Nordfrankreichs Küste war vor 80 Jahren Schauplatz eines Kampfes gegen Tyrannei in Europa.
06.06.2024 - 18:40:17Die letzten D-Day-Helden: Gedenken in Zeiten des Krieges. Das Gedenken daran sticht nun heraus: Von den D-Day-Kämpfern leben nicht mehr viele, und neuer Krieg tobt.
Bei mehreren Gedenkfeiern zur Landung der Alliierten in der Normandie vor 80 Jahren haben US-Präsident Joe Biden und andere Staatschefs die letzten überlebenden Soldaten des D-Days gewürdigt. Zugleich riefen sie zur Verteidigung der Demokratie auf. «Wir kennen die dunklen Mächte, gegen die diese Helden vor 80 Jahren gekämpft haben. Sie vergehen nie», sagte Biden bei einer Zeremonie auf dem US-Militärfriedhof in Colleville-sur-Mer in Nordfrankreich.
Auch heute seien Demokratie und Freiheit in Gefahr, mahnte der US-Präsident. Er verwies dabei auf den Krieg, der heute in Europa tobt: Russlands Angriff auf die Ukraine. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj war beim D-Day-Jubiläum in der Normandie dabei. Auch zahlreiche hochbetagte Veteranen waren gekommen.
Am 6. Juni 1944, waren die Soldaten der Alliierten an den Stränden der Normandie gelandet. Der D-Day markierte den Auftakt der Befreiung Frankreichs und Westeuropas von der Nazi-Herrschaft («Operation Overlord»). Er steht aber auch für ein unmenschliches Blutvergießen, Zehntausende Tote und Verwundete. Zur Streitmacht der Alliierten gehörten damals vor allem US-Amerikaner, Briten, Kanadier, Polen und Franzosen. Etwa 3100 Landungsboote mit mehr als 150.000 Soldaten machten sich auf den Weg nach Nordfrankreich.
Am Abend des D-Days registrierten die Alliierten Verluste von rund 12.000 Mann, unter ihnen etwa 4400 Tote. Die Zahl der deutschen Verwundeten, Vermissten und Gefallenen wird auf 4000 bis 9000 geschätzt. Im weiteren Verlauf der «Operation Overlord» sollen bis zur Eroberung von Paris wenige Monate später 200.000 Deutsche und 70 000 Verbündete ums Leben gekommen sein. In der verwüsteten Normandie starben bis zu 20.000 Zivilisten.
Die Helden von damals
Von den Soldaten, die die Operation damals überstanden, sind 80 Jahre später nicht mehr viele am Leben. Bei der Zeremonie auf dem US-Militärfriedhof mit Biden und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nahmen rund 170 Veteranen teil - alle weit jenseits der 90, einige sogar über 100 Jahre alt. Beim nächsten größeren D-Day-Gedenken in fünf Jahren dürften viele von ihnen nicht mehr am Leben sein. Umso anrührender war ihr Auftritt.
Die etwa 170 Veteranen wurden bei der Veranstaltung in Colleville-sur-Mer einzeln auf die Bühne gebracht, begleitet von Angehörigen und medizinischen Helfern. Die meisten Veteranen saßen im Rollstuhl, einzelne liefen gestützt auf die Bühne. Manche salutierten, winkten, lüfteten ihre Kappe zum Gruß, und viele wirkten selbst emotional angesichts der großen Feierlichkeiten. Zehntausende Besucher kamen auf das Friedhofsgelände und zollten diesen Männern - und einzelnen Frauen - Tribut, würdigten jeden einzelnen von ihnen mit Applaus und langanhaltendem Beifall.
Vor 80 Jahren waren sie alle junge Männer, die ihr Leben aufs Spiel setzten für eine bis dahin nie dagewesene Militäroperation von ungewissem Ausgang. Sie sahen damals, wie Kameraden noch vor der Küste im Meer ertranken oder im Kugelhagel an Land zerfetzt wurden. Das Meer aus weißen Kreuzen auf dem US-Militärfriedhof in Colleville-sur-Mer mit 9388 amerikanische Soldatengräbern erinnert daran, welche verheerenden Szenen sich damals hier abspielten - und wie viele den Einsatz nicht überlebten.
Biden: Müssen Demokratie weiter verteidigen
«Die Männer, die hier kämpften, wurden zu Helden», sagte Biden. Die Soldaten hätten damals gewusst, dass die Gefahr groß sei zu sterben. Und sie hätten trotzdem gekämpft. «Freiheit ist es wert, Demokratie ist es wert», sagte er. «Damals, jetzt und alle Zeit.»
Biden beklagte, die Demokratie sei weltweit stärker gefährdet, als sie nach der Landung der Alliierten in der Normandie je gewesen sei. Der US-Präsident beklagte, Aggressivität und Gier, der Wunsch, zu dominieren und zu kontrollieren und Grenzen gewaltvoll zu verschieben, gebe es auch heute. Das zeige Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine. Die Menschen müssten sich auch heute fragen, ob sie gegen Tyrannei und das Böse aufstünden und gemeinsam Freiheit und Demokratie verteidigten. «Meine Antwort ist Ja und sie kann nur Ja sein.» Jede Generation müsse die Demokratie verteidigen und für sie kämpfen. Das gehe nicht allein - sondern gemeinsam mit Verbündeten, wie damals.
Gedenkfeier mit Macron und Biden
Frankreichs Staatschef Macron betonte ebenfalls: «Wir wissen, dass die Freiheit jeden Morgen neu erkämpft werden muss.» Er dankte den Kämpfern von damals. Sie hätten alles hinter sich gelassen und große Gefahr auf sich genommen - «für unsere Unabhängigkeit, für unsere Freiheit», sagte er. «Das werden wir nicht vergessen.» Frankreich sei nun ihr Zuhause. Macron zeichnete mehrere hochbetagte US-Veteranen für ihren damaligen Einsatz als Ritter der Ehrenlegion aus. Angesichts der Rückkehr des Krieges in Europa solle man sich den D-Day-Kämpfern würdig erweisen.
Auch der britische König Charles III. würdigte den Einsatz der alliierten Soldaten bei einer Gedenkveranstaltung im französischen Ver-sur-Mer. «Sehr viele von ihnen kamen nie nach Hause», sagte der 75-Jährige. «Sie verloren ihr Leben an den Landungsstränden des D-Days und in den vielen folgenden Schlachten.» Die Lehre von damals sei: «Freie Nationen müssen zusammenstehen, um sich der Tyrannei zu widersetzen.»
Feier ohne Russland
Bei einer weiteren großen internationale Gedenkveranstaltung am nahegelegenen Strand von Saint-Laurent-sur-Mer - am sogenannten Omaha Beach - erinnerten Staats- und Regierungschefs an den D-Day und würdigten die Kämpfer von damals. Mit dabei waren neben Macron und Biden unter anderem Selenskyj, Kanadas Regierungschef Justin Trudeau, Bundeskanzler Olaf Scholz, wie auch Vertreter des britischen und niederländischen Königshauses. Aus Russland war kein Vertreter eingeladen, wegen des russischen Überfalls auf die Ukraine.
Bei der Feier in Omaha Beach standen wie auch bei den anderen Gedenken die D-Day-Überlebenden im Vordergrund, und der neue Krieg mitten in Europa schwebte über allem. Etliche Staats- und Regierungschef begrüßten Veteranen, schüttelten ihre Hände. Bei einem Austausch zwischen einem hochbetagten Veteranen und Selenskyj kam es zu einer besonderen Szene: Der alte Mann zog die Hand des ukrainischen Präsidenten an sich und küsste sie. «Sie sind der Retter der Menschen», sagte der Veteran im Rollstuhl. Selenskyj zog seine Hand weg, fast beschämt, beugte sich schnell hinab zu dem Veteranen, umarmte ihn und sagte: «Nein, Sie haben Europa gerettet.»