Jahreszahlen sind für die Börse uninteressant
Die Bilanzsaison zum 4. Quartal 2020 ist so gut wie abgehakt. Schließlich haben laut Erhebungen von Refinitiv von den 500 Unternehmen des S&P 500 bis vergangenen Freitag bereits 498 ihre Bilanzen vorgelegt. Und es dauert nicht mehr lange, dann präsentieren die ersten Unternehmen schon ihre Zahlen zum 1. Quartal 2021.
Daher möchte ich jetzt auch gar nicht mehr im Detail auf das vergangene Quartal eingehen, sondern auf etwas anderes hinweisen: Mit den Unternehmensberichten zum 4. Quartal 2020 wurden auch die Jahreszahlen veröffentlicht. Und mir ist aufgefallen, dass Nachrichtenagenturen wie Reuters weniger über die Ergebnisse des 4. Quartals berichtet haben, sondern eher über die Umsatz- und Gewinnentwicklungen des gesamten Jahres 2020.
Und da fiel mir die E-Mail eines Lesers ein, die ich bereits am 23. Februar erhalten hatte. Darin enthalten war folgende interessante Grafik:
Der Leser schrieb dazu: „…Egal wie man es dreht und wendet, aus dem Rückgang der Gewinne wird einfach kein Wachstum. …“. Und weiter: „Man kann auch die Summe der Gewinne der letzten vier Quartale addieren, um den Jahresgewinn zu berechnen und diesen dann mit dem Vorjahr zu vergleichen. Es bleibt dabei, die Gewinne sind auf Jahressicht um 20?% geschrumpft, wenn man den Quartalsgewinn Ende 2019 mit Ende 2020 vergleicht. …“
Ich habe dem Leser am 27. Februar Folgendes geantwortet:
Statt eines erwarteten Gewinnrückgangs gab es Gewinnwachstum
Aus einem Rückgang der Gewinne wird wahrlich kein Wachstum. Aber darum geht es an der Börse nicht. Ein Rückgang bei den Gewinnen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum war längst erwartet worden. Während der Bilanzsaison hat sich allerdings gezeigt, dass die Gewinne bei weitem nicht so stark gesunken sind, wie man es befürchtet hatte. Und für das 4. Quartal 2020 steht im S&P 500 inzwischen sogar unter dem Strich ein Gewinnwachstum zu Buche.
Das hatte sich bereits abgezeichnet - siehe Börse-Intern vom 29. Januar. Zitat: „Anfang des Jahres waren Analysten noch davon ausgegangen, dass die Gewinne um -10,3 % eingebrochen sind, nach sogar -13,6 % am 1. Oktober 2020.“ Und: „...so kommen die Unternehmen des S&P 500 aktuell auf einen Rückgang der Unternehmensgewinne im Vergleich zum Vorjahreszeitraum von -2 %“. Zudem: „Und FactSet rechnet damit, dass der S&P 500 letztlich sogar zum ersten Mal seit dem 4. Quartal 2019 ein Gewinnwachstum gegenüber dem Vorjahr ausweisen könnte, wenn auch die noch ausstehenden Bilanzen die Schätzungen im aktuellen Ausmaß übertreffen.“
Inzwischen haben 479 Unternehmen des S&P 500 ihre Bilanzen offengelegt. Und damit hat sich gezeigt, dass das Gewinnwachstum im 4. Quartal 2020 gegenüber dem Vorjahreszeitraum sogar bei +4,2 % liegt. Die Gewinnerwartungen der Analysten vom Oktober 2020 konnten also um sagenhafte 17,8 Prozentpunkte übertroffen werden.
Und so haben wir es inzwischen also nicht mehr mit einem Rückgang der Gewinne, sondern doch bereits wieder mit Wachstum zu tun. Und das gilt übrigens nicht nur für die relativen Zahlen (%), sondern auch für die absoluten. So summierten sich die Gewinne der 11 Sektoren des S&P 500 im 4. Quartal 2019 auf 344,6 Milliarden Dollar. Im 4. Quartal 2020 waren es 359,2 Milliarden Dollar - ein Wachstum um 14,6 Milliarden Dollar.
Jahreszahlen sind für die Börse irrelevant
Es macht dabei auch keinen Sinn, „die Summe der Gewinne der letzten vier Quartale addieren, um den Jahresgewinn zu berechnen und diesen dann mit dem Vorjahr zu vergleichen“. Denn schon das 3. Quartal 2020 ist für die Börsen völlig irrelevant, weil es zu weit in der Vergangenheit liegt. Und der Jahresgewinn ist genauso uninteressant für die Börsen wie andere Jahreszahlen. An den Märkten ist höchstens noch wichtig, wie das vergangene Quartal bzw. der vergangene Monat abgeschnitten hat.
Kürzlich wurde zum Beispiel gemeldet, dass die deutsche Industrieproduktion im Jahr 2020 um mehr als 10 % gesunken ist. Für die Börse war dies aber überhaupt nicht wichtig. Hier war es höchstens noch eine Randnotiz, dass die Industrieproduktion im Dezember 2020 gegenüber dem Vorjahresmonat schon nur noch um -1,5 % niedriger lag, Tendenz steigend.
Jahreszahlen sind lediglich für die Statistik und die Medien interessant, nicht jedoch für die Börsen.
Ist es für die Börsen wichtig, dass der Auftragseingang des deutschen Bauhauptgewerbes im Jahr 2020 real (preisbereinigt) um 2,6 % gegenüber dem Vorjahr zurückgegangen ist? Nein! Die Aussagekraft dieser Zahl tendiert gegen Null. Denn der reale (preisbereinigte) Auftragseingang im Bauhauptgewerbe lag im Dezember 2020 saison- und kalenderbereinigt um 4,6 % höher als im Vormonat. Und im Vorjahresvergleich stieg (!) der reale Auftragseingang im Bauhauptgewerbe im Dezember 2020 kalenderbereinigt um 0,2 %. Die Tendenz ist also auch hier inzwischen schon längst wieder aufwärts gerichtet, während die Jahreszahl noch einen pessimistischen Eindruck vermittelt.
Börse handelt die Zukunft!
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihrer Geldanlage
Ihr
Sven Weisenhaus
(Quelle: www.stockstreet.de)