Nahost, Gazastreifen

Nach dem Terrorangriff der Hamas reagiert Israel mit schweren Luftangriffen auf den Gazastreifen.

12.10.2023 - 10:44:17

Minister: Kein Wasser für Gaza ohne Rückkehr der Geiseln. Das UN-Hilfswerk warnt vor einer Wasserkrise. Die Situation für Zivilisten wird immer schrecklicher.

  • Palästinenser füllen Behälter mit Trinkwasser aus einem Wasserverteilungsfahrzeug auf. - Foto: Mohammed Talatene/dpa

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  • Israel reagiert seit den Massakern der Hamas mit schweren Luftangriffen auf den Gazastreifen. - Foto: Xinhua/dps

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Palästinenser füllen Behälter mit Trinkwasser aus einem Wasserverteilungsfahrzeug auf. - Foto: Mohammed Talatene/dpaIsrael reagiert seit den Massakern der Hamas mit schweren Luftangriffen auf den Gazastreifen. - Foto: Xinhua/dps

Nach dem Hamas-Großangriff hat Israels Energieminister die Grundversorgung der Zivilbevölkerung im Gazastreifen an die Freilassung der israelischen Geiseln in Hand der islamistischen Hamas geknüpft.

«Kein Stromschalter wird umgelegt, kein Wasserhahn geöffnet und kein Treibstofflaster fährt rein, bis die israelischen Geiseln nach Hause zurückgekehrt sind», schrieb Israel Katz auf der Plattform X (vormals Twitter). Humanitäre Gesten werde es nur im Gegenzug für humanitäre Gesten geben. «Und dass uns keiner Moral predigt», schrieb Katz. Israel hat sämtliche Zugänge blockiert und verhindert Nahrungsmittel- und Wasserlieferungen.

Terroristen hatten am vergangenen Samstag im Auftrag der im Gazastreifen herrschenden Islamistenorganisation Hamas Massaker mit mehr als 1200 Toten in israelischen Grenzorten und auf einem Musikfestival angerichtet. Rund 150 Menschen wurden in den Küstenstreifen verschleppt und werden dort als Geiseln festgehalten.

Das UN-Hilfswerk für Palästinensische Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) warnt vor einer Wasserkrise im Gazastreifen. «Die UNRWA-Notunterkünfte sind überfüllt und die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln, Non-Food-Artikeln und Trinkwasser ist begrenzt. In UNRWA-Notunterkünften und im gesamten Gazastreifen droht aufgrund beschädigter Infrastruktur eine Wasserkrise», hieß es im aktuellen Lagebericht.

Schwere israelische Angriffe im Gazastreifen verbreiten unter der Zivilbevölkerung derweil Angst und Schrecken. Die Schläge kämen aus der Luft, vom Meer und vom Land, berichtete das UN-Nothilfebüro (OCHA). Auch die Raketenangriffe aus dem Gazastreifen auf Israel gehen dem UN-Nothilfebüro (OCHA) zufolge unvermindert weiter.

Rotes Kreuz: Abriegelung nicht akzeptabel

Angriffe auf Zivilisten sind nach Angaben des Roten Kreuzes unter keinen Umständen zu rechtfertigen. «Es gibt keine Hierarchie des Schmerzes», sagte der Regionaldirektor Nahost des Internationale Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), Fabrizio Carboni, in Genf. Es sei nicht akzeptabel, das Zufügen von Leid mit selbst erlittenem Schmerz zu rechtfertigen.

Carboni sprach über die Lage in Israel und im Gazastreifen, ohne konkret auf Äußerungen von Palästinensern oder Israelis einzugehen. Das IKRK ist stets auf Neutralität bedacht.

«Man darf Zivilisten nicht ins Visier nehmen, man darf ein Gebiet nicht belagern und man darf keine Geiseln nehmen», betonte Carboni. «Es ist nicht akzeptabel, ein Gebiet wie den Gazastreifen mit mehr als zwei Millionen Menschen abzuriegeln.»

Fast 340.000 Menschen aus Wohnungen geflüchtet

Bis zum späten Mittwochabend seien bereits fast 340.000 Menschen aus ihren Wohnungen geflüchtet, berichtete OCHA. Im Gazastreifen leben rund 2,2 Millionen Menschen. Am vergangenen Samstag galten im Gazastreifen erst gut 45.000 Menschen als Vertriebene.

Bis Mittwochmittag waren mehr als 4600 Wohnungen zerstört oder so beschädigt, dass sie unbewohnbar sind, wie OCHA unter Berufung auf Behörden in Gaza berichtete. 32.000 weitere waren leicht beschädigt.

Die Flüchtenden haben kaum sichere Zufluchtsorte: Israel hat den nur 14 Kilometer breiten Küstenstreifen vollständig abgeriegelt, der einzige Grenzübergang nach Ägypten ist auch gesperrt. Sie können sich nur auf dem Territorium bewegen. Sie fliehen OCHA zufolge in der Hoffnung, Angriffen zu entgehen, in andere Viertel zu Verwandten, Freunden oder in Schulen des UN-Hilfswerks für Palästinensische Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA). Nach Quadratkilometern ist der Gaza-Streifen halb so groß wie Hamburg.

Was berichten Augenzeugen?

Augenzeugen im Gazastreifen berichten von verzweifelten Szenen vor Ort. Autofahren sei mittlerweile nicht mehr vorstellbar, sagt Tahani Dschaber. Sie sei deshalb zu Fuß unterwegs. Ihre Kinder habe sie bei ihrer Mutter nördlich von Gaza zurückgelassen. Sie müsse Medikamente für ihren Säugling besorgen, der schon den zweiten Tag in Folge an hohem Fieber leide, sagt sie. «Ich habe das Gefühl, dass ich jeden Moment dem Tod näherkomme, aber das Leben der Kinder ist wichtiger.»

Mohammed Baroud aus dem Stadtteil Al-Nasr berichtet nach den israelischen Luftangriffen von ganzen Straßenzügen in Schutt und Asche. Jeder, der aktuell rausgehe, könne «jeden Moment bombardiert werden und sterben», sagt Baroud. «Wir können uns nicht bewegen oder wichtige Dinge für unsere Kinder kaufen.» Nach jedem Angriff gebe es einen neuen Angriff. «Was hier passiert, ist verrückt.» In Stadtteilen wie Al-Rimal, Al-Mukhabarat oder Al-Tuffah wurden Augenzeugen zufolge verheerende Zerstörung angerichtet.

UNHCR wäre für Flüchtlinge aus Gazastreifen bereit

Das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) steht bereit, sollten Menschen aus dem Gazastreifen Richtung Ägypten fliehen und Hilfe brauchen. Das teilte das UNHCR auf Anfrage mit. «Wir beobachten die sich ständig verändernde Situation sehr genau», sagte ein Sprecher der Deutschen Presse-Agentur. «Wir stehen immer bereit, bei Bedarf im Rahmen einer größeren Hilfsaktion durch die Vereinten Nationen und Regierungsbehörden zu reagieren.»

Bislang wurden bei den Luftangriffen Israels im Gazastreifen mindestens 1354 Palästinenser getötet. Mehr als 6000 weitere Menschen seien verletzt worden, teilte das Gesundheitsministerium in Gaza mit. Das größte Krankenhaus im Gazastreifen kann nach palästinensischen Angaben keine Patienten mehr aufnehmen. Das Schifa-Krankenhaus in Gaza sei voll, teilte das Gesundheitsministerium mit. Die Klinik verfügt über rund 500 Betten. Bereits am Vortag hieß es, die Kliniken in dem Küstenstreifen seien voll belegt.

Israels Armee: Kein Flächenbombardement im Gazastreifen

Ein israelischer Militärsprecher betont unterdessen, es gebe «kein Flächenbombardement» in dem Palästinensergebiet. «Wir greifen kein Ziel an, das nicht auf Geheimdienstinformationen basiert», sagte Sprecher Richard Hecht.

Die Angriffe seien zwar «größer als alles, was wir bisher gesehen haben», sagte er. Die Armee bekomme aber jeweils konkrete Informationen darüber, wo militante Palästinenser sich versteckten. «Wenn eine beteiligte Person sich versteckt, werden wir (die Zivilbevölkerung) vor dem Angriff warnen», sagte er. «Menschen, die gehen wollen, gehen dann.»

@ dpa.de