikanische Produkte kaufen, nannte jedoch keine genaue Summe und auch andere Details über die genaue Zusammensetzung der Waren wurden nicht genannt.
Und noch während der Pressekonferenz bestätigte Trump plötzlich per Twitter, dass die für Sonntag geplanten Zölle tatsächlich vom Tisch seien. Die Zölle in Höhe von 25 % blieben allerdings bestehen. Und Zölle in Höhe von 7,5 % würden auf einen großen Teil des Rests erhoben.
Was wurde nun eigentlich konkret vereinbart?
Bei diesem Hin und Her hätte man beinahe den Überblick verlieren können. Und so ganz schlau ist man nach den gestrigen Meldungen immer noch nicht. Denn viele Details blieben offen – zum Beispiel zu erzielten Einigungen in Sachen Technologietransfer, geistiges Eigentum und Wechselkurse. Vize-Handelsminister Wang sagte lediglich, dass das Teil-Abkommen Kapitel über diese Themen enthält.
Mein aktueller Eindruck ist jedenfalls, dass der aktuelle Handelsdeal deutlich weniger ist, als sich die Märkte eigentlich erhofft hatten. Ok, die für Sonntag geplanten Zölle sind vom Tisch. Aber dies war nach den jüngst optimistischen Tönen auch zu erwarten. Und offenbar kauft China deutlich weniger US-amerikanische Agrargüter als zunächst gemeldet. Zudem werden die bestehenden Zölle deutlich weniger stark gesenkt als um die zuletzt gemeldeten 50 %.
Denn Trumps aktuelle Aussagen interpretiere ich so, dass Importe aus China in die USA im Umfang von rund 250 Milliarden US-Dollar unverändert mit einem Zollsatz von 25 % belastet bleiben und lediglich für Waren im Volumen von 100 Milliarden Dollar der Zollsatz um 50 % von bislang 15 % auf 7,5 % reduziert wird.
Nur ein Mini-Deal
Mir scheint es, als sei es bei dem „Mini-Deal“ eher darum gegangen, dass sowohl die chinesische als auch die US-amerikanische Seite ihr Gesicht wahren konnte. Eine echte Entschärfung des Handelsstreits ist damit bislang nicht gelungen. Diese werden wohl frühestens die laut Trump sofort beginnenden Verhandlungen zur Phase 2 bringen.
Ich glaube allerdings nicht, dass diese noch vor der US-Präsidentschaftswahl im November 2020 zu einem Abschluss kommen. Denn auch wenn es eigentlich keine nennenswerten Entlastungen für die Weltwirtschaft gibt und die Unsicherheiten extrem hoch bleiben, so kann Trump nun dennoch im anstehenden Wahlkampf betonen, dass ihm ein erster Handelsdeal gelungen ist. Und die Chinesen dürften nun sehr daran interessiert sein, erst einmal das Ergebnis der US-Wahl abzuwarten.
Wieder ein Fehlausbruch im DAX
Die Börsen scheinen meine Sicht der Dinge zu teilen. Denn weder die US-Indizes noch der DAX konnten die jüngsten Meldungen mit nachhaltig steigenden Kursen quittieren. Im DAX ist dadurch gestern sogar wieder ein Fehlausbruch entstanden (siehe roter Bogen rechts im folgenden Chart).
Und weil der Deal nach bislang vorliegenden Informationen keine echte Entlastung für die Weltwirtschaft darstellt, könnte diese Bullenfalle noch bearishe Konsequenzen nach sich ziehen. Man sollte aber nun erst einmal das Wochenende abwarten. Denn vielleicht kommen zum aktuellen Deal noch einige Details ans Tageslicht. Und bis Montag haben die Anleger dann Zeit, diese Informationen zu bewerten. Der Montag wird dann zeigen, ob sie sich zufrieden oder enttäuscht zeigen. Aktuell würde ich auf letzteres setzen.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihrer Geldanlage
Ihr
Sven Weisenhaus
(Quelle: www.stockstreet.de)