Ukraine, Nahost, Taiwan - angesichts von Kriegen und Konflikten wollen Staaten weltweit Waffen und Munition kaufen.
04.12.2023 - 11:17:40Rüstungsfirmen nehmen trotz Auftragsflut weniger ein. Rüstungskonzerne können sich vor Aufträgen kaum retten - und haben trotzdem ein Problem.
Die Einnahmen der 100 größten Rüstungskonzerne der Welt sind trotz des Ukrainekriegs zurückgegangen. Sie lagen 2022 laut einem am Montag vom Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri veröffentlichten Bericht bei 597 Milliarden Dollar (rund 543,4 Milliarden Euro), was im Vergleich zum Vorjahr einem Minus von 3,5 Prozent entspricht. Grund sind Kapazitätsprobleme. Gleichzeitig haben die Firmen deutlich mehr Aufträge akquiriert. Sipri rechnet deshalb für die kommenden Jahre mit beträchtlich höheren Gewinnen.
Am stärksten zu den Einnahmerückgängen trugen Unternehmen in den USA und Russland bei. US-Rüstungsfirmen verzeichneten laut Sipri Einnahmen von zusammen 302 Milliarden Dollar. Das entsprach einem Rückgang von 7,9 Prozent. Russische Firmen hatten einen Rückgang von 12 Prozent zu verkraften.
Die vier deutschen Firmen auf der Sipri-Liste - Rheinmetall, ThyssenKrupp, Hensoldt und Diehl - meldeten dagegen ein Einnahmeplus von 9,1 Milliarden Dollar, was im Durchschnitt 1,1 Prozent Zuwachs bedeutet. Als Wichtigstes Unternehmen wurde Rheinmetall genannt, das mit Einnahmen von 4,55 Milliarden Dollar von Platz 31 auf Platz 28 vorrückte. Das Unternehmen gab am Montag einen Großauftrag aus der Ukraine für Artilleriegranaten im Umfang von 142 Millionen Euro bekannt. Geliefert werden soll im übernächsten Jahr. Zuwächse verzeichneten auch Hensoldt und Diehl, während ThyssenKrupp als einziges deutsches Unternehmen auf der Sipri-Liste ein Minus von 16 Prozent hinnehmen musste und um neun Plätze auf Rang 62 zurückfiel.
Viele Unternehmen brauchen lange, um Produktion auszuweiten
Sipri erklärte, wegen der russischen Invasion in die Ukraine und weltweiter Spannungen sei die Nachfrage nach Waffen und Rüstungsgütern 2022 in die Höhe geschnellt. Die Unternehmen hätten derzeit jedoch zu wenig Kapazitäten. «Viele Rüstungsfirmen sind beim Umstellen der Produktion auf hochintensive Kriegsführung auf Hindernisse gestoßen», sagte Sipri-Rüstungsexpertin Lucie Béraud-Sudreau.
In Nordamerika und Europa brauchten viele Unternehmen lange, um ihre Produktion auszuweiten. Damit hätten sie schon vor dem Ukrainekrieg Schwierigkeiten gehabt. Ein Teil ihrer unerledigten Aufträge stamme noch aus dieser Zeit. Dazu kämen Rohstoffknappheit, die steigende Inflation sowie die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Lieferketten und die Personalsituation. Die 2022 eingegangenen Aufträge würden sich wohl erst in zwei bis drei Jahren in den Bilanzen der Unternehmen niederschlagen, sagte Sipri-Forscher Nan Tian.
2022 hatte der Ukraine-Krieg praktisch keine Auswirkung auf die Einnahmen der größten US-Rüstungsfirmen. Sie arbeiteten immer noch Aufträge aus der Zeit vor dem Krieg ab. So ist General Dynamics zwar das einzige Privatunternehmen in den USA, das 155-Millimeter-Granaten herstellt, die in der Ukraine massenweise verschossen werden. Dennoch verzeichnete es 2022 einen Einnahmerückgang um 5,6 Prozent und erklärte, man sehe lediglich Signale für eine höhere Nachfrage. Der Raketenspezialist Lockheed Martin schob einen Auftragsberg von 150 Milliarden Dollar vor sich her, verzeichnete jedoch einen Einnahmerückgang von 8,9 Prozent und rechnete angesichts der langen Produktionszyklen nicht mit kurzfristigen Einnahmesteigerungen wegen des Ukrainekrieges.
Einnahmeplus deutscher Konzerne
Rheinmetall stellt ebenfalls 155-Millimeter-Granaten her und hat einen gewaltigen Auftragsbestand. Erst im Oktober hatte es von der Bundesregierung einen Auftrag für mehr als 100.000 solcher Geschosse erhalten. Jetzt kommt erneut eine fünfstellige Stückzahl hinzu. Das Unternehmen erklärte, es plane, im kommenden Jahr nach dem massiven Ausbau seiner Kapazitäten rund 700.000 Artilleriegeschosse in Deutschland, Spanien, Südafrika und Australien herzustellen.
Die Umweltschutzorganisation Greenpeace bezeichnete 2022 als Übergangsjahr auch für deutsche Rüstungsunternehmen, die bereits jetzt entgegen dem allgemeinen Trend ihre Einnahmen hätten steigern können. «Die wirklich großen Einnahmesprünge stehen für die Konzerne aber noch an, da der Auftragsboom aus dem 100-Milliarden-Sondervermögen (der Bundesregierung) erst mit dem Jahr 2023 beginnt», sagte Greenpeace-Abrüstungsexperte Alexander Lurz.
Israelische Firma Rafael steigert Einnahmen um 94 Prozent
Unternehmen im Nahen Osten und Ostasien waren auf die verstärkte Nachfrage anscheinend besser vorbereitet. Die israelische Rüstungsfirma Rafael, Baykar aus der Türkei und das südkoreanische Unternehmen Hyundai Rotem meldeten steigende Einnahmen vor allem durch Aufträge aus Europa. Bei Baykar stiegen sie sogar um 94 Prozent. Türkische Unternehmen profitierten auch von Waffenlieferungen in den Nahen Osten.
«Unternehmen in China, Indien, Japan und Taiwan haben alle von anhaltenden Investitionen der Regierung in die Modernisierung des Militärs profitiert», sagte Sipri-Experte Xiao Liang. Solche Firmen hätten in der Regel ein starkes Netz lokaler Zulieferer und könnten so Unterbrechungen der globalen Lieferkette abmildern und auf zusätzliche Aufträge schneller reagieren. Rafael hat auch ein Werk in Deutschland.
Nur wenige Daten aus Russland
Insgesamt lagen die Einnahmen der 100 weltgrößten Rüstungsunternehmen 2022 nach Sipri-Angaben trotz des Rückgangs immer noch deutlich über denen von 2015, als das Institut erstmals chinesische Unternehmen in seine Top-100-Liste aufnahm. Die größte Gruppe stellen nach wie vor US-Unternehmen, von denen 42 auf der Liste stehen, die 51 Prozent der Gesamteinnahmen erwirtschafteten. Auf Platz zwei folgten chinesische Firmen, die einen Einnahmezuwachs von 2,7 Prozent auf 108 Milliarden Dollar meldeten und damit 18 Prozent der Gesamteinnahmen für sich verbuchten.
Von russischen Unternehmen gab es laut Sipri nur wenige Daten. Daher wurden 2022 nur zwei von ihnen in die Liste aufgenommen. Sie verzeichneten einen Einnahmerückgang von 12 Prozent auf 20,8 Milliarden Dollar. Als wichtigste Gründe nannte Sipri die hohe Inflation und den Rückgang russischer Waffenexporte. Außerdem arbeiteten die Firmen Rüstungsbestände aus Sowjetzeiten auf, was nicht so gut bezahlt werde.