Sollte die Ukraine eine Einladung zum Nato-Beitritt erhalten? Und wenn ja, wann? Im Bündnis wird darüber heftig gestritten.
05.07.2024 - 02:56:34Nato-Chef hofft auf Beitritt der Ukraine binnen zehn Jahren. Vor einem Spitzentreffen äußert sich nun Generalsekretär Stoltenberg.
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg wünscht sich einen Beitritt der Ukraine zum Verteidigungsbündnis innerhalb des nächsten Jahrzehnts. «Ich hoffe sehr, dass die Ukraine ein Verbündeter sein wird», entgegnete der Norweger in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur auf eine Frage zu einer möglichen Bündniserweiterung in den nächsten zehn Jahren. Dafür habe er auch während seiner bisherigen Amtszeit bei der Nato gearbeitet.
Stoltenberg rief zudem kurz vor dem Nato-Gipfel in Washington zu noch mehr Militärhilfe für das von Russland angegriffene Land auf. «Je stärker unsere Unterstützung ist, desto schneller kann dieser Krieg enden. (...) Je mehr wir uns langfristig verpflichten, desto schneller kann der Krieg enden», sagte er. «Denn jetzt glaubt (Russlands Präsident Wladimir) Putin, dass er uns aussitzen kann. Wir müssen ihn überzeugen, dass er uns nicht aussitzen kann, und das kann dann die Bedingungen schaffen, um den Krieg zu beenden.»
Thema Osterweiterung ist im Bündnis ein heißes Eisen
Mit den Äußerungen zur Nato-Erweiterung stellt sich Stoltenberg kurz vor dem Gipfel in der nächsten Woche auf die Seite derjenigen Nato-Staaten, die auf zeitnahe Fortschritte bei der grundsätzlich eigentlich schon 2008 vereinbarten Aufnahme der Ukraine setzen. Innerhalb der Allianz ist das Thema umstritten.
Einen Zeitplan für die Aufnahme der Ukraine gibt es deswegen bislang genauso wenig wie eine offizielle Einladung. Zu letzterer wird die Nato nach einer Gipfelerklärung aus dem vergangenen Jahr erst in der Lage sein, «wenn die Verbündeten sich einig und Voraussetzungen erfüllt sind». Als konkrete Beispiele wurden damals «zusätzliche erforderliche Reformen im Bereich der Demokratie und des Sicherheitssektors» genannt.
Kanzler Scholz bremst
Um Fortschritte im Aufnahmeprozess machen zu können, wäre ein Konsens unter den 32 Bündnismitgliedern notwendig. Diesen gibt es aber derzeit wegen Ländern wie Deutschland und den USA nicht. So machte Bundeskanzler Olaf Scholz bei Fragen zum Thema mehrfach deutlich, dass aus seiner Sicht zunächst einmal der russische Angriffskrieg enden muss. Problematisch für die Ukraine ist allerdings, dass dies für Moskau ein Argument gegen die Aufnahme von Verhandlungen sein könnte. Eines der erklärten Kriegsziele von Kremlchef Putin ist die Verhinderung eines Nato-Beitritts des Nachbarstaates.
Für Aufsehen sorgten deswegen jüngst auch Äußerungen des US-Präsidenten Joe Biden. Auf die Frage nach einer Friedenslösung für das Land entgegnete Biden in einem Interview mit dem US-Magazin «Time»: «Frieden bedeutet, dafür zu sorgen, dass Russland die Ukraine nie, nie, nie, nie besetzt.» Damit sei aber nicht gemeint, dass die Ukraine Teil der Nato sei. «Es bedeutet, dass wir mit ihnen eine Beziehung haben, wie wir sie mit anderen Ländern haben, wo wir ihnen Waffen liefern, damit sie sich in Zukunft selbst verteidigen können.»
Um vom Nato-Gipfel dennoch eine positive Botschaft an die Menschen in der Ukraine zu schicken, wird derzeit im Bündnis diskutiert, den Beitrittsprozess des Landes als irreversibel - also als nicht aufzuhalten - zu beschreiben. Zu dem Treffen der Staats- und Regierungschefs der Nato-Staaten wird als Gast auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erwartet. Mit ihm soll eine Sitzung des sogenannten Nato-Ukraine-Rats organisiert werden.
Stoltenbergs letzter regulärer Gipfel
Für Stoltenberg wird der Nato-Gipfel in Washington der letzte reguläre vor seinem Abschied von der Militärallianz sein. Er übergibt sein Amt zum 1. Oktober nach zehn Jahren an den früheren niederländischen Regierungschef Mark Rutte. Zu seinem designierten Nachfolger sagte Stoltenberg der dpa, dieser werde ein hervorragender Nato-Generalsekretär sein. Rutte habe bereits in seiner früheren Position als Ministerpräsident bewiesen, dass er Konsens schaffen könne. Die notwendige Erfahrung und das Wissen für die neue Aufgabe bringe er mit.