Kriegsfolgen, Joe Biden

Scheitern ist für Indiens Premier Modi keine Option.

09.09.2023 - 04:52:20

Projekt Gipfelrettung: Indien will G20-Debakel verhindern. Dieser G20-Gipfel muss ein Erfolg werden - auch für ihn selbst mit Blick auf die Wahl im nächsten Jahr. Doch China und Russland machen Probleme.

US-Präsident Joe Biden und Indiens Premier Narendra Modi wollen vor dem Hintergrund einer chinesisch-russischen Allianz ein Scheitern des G20-Gipfels in Neu Delhi abwenden. Unterhändler bemühten sich vor dem heutigen Gipfelbeginn, einen Kompromiss für die Abschlusserklärung zu finden. Es geht um die Frage, ob Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine in dem Papier verurteilt wird, Peking und Moskau es aber dennoch mittragen. Sollte es keine gemeinsame Erklärung geben, dürfte der Gipfel als gescheitert gelten.

«Wir bringen Kompromissbereitschaft bei vielen strittigen Fragen mit, damit wir uns auf einen Text einigen können, mit dem alle leben können», hatte Bidens Nationaler Sicherheitsberater, Jake Sullivan, an Bord der «Air Force One» auf dem Weg nach Neu Delhi gesagt.

Der indische Premierminister empfing Biden schon am Vorabend in der Hauptstadt Neu Delhi. Die US-Regierung versucht, das bevölkerungsreichste Land der Erde stärker an sich zu binden. Ziel ist es, dem Machtstreben Chinas etwas entgegenzusetzen. Modi und Biden vereinbarten eine engere Zusammenarbeit und Partnerschaft.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wird am Morgen zum Gipfel erwartet. Auch aus deutscher Sicht geht es um viel. Die G20 sind das zentrale Forum für die internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit - und das einzige, in dem die Staats- und Regierungschefs aus allen wichtigen Industrie- und Schwellenländern regelmäßig zusammenkommen. Ein Scheitern des Gipfels könnte die Lagerbildung auf der Welt beschleunigen. Ost gegen West oder G7 gegen globaler Süden - das ist etwas, das aus Sicht Berlins unbedingt vermieden werden muss.

Der Krieg in der Ukraine

Für den Gipfelgastgeber sind vor allem die Diskussionen um den Krieg gegen die Ukraine höchst unangenehm. Indien hatte eigentlich versucht, das Thema außen vor zu lassen, um Streit zu vermeiden. Die westlichen G20-Mitglieder wollen das allerdings nicht akzeptieren und setzen sich dafür ein, dass der Krieg beim Gipfel verurteilt werden wird. Das wiederum will Moskau nicht akzeptieren und bekommt Rückendeckung von Peking. Es sei schwierig vorherzusagen, ob es möglich sein werde, sich auf eine gemeinsame Erklärung zu verständigen, sagte EU-Ratspräsident Charles Michel.

Sollten sich die Delegationen nicht auf einen Kompromiss einigen, könnte der Gipfel in Delhi der erste der G20-Gruppe ohne offizielle Abschlusserklärung der Staats- und Regierungschefs werden. Vor allem für Gastgeber Indien wäre das ein Debakel.

Was will China?

Eine Frage ist, warum China sich beim Thema Ukraine-Krieg auf die Seite Moskaus stellt. Als eine mögliche Erklärung gilt, dass die Regierung in Peking mit dem Gedanken spielt, sich irgendwann einmal gewaltsam die Inselrepublik Taiwan einzuverleiben. Sie könnte dann auf internationaler Ebene Rückendeckung gebrauchen wie jetzt Moskau.

Eine andere mögliche Erklärung ist Chinas Konkurrenzkampf mit Gipfelgastgeber Indien. Nach Angaben von Diplomaten will Peking um jeden Preis verhindern, dass Indien sich als die neue Führungsmacht des globalen Südens profiliert. In diesem Zusammenhang wird auch die Ankündigung von Chinas Staatschef Xi Jinping gesehen, sich von seinem Ministerpräsidenten Li Qiang vertreten zu lassen.

(K)ein Kampf gegen den Klimawandel?

Ein Leidtragender der zunehmenden geopolitischen Spannungen ist die internationale Klimapolitik. Delegationsmitglieder räumen ein, dass die langwierigen und zähen Diskussionen über den Ukraine-Krieg ganz klar zulasten anderer Themen gehen. So muss in den Verhandlungen darum gekämpft werden, bisherige Ziele aufrechtzuerhalten. Dabei geht es beispielsweise darum, ineffiziente Subventionen für fossile Brennstoffe abzubauen und schrittweise den Ausstieg aus einer klimaschädlichen Stromerzeugung mit Kohle zu realisieren.

Nach Angaben von Diplomaten stehen unter anderem China und Saudi-Arabien auf der Bremse. Als kaum umsetzbar gelten auch Bemühungen der EU, dass sich die G20 geschlossen hinter das Ziel stellen, dass die globalen Treibhausgasemissionen spätestens ab 2026 sinken.

Ernährungskrise wegen Ukraine-Krieg drängendes Thema

Wichtiges Thema ist auch die Welternährung. Nach Russlands Ausstieg aus dem Abkommen zur Verschiffung von ukrainischem Getreide über das Schwarze Meer richten sich die Augen nun auf Moskaus Außenminister Sergej Lawrow, der Kremlchef Wladimir Putin in Neu Delhi vertritt. Der Russe will klarmachen, dass die westlichen Strafmaßnahmen gelockert werden müssten, damit das Abkommen wieder in Kraft gesetzt wird.

Hier sieht Moskau vor allem UN-Generalsekretär António Guterres als Vermittler in der Pflicht, bei der EU darauf zu dringen, dass Russlands Forderungen erfüllt werden. Neben Guterres ist auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan in Neu Delhi angekommen, so dass es Bewegung in der Frage geben könnte. Erdogan vermittelt zwischen Kiew und Moskau.

Rückenwind für Reformen von Weltbank und IWF?

Angesichts der Klimakrise, der weltweiten Ernährungssicherheit und Chinas Bemühungen um mehr weltweiten Einfluss dringen die USA, aber auch Deutschland auf Reformen beim Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank. Biden will in Neu Delhi Zuschüsse für die Entwicklungsbank eintreiben, die armen Ländern Geld zu günstigen Konditionen leiht, um Armut zu bekämpfen. Die USA werben auch für einen Schuldenerlass zugunsten ärmerer Länder. Das zielt unter anderem auf China.

Zuwachs aus Afrika

Trotz der Probleme soll die G20 schon bald größer sein als bisher. EU-Ratspräsident Michel sagt, es gebe Konsens darüber, der Afrikanischen Union den Beitritt zu ermöglichen. Bisher ist die Europäische Union die einzige Regionalorganisation, die Mitglied der G20 ist.

@ dpa.de