Militäreinsatz, Berg-Karabach

Mit Artillerie, Raketen und Drohnen greift Aserbaidschan die von Armeniern bewohnte Region Berg-Karabach an.

19.09.2023 - 17:25:24

Aserbaidschan startet Militäreinsatz gegen Berg-Karabach. Baku spricht von einer «Antiterroroperation» gegen Armeniens Militär. Es droht ein neuer Krieg.

  • Aaserbaidschanische Panzer bei Kalbajar (Archivbild). - Foto: Emrah Gurel/AP/dpa

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  • Videostandbild vom aserbaidschanischen Verteidigungsministerium: Rauch steigt über einem Gebiet auf, in dem sich nach aserbaidschanischen Angaben Stellungen der armenischen Streitkräfte befinden. - Foto: ---/Defense Ministry of Azerbaijan/AP/dpa

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  • Ein armenischer Soldat in der Nähe von Charektar in der separatistischen Region Berg-Karabach. - Foto: Sergei Grits/AP/dpa

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Aaserbaidschanische Panzer bei Kalbajar (Archivbild). - Foto: Emrah Gurel/AP/dpaVideostandbild vom aserbaidschanischen Verteidigungsministerium: Rauch steigt über einem Gebiet auf, in dem sich nach aserbaidschanischen Angaben Stellungen der armenischen Streitkräfte befinden. - Foto: ---/Defense Ministry of Azerbaijan/AP/dpaEin armenischer Soldat in der Nähe von Charektar in der separatistischen Region Berg-Karabach. - Foto: Sergei Grits/AP/dpa

Im Südkaukasus hat Aserbaidschan einen neuen Militäreinsatz zur Eroberung der Konfliktregion Berg-Karabach gestartet. Das Verteidigungsministerium der autoritär geführten Ex-Sowjetrepublik spricht von einer «Antiterroroperation lokalen Charakters zur Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung» in der Region.

Der Mitteilung aus Baku zufolge dient der Militäreinsatz dazu, den nach dem letzten Berg-Karabach-Krieg 2020 im Waffenstillstand festgeschriebenen Rückzug armenischer Truppen aus dem Gebiet durchzusetzen. Es werde nur auf militärische Ziele geschossen, behauptete das aserbaidschanische Verteidigungsministerium. Den Angaben aus Baku zufolge wurden zuvor zunächst eigene Stellungen von armenischer Artillerie angegriffen und mehrere Soldaten verletzt.

Berichte über tote und verletzte Zivilisten

Stellen vor Ort meldeten hingegen Tote und Verletzte unter der Zivilbevölkerung. «Den bisherigen Informationen zufolge haben die aserbaidschanischen Angriffe mindestens zwei Tote, darunter ein Kind, und elf Verletzte, darunter acht Kinder, verursacht», schrieb der Menschenrechtsbeauftragte der international nicht anerkannten Republik Berg-Karabach (Arzach), Gegam Stepanjan, auf X (vormals Twitter). Sieben Kinder seien in ein Krankenhaus gebracht worden.

Anwohner der Gebietshauptstadt Stepanakert verbreiteten Aufnahmen, die den Beschuss von Wohnhäusern zeigen. In den Vierteln gebe es keine militärischen Objekte, klagen sie. Der frühere Regierungschef von Berg-Karabach, Ruben Wardanjan, berichtete auf seinem Telegram-Kanal von massivem Artilleriefeuer auf das gesamte Gebiet. «Die Führung von Armenien muss Arzach anerkennen und sich dem Schutz unserer Bürger anschließen», forderte er als Konsequenz.

Zugleich wies die aktuelle Führung der Konfliktregion um die Hauptstadt Stepanakert die Anschuldigungen aus Baku zurück. Die Verteidigungskräfte hielten sich an den Waffenstillstand, teilte das Verteidigungsministerium von Arzach mit. Der Vorwurf, die Feuerpause gebrochen und zwei aserbaidschanische Soldaten verletzt zu haben, sei «erlogen und entspricht nicht den Tatsachen», hieß es.

Armenien und Aserbaidschain sind Erzfeinde

Das christlich-orthodoxe Armenien und das muslimische Aserbaidschan sind seit langem verfeindet. Größter Streitpunkt zwischen Eriwan und Baku ist die Enklave Berg-Karabach, die auf aserbaidschanischem Gebiet liegt, aber mehrheitlich von Armeniern bewohnt wird. Nach einem Krieg Anfang der 1990er Jahre hatte zunächst Armenien die Oberhand. In einem zweiten Krieg 2020 siegte das mit Geld aus dem Öl- und Gasgeschäft hochgerüstete Aserbaidschan und eroberte Territorium zurück.

In kürzeren Militäraktionen danach besetzte Baku auch etwa 150 Quadratkilometer armenisches Staatsgebiet. Armenien hat nun den UN-Sicherheitsrat und Russland zu Maßnahmen aufgerufen. Es seien «klare und eindeutige Schritte zur Beendigung der aserbaidschanischen Aggression» nötig, heißt es in einer von armenischen Medien verbreiteten Mitteilung des Außenministeriums in Eriwan.

Armeniens Ministerpräsident ruft Westen um Hilfe

Armeniens Regierungschef Nikol Paschinjan wiederholte auf einer Dringlichkeitssitzung des nationalen Sicherheitsrats derweil Vorwürfe aus Stepanakert, Aserbaidschan strebe die Vertreibung der Armenier aus Berg-Karabach an. «Aserbaidschan hat faktisch eine Bodenoperation zur ethnischen Säuberung Berg-Karabachs von Armeniern begonnen», sagte er. Für Eriwan sei es wichtig, die Rechte und die Sicherheit der dortigen Bevölkerung zu gewährleisten.

Trotzdem sei das armenische Militär derzeit nicht direkt in Kampfhandlungen involviert, teilte er mit. «Armenien hat keine Armee in Berg-Karabach und wir werden derzeit auch keine undurchdachten Handlungen vornehmen», sagte er.

In Telefonaten mit US-Außenminister Antony Blinken und Frankreichs Präsident Emanuel Macron versuchte Paschinjan, den Westen dazu bewegen, politischen Druck auf Baku auszuüben, um den Krieg zu stoppen. Sowohl Blinken als auch Macron verurteilten den Angriff Aserbaidschans. In Eriwan allerdings haben am Abend Proteste gegen die eigene Regierung begonnen. Die Demonstranten werfen Paschinjan Untätigkeit vor.

Lebensmittel und Medikamente fehlen

Der Regierungschef ist bereits seit dem verlorenen Krieg 2020 politisch angeschlagen. Auch die von Baku seit Monaten betriebene Blockade des Latschin-Korridors als einziger Verbindung der etwa 120.000 Karabach-Armenier nach Armenien hat weiter an seinem Image gerüttelt. In dem Gebiet fehlt es an Lebensmitteln und Medikamenten.

Armenien gilt inzwischen allerdings als militärisch unterlegen. Aserbaidschan wird in dem Konflikt von der Türkei unterstützt, während Russland als traditionelle Schutzmacht Armeniens an Einfluss verliert - auch weil Moskau seine Ressourcen in den Angriffskrieg gegen die Ukraine investiert hat. Die Sprecherin des Außenamts in Moskau, Maria Sacharowa, äußerte auch nur die traditionelle «tiefe Besorgnis» und rief beide Seiten zur Deeskalation auf.

@ dpa.de