Eingeschränkt bullish anstatt bearish
Im Laufe der vergangenen Monate erhielt ich hin und wieder Mails, in denen Leser anmerkten, dass ich zu bearish sei. Beispielsweise folgende Mitteilung vom 29. Januar:
„Hallo,
wird hier nicht von Sven ein zu bärisches Szenario vermittelt.
Seit Monaten trommelt er bärische Nachrichten? und wird immer wieder auf dem falschen Fuß erwischt. […]“
Im Nachhinein
Im Nachhinein wissen wir nun, dass die Aktienmärkte exakt zum Zeitpunkt dieser E-Mail einen massiven Kurseinbruch erlebten. So rutschte der DAX von 13.596,89 auf 11.726,62 Punkte um 13,76 % ab. Und auch ein halbes Jahr später am heutigen Tag notiert der DAX weiterhin mehr als 1.000 Punkte unter dem Niveau vom 29. Januar (ca. 13.300). Ich könnte nun also sagen: Schaut her, mein bearishes Szenario ist eingetreten.
Eine Antwort von früher
Doch darum geht es nicht, ich war nicht einmal wirklich bearish. Ich greife diese alte Nachricht nochmal auf, da mich eine solche Mail auch heute wieder erreichen könnte. Und wieder würde ich dieselbe Antwort darauf schreiben. Am 30. Januar lautete diese:
„Hallo [..],
[…] ich habe bislang stets von sehr positiven Wirtschaftsdaten geschrieben, insbesondere über die Einkaufsmanagerindizes, die ein perfektes Umfeld für steigende Aktienkurse darstellen. Mit der Börse-Intern vom vergangenen Freitag habe ich inzwischen erstmals eine mögliche Wende in den Stimmungsdaten gesehen, die es aber zunächst noch zu beobachten gilt und auf sehr hohem Niveau stattfindet ("Eine sehr frühzeitige Überlegung"). Zudem beschreibe dort lediglich eine mögliche "breite Seitwärtsbewegung auf hohem Niveau" für den DAX. Die von mir erwartete Range soll in Nähe des Allzeithochs stattfinden.
Ich entnehme Ihrer Mail daher, dass einige Anleger derart von den positiven Wirtschaftsaussichten und den stark gestiegenen Kursen in den USA verwöhnt sind, dass selbst eine Seitwärtstendenz auf hohem Niveau bereits als bearish erachtet wird.
[…] Ich kann aber verstehen, dass einige meiner Analysen bei Ihnen insgesamt einen bearishen Eindruck hinterlassen. Denn ich weise natürlich kontinuierlich auch auf mögliche Risiken hin. Bei einem derartigen Anstieg, wie wir ihn in den US-Indizes schon seit längerem sehen, wäre es aber fahrlässig, die Leser nicht entsprechend zu informieren. Denn ich weiß aus meinen Börsenanfängen nur allzu gut, wie ein solcher, scheinbar nicht enden wollender Anstieg wirken kann. Viele Börsenneulinge, die dadurch erst seit einigen Wochen oder Monaten an die Märkte gelockt wurden, haben eine 10-Prozent-Korrektur noch nicht erlebt. Diese wird aber kommen - so sicher wie das Amen in der Kirche. Und das ist kein Crash, das ist eigentlich völlig normal.
Mit freundlichen Grüßen
Sven Weisenhaus“
Keine großen Veränderungen
Und genau das würde ich auch heute noch so schreiben. Schließlich berichtete ich erst diese Woche wieder von den positiven Wirtschaftsdaten, die eigentlich ein perfektes Umfeld für steigende Aktienkurse schaffen (siehe Börse-Intern vom Dienstag und Mittwoch). Und auch der DAX steckt weiter in breiten Seitwärtsbewegung auf hohem Niveau seit nun schon 1,5 Jahren.
Zwar kam es im Frühjahr zu einer Korrektur bei den US-Indizes, doch diese konnten im Anschluss wieder so weit zulegen, dass sich die charttechnische Übertreibung kaum abbauen konnte. Dementsprechend gilt es auch weiterhin auf die Risiken hinzuweisen, die sich nach einem halben Jahr nicht entscheidend verändert haben. Stattdessen sind sogar noch neue hinzugekommen (z. B. Schwellenländerwährungen).
Crash-Monat Oktober
Zudem könnte die aktuell noch laufende saisonal schwache Phase zu einem erneuten Rücksetzer führen. Besonders die US-Indizes sehe ich gefährdet. Schließlich wurden hier meine Erwartungen an die Saisonalität noch nicht ausreichend erfüllt. Vielleicht macht also der Crash-Monat Oktober seinem Namen wieder alle Ehre, falls diese Kurse im statistisch viel schwächere September weiterhin nicht nachgeben will.
Schubumkehr geht in die nächste Phase
Dabei darf auch nicht vergessen werden, dass nächste Zinsanhebung der Fed am 26. September auf uns zu kommt. Und bereits am 01. Oktober, wird die nächste Stufe der geldpolitischen „Schubumkehr“ eingeleitet. Nach dem Beschluss der Europäischen Zentralbank (EZB) vom Donnerstag wird dann das Volumen der Anleihenkäufe von 30 auf 15 Milliarden Euro pro Monat halbiert. Gleichzeitig fährt die US-Notenbank ihre Reinvestitionen in Anleihen weiter von aktuell 40 auf dann 50 Milliarden US-Dollar pro Monat (siehe Tabelle) zurück. Es werden also ab Oktober auslaufende US-Staatsanleihen im Umfang von 30 Mrd. und Hypotheken im Volumen von 20 Mrd. US-Dollar nicht mehr zur Reinvestitionen genutzt.
Dies entzieht dem Markt 50 Mrd. Dollar Liquidität pro Monat, während die EZB davon nur noch 15 Mrd. Euro „kompensiert“. Die schwindende Liquiditätszufuhr der Notenbanken, die inzwischen zu einem Liquiditätsentzug wird, lässt dadurch einen starken Kurstreiber für die Aktienmärkte wegfallen. Unter anderem deshalb kann man kaum damit rechnen, dass es zu einer Fortsetzung der aktuellen Aufwärtstrends an den US-Aktienmärkten mit dem bisherigen Tempo kommt. Stattdessen sollte man eher wieder Rücksetzer erwarten.
Nicht bearish, sondern trendbestätigend
Doch bevor man mir vorwirft zu bearish zu werden, möchte ich sagen, dass die Wahrscheinlichkeit für einen echten Crash im Oktober immer noch gering ist. Ich kann mir eher vorstellen, dass sich S&P 500 und Dow Jones wieder in Richtung des unteren Endes ihrer aktuellen Aufwärtstrendkanäle bewegen oder erneut die Tiefs vom Frühjahr erreichen. Damit würde dann auch die Seitwärtstendenz fortgesetzt werden und wir hätten es mit einer großen Konsolidierung auf hohem Niveau zu tun. Solche Korrekturen sind jedoch trendbestätigend und nicht bearish. Man könnte die Prognose einer trendbestätigenden Konsolidierung als „eingeschränkt bullish“ bezeichnen.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihrer Geldanlage
Ihr
Sven Weisenhaus
(Quelle: www.stockstreet.de)