Netanjahu, Hamas-Führer

«Nummer Drei, Zwei und Eins» seien als nächstes an der Reihe, so der israelische Regierungschef mit Blick auf die Führung der Hamas.

11.03.2024 - 16:07:51

Netanjahu über Hamas-Führer: «Wir kriegen sie alle!». Isreal bombardierte in der Nacht ein Flüchtlingslager.

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bekräftigt seine Absicht, das Land im Krieg gegen die islamistische Hamas im Gazastreifen zum «absoluten Sieg» führen zu wollen. «Auf dem Weg zum Sieg haben wir bereits die Nummer Vier der Hamas eliminiert», sagte er in einer Video-Botschaft. «Nummer Drei, Zwei und Eins sind unterwegs», fügte er hinzu. «Sie alle sind tote Männer, wir werden sie alle kriegen.»

Mit der Nummer Vier der Hamas-Hierarchie dürfte der Spitzenfunktionär Saleh al-Aruri gemeint sein, der Anfang Januar bei einem Luftangriff auf seine Räumlichkeiten in der libanesischen Hauptstadt Beirut ums Leben gekommen war. Die gezielte Tötung war damals Israel zugeschrieben worden, das sich aber bislang nicht dazu äußerte. Mit Netanjahus Video-Botschaft dürfte Israel erstmals die Urheberschaft für dieses Attentat eingeräumt haben.

Al-Aruri war in der Hamas für die Pflege der engen Beziehungen zur proiranischen Schiiten-Miliz Hisbollah im Libanon zuständig. Damit war er auch für die Waffenbeschaffung der Islamisten im Gazastreifen von zentraler Bedeutung. Netanjahus Äußerungen erfolgten wenige Stunden, nachdem israelische Medien über die mögliche Tötung des dritthöchsten Hamas-Funktionärs im Gazastreifen, Marwan Issa, berichtet hatten.

Demnach hat die israelische Luftwaffe in der Nacht ein Gebäude im Flüchtlingslager Nuseirat bombardiert, in dem sich zu diesem Zeitpunkt Issa aufgehalten haben soll. Die israelischen Streitkräfte würden noch prüfen, ob der Top-Hamas-Mann tatsächlich unter den Opfern des Luftangriffs war. Mit den Nummern Eins und Zwei bezeichnete Netanjahu den Führer der Hamas im Gazastreifen, Jihia al-Sinwar, und den Chef der Kassam-Brigaden, Mohammed Deif.

Hilfe auf dem Seeweg für Gaza noch nicht auf dem Weg

Die Lieferung humanitärer Hilfe für den Gazastreifen aus Zypern verzögert sich weiter. Am Montagnachmittag war unklar wann das Schiff «Open Arms» aus dem Hafen in Larnaka ausläuft. Wie der zyprische Außenminister Konstantinos Kombos im Rundfunk weiter sagte, hängt die Verzögerung unter anderem mit Fragen der Entladung und der Verteilung der Hilfsgüter zusammen. «In einigen dieser Themen gab es Probleme», sagte er. Eine zweite Ladung mit humanitärer Hilfe stehe im Hafen von Larnaka bereit und könnte in den nächsten Tagen nach Gaza geliefert werden.

Der Professor für politische Wissenschaft und Chef des Zentrums für Zypern Themen (KYKEM), Christos Iakovou, sagte im zyprischen Fernsehen, dass das immer wieder aufgeschobene Auslaufen des Schiffes daran liegt, dass Israel sichern will, dass die Hilfsgüter nicht von der Terrororganisation Hamas oder anderen extremistischen Organisationen angenommen und verteilt werden.

Nach Angaben der zyprischen Regierung in Nikosia hat das Schiff «Open Arms», das eine Cargo-Plattform schleppen soll, rund 200 Tonnen Trinkwasser, Medikamente und Lebensmittel an Bord. Den Start des Hilfskorridors auf dem Seeweg vergangenes Wochenende hatten EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der zyprische Präsidenten Nikos Christodoulidis am Freitag angekündigt.

Gespannte Lage zu Beginn des Ramadans

Im Westjordanland und rund um die heiligen Stätten in der Altstadt von Jerusalem wird unterdessen mit erhöhten Spannungen im Ramadan gerechnet. Nach Einschätzung des israelischen Auslandsgeheimdiensts Mossad ist die Hamas bestrebt, die Region während des Fastenmonats «in Brand zu setzen». Im Westjordanland habe Israel nach zahlreichen Warnungen über eine Zunahme der Gewalt seine dort stationierten Sicherheitskräfte verstärkt, berichtete der Sender i24news am Sonntagabend. Am Vorabend des Ramadans seien nicht weniger als 23 Bataillone des israelischen Militärs dort stationiert gewesen.

Tausende von Polizisten seien zudem in den engen Straßen der Altstadt Jerusalems im Einsatz, berichtete die «Times of Israel». Die israelische Regierung hat den Muslimen während des Ramadans das Beten auf dem - auch Haram al-Scharif genannten - Tempelberg gewährt. Allerdings soll die Sicherheitslage wöchentlich neu bewertet werden. Der Ort ist sowohl Juden als auch Muslimen heilig. Laut der «Times of Israel» kursierte am Sonntagabend in sozialen Medien ein Video, auf dem am Eingang zu dem Gelände ein Gerangel zwischen israelischen Polizisten mit Schlagstöcken und Gläubigen zu sehen sei.

Bericht: Hamas setzt zum Überleben auf Ramadan

Der Beginn einer Bodenoffensive in Rafah während des Ramadans wäre riskant, sagte Udi Dekel, pensionierter israelischer Brigadegeneral und Forscher am Institut für nationale Sicherheitsstudien in Tel Aviv, dem «Wall Street Journal». Israel habe größere Einsätze in Rafah bis jetzt aufgeschoben, um Zeit für die Verhandlungen über eine vorübergehende Waffenruhe und die Freilassung von Geiseln zu gewinnen. Sollten die Gespräche zu keinem Ergebnis führen, gebe es für Israel keinen Grund mehr, sich zurückzuhalten, sagte Dekel.

Seit Wochen ringen Israel und die Hamas in indirekt geführten Verhandlungen um eine befristete Waffenruhe. Die Hamas-Führung setze darauf, dass der Ramadan die Dynamik des Krieges zu ihren Gunsten wendet, schrieb das «Wall Street Journal» am Sonntag. Sie hoffe, dass diplomatischer Druck zur Einstellung der Offensive führt und so das Überleben der Hamas sichert.

Hamas-Chef Hanija sagte, wenn die Vermittler mitteilen würden, dass Israel sich verpflichtet habe, den Krieg zu beenden und sich aus dem Gazastreifen zurückzuziehen, sei man zu Flexibilität in den Gesprächen bereit. Der Vorschlag der Vermittler sah bisher nur eine sechswöchige Waffenruhe und eine erste Phase des Austauschs von Geiseln gegen palästinensische Häftlinge vor. Die Hamas wolle «die einzige Karte, die sie hat, nämlich die Geiseln, nicht als Gegenleistung für eine vorübergehende Waffenruhe hergeben», sagte Ghassan Khatib von der Birzeit University dem «Wall Street Journal».

Netanjahu widerspricht Opferzahlen der Hamas

Nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde in Gaza stieg die Zahl der im Krieg getöteten Palästinenser auf über 31.000. Die Angaben machen keinen Unterschied zwischen Zivilisten und bewaffneten Kämpfern. Bei der großen Mehrheit der Opfer handle es sich aber um Frauen, Minderjährige und ältere Männer, betonte die Hamas-Behörde. Netanjahu widersprach dieser Darstellung in einem Interview. Die Anzahl der getöteten Zivilisten in Gaza sei weitaus geringer, sagte er. Die Armee seines Landes habe «mindestens 13.000 Terroristen» getötet.

UN-Beauftragte weist Israels Vorwurf zurück

Die UN-Sonderbeauftragte für sexualisierte Gewalt in Konflikten hat einen Vorwurf Israels zurückgewiesen, die Vereinten Nationen hätten einen Bericht zu sexualisierter Gewalt von Hamas-Terroristen am 7. Oktober unterdrücken wollen. «Der Generalsekretär hat keinen Versuch unternommen, meinen Bericht oder seine Erkenntnisse zu unterdrücken», sagte Pramila Patten vor dem Weltsicherheitsrat in New York. «Im Gegenteil, ich erhielt seine volle Unterstützung, politisch, logistisch und finanziell, und er gab auch klare Anweisungen für die Veröffentlichung meines Berichts und seine sofortige Übermittlung an den Sicherheitsrat.»

Patten reagierte damit auf dem Vorwurf von Israels Außenminister Israel Katz, der ebenfalls bei der Sitzung des mächtigsten UN-Gremiums anwesend war. Katz hatte den Vereinten Nationen vor einer Woche - am Tag der bereits angekündigten Veröffentlichung des Berichts - vorgeworfen, die Verbrechen der Hamas «unter den Teppich kehren» zu wollen. 

In dem Bericht stufen die UN die israelischen Vorwürfe über sexualisierte Gewalt während des Massakers von Hamas-Terroristen am 7. Oktober als glaubwürdig ein. Es gebe «berechtigten Grund zur Annahme», dass es zu Vergewaltigungen und Gruppenvergewaltigungen an mindestens drei Orten gekommen sei. Zudem gebe es überzeugende Informationen, dass sexualisierte Gewalt auch gegen verschleppte Geiseln verübt worden sei und dies in der Gefangenschaft im Gazastreifen weiter andauern könnte. 

@ dpa.de