Nahost, Gazastreifen

Monatelang war Israel vor allem mit bitteren internen Streitereien befasst.

07.10.2023 - 15:40:25

Großangriff auf Israel - Netanjahu: «Wir sind im Krieg». Dazu kommt die angespannte Lage im Westjordanland. Auf einen Angriff nie da gewesenen Ausmaßes aus dem Gazastreifen war das Land wohl auch deswegen nicht ausreichend vorbereitet.

  • Nach einem Raketenangriff aus dem Gazastreifen ist Rauch aus einem Wohnhaus in Ashkelon zu sehen. - Foto: Ilia Yefimovich/dpa

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  • Eine Rakete wird abgefeuert. - Foto: Mohammed Talatene/dpa

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  • Israelische Feuerwehrleute löschen ein Feuer, nachdem eine aus dem Gazastreifen abgefeuerte Rakete ein Haus im Süden Israels getroffen hat. - Foto: Tsafrir Abayov/AP

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  • Rauch steigt von einer Explosion auf, die durch einen israelischen Luftangriff im Gazastreifen verursacht wurde. - Foto: Hatem Moussa/AP/dpa

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Nach einem Raketenangriff aus dem Gazastreifen ist Rauch aus einem Wohnhaus in Ashkelon zu sehen. - Foto: Ilia Yefimovich/dpaEine Rakete wird abgefeuert. - Foto: Mohammed Talatene/dpaIsraelische Feuerwehrleute löschen ein Feuer, nachdem eine aus dem Gazastreifen abgefeuerte Rakete ein Haus im Süden Israels getroffen hat. - Foto: Tsafrir Abayov/APRauch steigt von einer Explosion auf, die durch einen israelischen Luftangriff im Gazastreifen verursacht wurde. - Foto: Hatem Moussa/AP/dpa

Die verstörenden Bilder aus dem israelischen Grenzgebiet zum Gazastreifen sind wie aus einem Alptraum. Überraschend feuern militante Palästinenser aus dem Küstenstreifen am frühen Samstagmorgen Tausende von Raketen auf israelische Ortschaften. Gleichzeitig dringen zahlreiche bewaffnete Palästinenser über Land, See und Luft am jüdischen Feiertag Simchat Tora (Freude der Tora) nach Israel vor, obwohl die Sperranlage als besonders streng gesichert gilt.

Mindestens 100 Menschen sind bei den Großangriffen aus dem Gazastreifen ums Leben gekommen. Dies berichteten israelische Medien unter Berufung auf medizinische Kreise. Rund 900 weitere seien verletzt worden.

Nach Angaben des israelischen Militärs haben Kämpfer der islamistischen Hamas Israelis in den Gazastreifen entführt. Darunter seien auch Soldaten, bestätigte ein Sprecher der Armee, ohne Angaben zur Zahl der Entführten zu machen. Zuvor kursierten in sozialen Medien zahlreiche Videos von israelischen Geiseln.

Netanjahu spricht von Krieg

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sagte zu Beginn einer Sitzung des sogenannten Sicherheitskabinetts in Tel Aviv: «Seit heute Morgen befindet sich der Staat Israel im Krieg.» Das Land wurde nach Militärangaben auch offiziell in Kriegsbereitschaft versetzt, Tausende Reservisten einberufen. Die israelische Armee nannte ihre Verteidigungsaktion «Iron Swords» (Eisenschwerter). Ein israelischer Repräsentant warnte, die im Gazastreifen herrschende islamistische Palästinenserorganisation Hamas habe mit ihrem Großangriff auf Israel «die Tore zur Hölle» geöffnet.

Erstes Ziel sei nun, «das Gebiet von den feindlichen Truppen zu säubern, die eingedrungen sind», sagte Netanjahu. Die Hamas werde für die Attacke einen «immensen Preis» zahlen, kündigte er an. Außerdem sei es wichtig, weitere Fronten zu sichern, «damit niemand den Fehler begeht, in diesen Krieg einzutreten». Israels Armee sicherte vor allem die Nordgrenze aus Sorge vor einem möglichen Angriff der libanesischen Hisbollah-Miliz.

Als eine Reaktion auf den Angriff mit 2220 Raketen bombardierten israelische Kampfflugzeuge Hamas-Ziele im Gazastreifen. Dabei wurden laut Gesundheitsministerium 198 Menschen getötet und mehr als 1600 verletzt worden.

Hamas kündigt Militäroperation an

Die von der EU, den USA und Israel als Terrororganisation eingestufte Hamas sprach von einer «Militäroperation» gegen Israel. Militärchef Mohammed Deif sagte, man habe beschlossen, israelischen Verbrechen - wie er es nannte - ein Ende zu setzen.

Deif gilt seit Jahrzehnten als «Phantom». Israel hatte nach Medienberichten immer wieder vergeblich versucht, ihn zu töten. Im Gaza-Krieg 2014 hatte das israelische Militär Deifs Haus angegriffen und dabei seine Frau und seinen kleinen Sohn getötet. Deif selbst konnte damals entkommen.

Stundenlange Raketenangriffe

Wegen der Raketenangriffe heulten in verschiedenen Städten Israels immer wieder die Warnsirenen, wie die Armee mitteilte. Auch in Tel Aviv und Jerusalem war mehrmals Raketenalarm zu hören. In Tel Aviv wurde ein Haus getroffen. Das Militär rief die Einwohner der südlichen und zentralen Landesteile auf, in geschützten Bereichen zu bleiben. Verteidigungsminister Joav Galant erklärte eine besondere Sicherheitslage im Umkreis von bis zu 80 Kilometern vom Gazastreifen.

International vor allem Solidarität mit Israel

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident Charles Michel verurteilten den Angriff. Die Vereinigten Staaten stellten sich klar an die Seite Israels.

Der Iran gratulierte der Hamas dagegen und sprach von einem «Wendepunkt» des bewaffneten Widerstands gegen Israel.

Zuletzt wieder gewaltsame Proteste an der Gaza-Grenze

Die offenbar länger vorbereiteten Attacken aus dem Gazastreifen kamen für Israel unerwartet. Die israelische Armee war davon ausgegangen, dass die Hamas gegenwärtig kein Interesse an einem neuen Waffengang hat. Nicht zuletzt, weil mehrere Kriege mit Israel in den vergangenen 15 Jahren verheerende Auswirkungen auch für die Zivilbevölkerung im Gazastreifen hatten.

Im Gazastreifen leben mehr als zwei Millionen Menschen nach UN-Angaben unter sehr schlechten Bedingungen. Die Hamas hatte 2007 gewaltsam die alleinige Macht an sich gerissen. Israel verschärfte daraufhin eine Blockade des Küstengebiets, die von Ägypten mitgetragen wird.

An der Gaza-Grenze war es im vergangenen Monat wieder mehrfach zu gewaltsamen Protesten gekommen. Dabei wurden Sprengsätze auf Soldaten geworfen, mehrere Palästinenser wurden durch Schüsse verletzt. Die israelische Luftwaffe griff wegen der Vorfälle Hamas-Posten an.

Angespannte Lage im Westjordanland als Ablenkung

Dennoch lag das Augenmerk des israelischen Militärs vor allem auf dem besetzten Westjordanland, wo die Lage sich zuletzt weiter zugespitzt hatte. Seit Donnerstag waren dort vier Palästinenser bei eigenen Anschlägen oder Konfrontationen mit der Armee getötet worden.

Die Sicherheitslage in Israel und dem Westjordanland ist seit etwa eineinhalb Jahren sehr angespannt. Seit Jahresbeginn wurden 27 Israelis, eine Ukrainerin und ein Italiener bei Anschlägen getötet. Im selben Zeitraum kamen mehr als 200 Palästinenser bei israelischen Militäreinsätzen, Konfrontationen oder nach eigenen Anschlägen um.

Streit über Justizreform spaltete Israel

Seit Jahresbeginn kommt es in Israel zu massiven Protesten gegen einen Justizumbau, den Netanjahus rechts-religiöse Regierung vorantreibt. Der bittere Streit führte zur Spaltung der Gesellschaft, teilweise auch von Familien. Ein bekannter israelischer Journalist schrieb zu der Überraschung durch den Hamas-Großangriff in einem X-Post: «Wir sind schuld.» Israel sei zu beschäftigt mit internen Streitigkeiten gewesen. «Und wir haben die Raubtiere im Dschungel um uns herum vergessen.» Eine für Samstagabend in Tel Aviv geplante Großkundgebung gegen die Justizreform - die 40. Woche in Folge - wurde angesichts der Sicherheitslage abgesagt.

Genau 50 Jahre nach Trauma des Jom-Kippur-Kriegs

Als besonders symbolisch galt, dass der Hamas-Überraschungsangriff genau 50 Jahre nach dem Jom-Kippur-Krieg von 1973 erfolgte. Der damalige überraschende Angriff feindlicher arabischer Staaten auf Israel am höchsten jüdischen Feiertag galt bisher als das schwerste nationale Trauma des Landes. Doch auch die demütigende Hamas-Attacke dürfte als tiefe Zäsur in die Geschichte Israels und der Region eingehen.

@ dpa.de