Evotec und Varta im Sog von GameStop
Der Börsenwahnsinn der laufenden Übertreibung, die inzwischen Züge einer Blase hat, setzt sich fort. Die GameStop-Aktien legten gestern noch einmal um mehr als 140 % zu, auf nun im Hoch aberwitzige 380 Dollar.
Das von der Pleite bedrohte Unternehmen wiegt damit nicht mehr 11 Milliarden Dollar, wie vorgestern (siehe "Wilde Spekulationen mit Aktien von GameStop"), sondern nun sogar mehr als 25 Milliarden Dollar.
Evotec steigt im Sog von GameStop
Und es gibt weitere Beispiele für eine extreme Spekulation an den Aktienmärkten. Und dabei handelt es sich wohl um Auswirkungen der jüngsten Exzesse bei den Aktien von GameStop (siehe vorgestrige Börse-Intern): Die Aktien von Evotec sind gestern um 30 % in die Höhe geschnellt, nur um anschließend fast den gesamten Tagesgewinn wieder abzugeben (siehe rote Tageskerze im folgenden Chart), ähnlich wie vorgestern zwischenzeitlich bei GameStop.
Was aber hat Evotec, ein deutsches Pharma- und Biotech-Unternehmen, mit den Kurskapriolen einer US-Computerspielkette zu tun? Ganz einfach: In beiden Aktien ist der Hedgefonds Melvin Capital investiert – als Shortseller. Und mit ihrer Spekulation auf die Aktien von GameStop hätten die Kleinanleger laut Medienberichten beinahe die Pleite von Melvin Capital verursacht! Denn bei GameStop hat sich Melvin Capital gigantisch verzockt.
Seine Pleite wäre die größte Hegdefonds-Pleite seit Ende der 1990er Jahre gewesen. Sie konnte nur verhindert werden, weil zwei andere Hedgefonds, Citadel und Point72, Melvin Capital mit 2,75 Milliarden Dollar unter die Arme gegriffen haben, um einen Zusammenbruch des Konkurrenten zu verhindern. Und weil Melvin Capital nun retten muss, was noch zu retten ist, löst der Fonds derzeit auch andere Short-Positionen auf – zum Beispiel bei Evotec. Diese Deckungskäufe von Melvin sind also der Grund für den aktuellen Kurssprung der deutschen Biotech-Firma.
Evotec bringt ein KUV von 14 und ein KGV von 464 auf die Waage
Evotec wog an der Börse übrigens gestern im Hoch rund 7 Milliarden Euro. Im vergangenen Jahr hat das Unternehmen allerdings „nur“ weniger als 500 Millionen Euro umgesetzt. Das Kurs-Umsatz-Verhältnis (KUV) liegt also bei etwa 14. Selbst 2022 soll der Umsatz laut Analystenschätzungen immer noch „nur“ bei 623 Millionen Euro liegen. Die fundamentale Bewertung an der Börse ist also exorbitant hoch.
Das bestätigt auch ein Blick auf das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV). Je Aktie erzielte Evotec 2020 einen Gewinn in Höhe von 0,0925 Euro. Daraus errechnet sich ein KGV von 464, wenn man das gestrige Tageshoch der Aktie zu Grunde legt. 2022 soll der Gewinn je Aktie laut Analysten immerhin auf 0,2975 Euro steigen. Aber selbst damit liegt das KGV noch bei märchenhaften 144. Es ist daher durchaus nachvollziehbar, dass Shortseller auf fallende Aktienkurse bei Evotec gesetzt haben.
Wer sich gestern gedacht hat, mit den Aktien von Evotec bei Kursen von 43 Euro noch auf den fahrenden Zug aufzuspringen, um von der gigantischen Spekulation zu profitieren, der sitzt nun schon nach wenigen Stunden auf Verlusten von mehr als 20 %. Man sollte also sehr vorsichtig sein, ob man in der aktuellen Marktphase, in der gerade auch Biotech-Aktien durch die Corona-Pandemie eine begehrte Ware sind, noch mitmischen möchte.
Varta bringt ein KUV von 8 und ein KGV von 60 auf die Waage
Neben Evotec sind gestern auch die Aktien des Batterie-Konzerns Varta in den Sog der GameStop-Spekulationen geraten. Auch diese Aktien schossen im frühen Handel in die Höhe, weil Melvin Capital hier, so wird berichtet, ebenfalls Short-Positionen eindecken musste.
Varta wog an der Börse gestern im Rekordhoch von 168 Euro stolze 6,79 Milliarden Euro, bei einem Umsatz in 2020 von rund 860 Millionen Euro (KUV = 7,9) und einem Gewinn je Aktie von 2,76 Euro (KGV = 60).
Laut Analysten wird Varta im kommenden Jahr allerdings Umsätze von 1,33 Milliarden und einen Gewinn je Aktie in Höhe von 5,46 Euro erzielen können. Das KUV sinkt damit auf 5,1 und das KGV halbiert sich auf 30. Der Aktienkurs wird damit schon deutlich günstiger, die Bewertung ist aber immer noch ziemlich ambitioniert.
Keine Frage, Evotec und insbesondere GameStop sind wesentlich teurer, aber Varta-Aktionäre waren mit dem Kurs von 120 Euro, auf dem die Aktie erst vor einer Woche noch stand, sicherlich auch sehr zufrieden.
Anleger agieren mit offenem Visier
Brauchen Sie noch mehr Beispiele zur aktuellen Spekulation? Kein Problem: Die New York Times weist in einem Artikel vom Montag mahnend auf das sehr hohe Handelsvolumen am Optionsmarkt hin. Im vergangenen Jahr wurden 7,47 Milliarden Kontrakte gehandelt. Damit wurde ein neues Rekordniveau erreicht. Wie gravierend dieser Rekord ist, zeigt die folgende Einordnung: Der letzte Rekord wurde im Jahr 2018 aufgestellt. Und im Vergleich zu diesem war das Handelsvolumen im vergangenen Jahr fast 45 % höher als 2018. Zur Erinnerung: 2018 war mit hohen Kursverlusten letztlich ein sehr dunkles Kapitel für den Aktienmarkt.
Zudem weist die New York Times in dem Artikel auf das sogenannte Put-Call-Ratio hin, also das Verhältnis von gehandelten Verkaufs- zu Kaufoptionen. Bei dieser Kennzahl ist der 50-Tage-Durchschnitt auf einem Wert von nur noch 0,42 angekommen. Anleger sehen damit aktuell kaum mehr die Notwendigkeit, sich vor fallenden Kursen zu schützen. Doch beim letzten Mal, als ein solch niedriger Wert erreicht wurde, platzte gerade die Dotcom-Blase.
Wer weiß, ob die gestrigen erneuten Kursrücksetzer an den Aktienmärkten nicht bereits das vorläufige Ende der Aufwärtstrends besiegeln.
Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg an den Börsen
Ihr
Sven Weisenhaus
(Quelle: www.stockstreet.de)