DAX erholt sich deutlich schneller als die Wirtschaft
Nachdem am Donnerstag vergangener Woche hier zu lesen war, dass die Wirtschaft der Eurozone wohl erst im Jahr 2023 auf das Vorkrisen-Niveau zurückkehren wird, möchte ich heute einen Blick auf die deutsche Wirtschaft werfen und der Frage nachgehen, ob es auch hier längere Zeit dauern wird, bis das Vorkrisen-Niveau erreicht wird.
Der Einbruch der deutschen Wirtschaft ist katastrophal
Die jüngsten Konjunkturdaten vermitteln einen katastrophalen Eindruck und deuten auf einen tiefen Einbruch der Wirtschaftsleistung hin. Dabei gilt natürlich: Je tiefer der Einbruch, desto stärker und gegebenenfalls länger muss sich die Wirtschaft erholen, um das ehemalige Niveau zurückzuerobern.
Gestern wurde gemeldet, dass die deutschen Exporte im April um 24,0 % gegenüber dem Vormonat eingebrochen sind. Dies sei der „größte Rückgang seit Beginn der Zeitreihe im August 1990“, so das Statistische Bundesamt. Von Reuters befragte Ökonomen hatten nur mit einem Minus von 15,6 % gerechnet, nachdem es schon im März einen Rückgang von 11,7 % gegeben hatte. Im Vergleich zum Vorjahresmonat handelte es sich sogar um einen Rückgang um 31,1 %, was der stärkste Rückgang seit Beginn der Außenhandelsstatistik im Jahr 1950 ist. Wie die folgende Grafik von Statista zeigt, kann da selbst das Minus aus der Finanzkrise nicht mithalten.
Für die deutsche Exportwirtschaft ist das natürlich ein enormes Problem. Und laut Medienberichten ist dies auch der Grund dafür, dass der DAX gestern Schwäche zeigte. Aber das ist natürlich wieder einmal dem bekannten Schema „Kurse machen Nachrichten“ zuzuordnen. Schließlich hat es schon in der vergangenen Woche ähnlich schlechte Nachrichten gegeben. Trotzdem konnte der DAX in den vergangenen 11 Handelstagen um 19 % (!) zulegen.
So hatte zum Beispiel das Bundeswirtschaftsministerium schon am Freitag gemeldet, dass das verarbeitende Gewerbe in Deutschland im April ganze 25,8 % weniger Aufträge eingesammelt hat als im Vormonat. Auch dies ist der stärkste Rückgang seit Beginn der Statistik (1991). Ökonomen hatten hier „nur“ mit einem Minus von 19,7 % gerechnet, nachdem es im März bereits einen starken Rückgang um 15,0 % gegeben hatte.
(Quelle: Bundeministerium für Wirtschaft und Energie)
Auch diese Zahlen sind besonders dramatisch, weil der Auftragseingang ein Frühindikator für die Produktion ist, die dementsprechend ebenfalls stark eingebrochen sein dürfte. Im April verzeichnete die Industrieproduktion bereits ein Minus von 17,9 % im Vergleich zum Vormonat, nachdem es schon im Vormonat um 8,9 % nach unten gegangen war. Im Vergleich zum Vorjahr wurde sogar ein Minus von 25,3 % gemeldet. Auch dies ist der stärkste Rückgang seit Beginn der Zeitreihe (im Januar 1991).
Und angesichts des schwachen Auftragseingangs dürfte es hier im Mai noch einmal zu sehr schwachen Daten kommen.
So erklärt sich eine weitere Hiobsbotschaft: Laut einer Umfrage vom ifo-Institut halten sich die deutschen Unternehmen bei Investitionen immer stärker zurück. Jede zweite Firma hat demnach geplante Projekte bereits verschoben. 28 % hätten ihre Vorhaben sogar ganz gestrichen, so das ifo-Institut zu der Veröffentlichung der Daten, die ebenfalls am Freitag bekanntgegeben wurden. Übrigens: Auch bei Investitionsvorhaben handelt es sich um einen Frühindikator.
Und dann wäre da auch noch die getrübte Konsumlaune der Verbraucher. Wie der Einzelhandelsverband HDE zu seiner monatlichen Umfrage unter 2000 Menschen mitteilte, befinde sich die Kauflust in Deutschland trotz einer leichten Besserung im Juni auf einem sehr niedrigen Niveau.
Kann das Konjunkturprogramm die deutsche Wirtschaft beleben?
Es dürfte daher spannend werden, ob das Konjunkturprogramm der Bundesregierung (siehe „Neue Liquidität von Notenbank und Regierung“) die erhoffte Belebung unter Verbrauchern und Unternehmen herbeiführen kann. Um einschätzen zu können, ob dieses überhaupt das Potential dazu hat, setzten wir es einmal in Relation:
Im vergangenen Jahr betrug das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) 3.435,2 Milliarden Euro.
Infolge der Coronavirus-Krise geht die Bundesregierung derzeit davon aus, dass das BIP im laufenden Jahr um 6,3 % niedriger ausfallen wird. Das entspricht einem Rückgang um etwas mehr als 216 Milliarden Euro. Die Bundesbank ist etwas pessimistischer. Sie rechnet mit einem Minus von 7,1 % bzw. rund 244 Milliarden Euro.
Die Maßnahmen, die die große Koalition in der vergangenen Woche bekanntgegeben hat, haben ein Volumen von 130 Milliarden Euro. Das sind 53 % bis 60 % des befürchteten Einbruchs. Volkswirte gehen davon aus, dass die Wirkung solcher Konjunkturhilfen höher ist als die eingesetzten Mittel. Das Paket hat somit das Potential, die Wirtschaftskrise deutlich abzufedern oder den befürchteten BIP-Einbruch sogar vollständig auszugleichen.
In welcher Höhe sich die Maßnahmen auswirken, kann aber aktuell noch niemand genau sagen. Denn alleine schon bei der Senkung der Mehrwertsteuer oder der Zahlung des Kinderbonus kann niemand genau sagen, ob und in welchem Umfang diese den Konsum anschieben. Das muss einfach abgewartet werden. Wobei man wohl selbst im Nachgang den Effekt nicht genau beziffern kann. Denn man weiß ja nicht, wie sich die Wirtschaft ohne die Maßnahmen entwickelt hätte.
Der Tiefpunkt der Rezession dürfte hinter uns liegen
Jedenfalls kann man davon ausgehen, dass durch die Lockerung einiger Maßnahmen im Mai und die zusätzlich stimulierenden Wirkung des Konjunkturprogramms der April mit den oben genannten Daten zum Export und den Auftragseingängen den traurigen Tiefpunkt der Rezession markiert haben dürfte.
Allerdings wird das Konjunkturpaket nicht dazu führen, dass die deutsche Wirtschaft das laufende Jahr ohne Einbruch übersteht. Denn die Maßnahmen aus dem Konjunkturpaket treten nicht sofort in Kraft und die Produktion der Unternehmen sowie der Konsum der Verbraucher nimmt auch mit Konjunkturpaket erst langsam Fahrt auf. Es wird also höchstwahrscheinlich nur eine schrittweise Erholung geben. Und genau wie die Wirtschaft der Eurozone (siehe Börse-Intern von Donnerstag), wird wohl auch die deutsche Wirtschaft, nach allem was man bislang weiß, erst im Jahr 2023 wieder das Vorkrisenniveau erreichen (siehe auch folgende Grafik).
Die Bundesbank erwartet nach dem Rückgang des BIP um 7,1 % in 2020 (siehe oben) einen Anstieg um 3,2 % in 2021 und 3,8 % in 2022.
In diesen Prognosen ist das aktuelle Konjunkturprogramm der Bundesregierung allerdings noch nicht berücksichtigt. Es könnte also sein, dass wir „schon“ 2022 wieder bei 100 % landen.
DAX erholt sich deutlich schneller als die Wirtschaft
Aber sind diese Aussichten ausreichend, um die aktuelle Erholung der Aktienkurse zu begründen? Ich habe da so meine Zweifel. Und ein Kursanstieg des DAX um 55 % in nur 53 Handelstagen oder 19 % in nur 11 Handelstagen ist für mich eine klare Übertreibung und inzwischen nur noch reine Spekulation, getrieben durch die massive Liquidität der Notenbanken und Regierungen. Der aktuelle DAX-Stand spiegelt schon längst nicht mehr das Gewinnpotential der Unternehmen wieder. Und daher würde ich auf aktuellem Niveau die meisten Aktien nicht mehr ins Depot holen. Lieber lasse ich einige Prozentpunkte Gewinn liegen, statt Gefahr zu laufen, kurz nach dem Kauf in die nächste Korrekturwelle zu geraten (die womöglich schon begonnen hat).
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihrer Geldanlage
Ihr
Sven Weisenhaus
(Quelle: www.stockstreet.de)