Nach dem Terroranschlag in Moskau sitzen vier Verdächtige in Haft.
25.03.2024 - 15:53:16Tatverdächtige in Moskau in Haft. Vor Gericht erscheinen sie schwer verletzt. Beobachter vermuten, dass der Machtapparat durch Folter Stärke demonstrieren will.
Mehrere Tage nach dem Terroranschlag bei Moskau mit mehr als 130 Toten richtet sich der Blick in Russland vor allem auf vier mittlerweile inhaftierte Tatverdächtige. Kremlsprecher Dmitri Peskow wollte sich zunächst nicht zu den schweren Verletzungen der Männer äußern, die auf Folter durch russische Sicherheitskräfte hindeuten. Stattdessen kündigte er für den Abend ein Treffen von Präsident Wladimir Putin mit Vertretern verschiedener staatlicher Strukturen an, bei dem weitere Maßnahmen als Reaktion auf den Anschlag diskutiert werden sollen.
Vor Ort hielten in der zerstörten Crocus City Hall die Aufräumarbeiten an; es ist nicht ausgeschlossen, dass in den Trümmern der ausgebrannten Konzerthalle noch weitere Leichen gefunden werden.
Tatverdächtige schwer verletzt im Gerichtssaal
Als die mutmaßlichen Täter von Polizisten und Geheimdienstlern ins Moskauer Basmanny-Gericht gebracht wurden, fielen sofort ihre schweren Verletzungen auf. Mehrere der Männer, die am vergangenen Freitag in der Konzerthalle Crocus City Hall um sich geschossen haben sollen, wiesen stark geschwollene Gesichter, Platzwunden und Blutergüsse auf. Einer hatte einen großen Verband am Ohr. Ein anderer konnte nicht mehr selbst laufen und verlor Berichten zufolge zwischenzeitlich das Bewusstsein. Er wurde auf einer Krankenliege in den Gerichtssaal gefahren, wo die Haftbefehle erlassen wurden. Zuvor waren in sozialen Netzwerken Videos aufgetaucht, die zeigen sollen, dass die mutmaßlichen Attentäter gefoltert wurden und einem von ihnen gar ein Ohr abgeschnitten wurde.
Zu einem Journalisten, der auf die im Gerichtssaal sichtbaren Verletzungen und auf die Foltervideos hinwies, sagte Kremlsprecher Peskow lediglich: «Ich lasse diese Frage unbeantwortet.»
Leonid Wolkow, ein Vertrauter des kürzlich im Straflager gestorbenen Kremlgegners Alexej Nawalny, zeigte sich hingegen überzeugt davon, dass die Aufnahmen die Öffentlichkeit auf Anweisung von ganz oben erreicht hätten. Dass der Machtapparat seine eigene Grausamkeit so demonstrativ zur Schau stelle, sei neu, schrieb Wolkow im Nachrichtendienst Telegram. So solle wohl abgelenkt werden vom «Versagen der russischen Geheimdienste» vor dem Anschlag, zeigte er sich überzeugt.
Auch andere Beobachter zeigten sich überzeugt davon, dass die Männer gefoltert worden seien. «Die Antwort auf Barbarei darf nicht Barbarei sein», teilte die russische Vereinigung «Komanda protiw pytok» (deutsch: Team gegen Folter) mit. Gewalt und Schikane wirkten sich zudem äußerst negativ auf die Ermittlungen aus, betonten die Aktivisten: «Wir haben immer gesagt und werden immer sagen, dass der Wert von Beweisen, die Sicherheitskräfte durch Folter erreichen, kritisch niedrig ist. Anstelle der Wahrheit sagt ein Mensch meist das, was diese Folter stoppen oder zumindest unterbrechen kann.» Erzwungene Geständnisse könnte die Ermittlungen in eine ganz falsche Richtung führen.
Putin will weitere Maßnahmen beraten
Putin will unterdessen noch am heutigen Montag mit Vertretern aus Sicherheitsstrukturen und anderen staatlichen Bereichen über weitere Maßnahmen beraten. Gegen Abend sei ein entsprechendes Treffen angesetzt, sagte Peskow der Agentur Interfax zufolge. Es solle dabei auch um die Frage gehen, mit welchen Leistungen Opfer und ihre Angehörigen unterstützt werden können.
Zu den Hintergründen des Angriffs auf die Crocus City Hall äußerte sich Peskow indes nicht. Bereits mehrfach für sich reklamiert hat den Anschlag die Terrormiliz Islamischer Staat. Westliche Sicherheitsbehörden und Experten halten das Bekenntnis für glaubhaft und vermuten den IS-Ableger Islamischer Staat Provinz Khorasan (ISPK) hinter dem Anschlag. Die russische Propaganda versucht indes, einen angeblichen Zusammenhang zur Ukraine herzustellen, gegen die Putin seit mehr als zwei Jahren einen brutalen Angriffskrieg führt. Beweise für diese Behauptung gibt es aber keine. Die ukrainische Führung hat die Vorwürfe zudem strikt zurückgewiesen.
Noch knapp 100 Verletzte in Krankenhäusern
In Krankenhäusern werden noch immer 97 Verletzte behandelt, wie die Leiterin der Gesundheitsverwaltung im Gebiet Moskau, Ljudmila Bolatajewa, mitteilte. Die Patientinnen und Patienten seien über Kliniken der Hauptstadt und des Moskauer Gebiets verteilt, ihre Verletzungen seien unterschiedlich schwer. Bei dem Anschlag waren nach letzter Zählung der Behörden 137 Menschen getötet und mehr als 180 verletzt worden. An einem improvisierten Gedenkort am Zaun des Geländes Crocus City legten weiterhin trauernde Menschen Blumen nieder.
Höchste Terrorwarnstufe in Frankreich nach Anschlag in Moskau
Nach dem Anschlag in Moskau rief Frankreich die höchste Terrorwarnstufe aus. Präsident Emmanuel Macron erklärte, derselbe Ableger der Terrormiliz Islamischer Staat, der wohl in Moskau zuschlug, habe zuletzt auch in Frankreich Anschlagsversuche unternommen. Ohne die Untergruppe zu benennen, sagte Macron am Montag, der Islamische Staat habe den Anschlag in Moskau für sich reklamiert «und die Informationen, über die wir verfügen, über die unsere Geheimdienste verfügen sowie unsere wichtigsten Partner, deuten in der Tat darauf hin, dass eine Einheit des Islamischen Staats diesen Anschlag angezettelt und ausgeführt hat». Ende Juli beginnen in Paris die Olympischen Spiele. Frankreich, das zahlreiche Terrorattacken erlitten hat, dürfte mit Blick auf das Großevent besondere Vorsicht walten lassen.
Unveränderte deutsche Sicherheitseinschätzung
Für Deutschland ergibt sich hingegen nach Bewertung der Sicherheitsbehörden keine veränderte Einschätzung zur islamistischen Bedrohung. Das sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums in Berlin. «Diese war vorher schon hoch, was die Maßnahmen der Sicherheitsbehörden gegen Terrorverdächtige des ISPK gezeigt haben.»
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) geht davon aus, dass die als Ableger des Islamischen Staats (IS) bekannte Gruppe Islamischer Staat Provinz Khorasan (ISPK) den Anschlag zu verantworten hat, wie sie der «Süddeutschen Zeitung» sagte. Die ISPK-Terrorgruppe hat ihren Ursprung in Afghanistan. Khorasan steht für eine historische Region in Zentralasien, die Teile von Afghanistan, Usbekistan, Turkmenistan und Tadschikistan sowie des Irans umfasste.