Neue Liquidität von Notenbank und Regierung
Nicht nur die jüngsten Konjunkturdaten können die Erwartungen der Anleger übertreffen, auch das von der Bundesregierung beschlossene Konjunkturprogramm im Volumen von 130 Milliarden Euro und die Ausweitung der Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank (EZB) im Rahmen des Pandemie-Notfallprogramms (PEPP) um 600 Milliarden auf nun 1,35 Billionen Euro lagen über den Prognosen (100 Milliarden bzw. 500 Milliarden Euro).
Dass die PEPP-Käufe dabei bis mindestens Juni 2021 verlängert werden und die Reinvestitionen bis mindestens Ende 2022 fortgesetzt werden, war dabei nur die Kirsche auf der Sahnetorte. Denn letztlich bleibt dadurch das Volumen der Käufe gleich, es wird nur zeitlich gestreckt.
Als Hauptgrund für die erneute geldpolitische Lockerung nannte die EZB den Rückgang der Inflation bzw. die Inflationserwartungen (siehe auch Tabelle unten). Die PEPP-Käufe werden solange fortgesetzt, bis die Coronavirus-Krise vorbei ist, heißt es dazu im Statement. Und bei den übrigen Kaufprogrammen behielt die EZB den bisherigen Kurs bei, ebenso bei den Leitzinsen. Dies wird solange der Fall sein, bis die Preisentwicklung das Ziel der EZB erreicht hat.
Was kann die Aktienmärkte jetzt noch treiben?
Nun muss man sich allerdings langsam fragen, was die Aktienkurse eigentlich noch treiben kann. Sicherlich, einige jüngst beschlossenen Maßnahmen treten erst noch in Kraft und werden dann wirken. Diese Wirkung wird zu einer Erholung der Wirtschaft insbesondere durch Konsum führen, was zu wieder höheren Umsätzen bei den Unternehmen und letztlich wieder zu Gewinnen führen wird. Doch dies ist bereits in den Aktienmärkten eingepreist. Fundamental sind sie daher längst mehr als ambitioniert bewertet.
Die Hoffnung auf eine schnelle Konjunkturerholung ist ebenfalls bereits so hoch, dass sich verbessernde Konjunkturdaten diese nur noch bestätigen, sie aber kaum mehr zusätzlich befeuern können. Und die Notenbanken dürften ihr Pulver langsam verschossen haben oder zumindest erst einmal abwarten, wie die beschlossenen Maßnahmen wirken. Es ist daher davon auszugehen, dass vorerst nicht mehr nachgelegt wird, wenn überhaupt. Das gilt nach dem gestrigen Tag insbesondere für die EZB.
EZB: Selbst Ende 2022 nicht auf Vor-Krisen-Niveau
Bleibt also nur noch das Prinzip „die Hausse nährt die Hausse“, nach dem die Anleger noch handeln können. Aber ich würde mein Geld nicht ausschließlich auf das Prinzip Hoffnung setzen. Zumal immer mehr darauf hindeutet, dass die Hoffnungen der Anleger, insbesondere auf eine schnelle konjunkturelle Erholung, sich nicht in dem Maße erfüllen werden, wie sie aktuell durch steigende Aktienkurse bereits vorweggenommen werden.
Die EZB geht zum Beispiel in ihren aktuellen Projektionen davon aus, dass das Bruttoinlandsprodukt der Eurozone im laufenden Jahr um 8,7 % schrumpfen wird. 2021 soll es sich dann um 5,2 % erholen und 2022 um 3,3 % zulegen.
(Quelle: Europäische Zentralbank)
Rechnen wir einmal nach: Wenn das BIP im laufenden Jahr um 8,7 % sinkt, dann landet es bei 91,30 % des Vorjahresniveaus. Erholt es sich nun 2021 um 5,2 %, dann macht dies einen neuen Wert von 96,05 %. Und kommen 2022 3,3 % hinzu, dann steht das BIP am Ende bei 99,22 % des 2019er Wertes.
(Quelle: Europäische Zentralbank)
Also selbst Ende 2022 werden wir laut den Erwartungen der EZB (blaue Linie im Chart) nicht das Niveau erreichen, auf dem wir uns vor der Krise bewegt haben.
Verlorene Gewinne und zu tilgende Kredite
Das liegt auch daran, dass es bei vielen Unternehmen keine Aufholeffekte geben wird. Die nicht erzielten Umsätze und Gewinne der vergangenen Wochen und Monate sind teilweise für immer verloren. Selbst dort, wo durchaus Aufholeffekte zu erwarten sind, wie zum Beispiel aktuell bei Adidas in China, kann man eigentlich nur bedingt optimistisch sein. Denn viele Unternehmen müssen auch erst einmal krisenbedingt aufgenommene Kredite zurückzahlen, bevor sie wieder unter dem Strich Gewinne erzielen wie vor der Krise, bei Adidas (3 Milliarden Euro) und bei vielen anderen Unternehmen. Die Aktienmärkte stehen aber derzeit schon fast so hoch wie vor der Krise, insbesondere der Nasdaq 100, obwohl wir noch inmitten der Krise stecken.
Man muss nicht permanent im Markt investiert sein
Und vor diesem Hintergrund kann es aktuell Sinn machen, seine Schäfchen einfach mal ins Trockene zu bringen, Investments also zu reduzieren und Gewinn mitzunehmen (siehe unten) und Cash zu halten. Man muss schließlich nicht permanent voll im Markt investiert sein, auch wenn man damit einige Prozentpunkte Gewinn liegen lässt. Denn an der Börse gilt es stets, in einem vernünftigen Chance-Risiko-Verhältnis zu investieren. Und bei den meisten Aktien ist das Risiko, dass diese inzwischen deutlich zu hoch bewertet und die Kurse völlig überkauft sind, einfach schon deutlich höher als die Chance, dass sich der Kursanstieg einfach ohne stärkere Gegenbewegungen fortsetzt.
Gewöhnungseffekt kann auch bei positiven Nachrichten einsetzen
Man sollte auch beachten, dass der Gewöhnungseffekt nicht nur bei negativen Entwicklungen gilt, sondern auch bei positiven. So hat man aktuell bereits erlebt, dass die jüngsten Wirtschaftsdaten besser ausgefallen sind als die vorherigen. Und man erwartet, dass dies auch bei den zukünftigen so sein wird. Bestätigt sich dies, ist das keine Überraschung mehr. Es könnte dann vermehrt zu einem „Sell the facts“-Effekt kommen, statt zu Freudensprüngen.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihrer Geldanlage
Ihr
Sven Weisenhaus
(Quelle: www.stockstreet.de)