Justizreform, Benjamin Netanjahu

Israels Regierung bringt einen wichtigen Teil ihrer umstrittenen Justizreform durchs Parlament.

24.07.2023 - 17:39:20

Israelisches Parlament billigt Gesetz zu Justizumbau. Seit Monaten kommt es wegen des Vorhabens zu heftigen Protesten. Gegner warnen: Der Kampf hat erst begonnen.

  • Ministerpräsident Benjamin Netanjahu (vorne M) vor der Abstimmung in der Knesset. - Foto: Maya Alleruzzo/AP/dpa

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  • Die israelische Polizei setzt einen Wasserwerfer gegen Demonstranten ein. - Foto: Ilia Yefimovich/dpa

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  • Menschen demonstrieren in Jerusalem gegen die Justizreform. - Foto: Ariel Schalit/AP/dpa

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Ministerpräsident Benjamin Netanjahu (vorne M) vor der Abstimmung in der Knesset. - Foto: Maya Alleruzzo/AP/dpaDie israelische Polizei setzt einen Wasserwerfer gegen Demonstranten ein. - Foto: Ilia Yefimovich/dpaMenschen demonstrieren in Jerusalem gegen die Justizreform. - Foto: Ariel Schalit/AP/dpa

Trotz monatelanger Proteste und viel Kritik der Opposition hat Israels Regierung ein Kernelement ihrer umstrittenen Justizreform durchs Parlament gebracht. 64 von 120 Abgeordneten stimmten nach tagelanger Debatte am Montag für einen Gesetzentwurf, der die Handlungsmöglichkeiten des Höchsten Gerichts einschränkt. Die Opposition boykottierte die Abstimmung. Das Gesetz ist Teil eines größeren Pakets. Kritiker stufen es als Gefahr für Israels Demokratie ein und warnen sogar vor der Einführung einer Diktatur.

Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu bezeichnete die Billigung des Gesetzes dagegen als «notwendigen demokratischen Schritt». Dieser ermögliche der gewählten Führung das Regieren im Sinne der Mehrheit der Bürger. Israels Justizminister Jariv Levin sprach von einer «Korrektur des Justizsystems».

Warnungen vor Korruption und Staatskrise

Mit dem neuen Gesetz ist es dem Höchsten Gericht künftig nicht mehr möglich, eine Entscheidung der Regierung oder einzelner Minister als «unangemessen» zu bewerten. Zahlreiche Experten befürchten, dass dies Korruption und damit auch die willkürliche Besetzung wichtiger Posten oder aber Entlassungen begünstigen könnte.

«Das Gericht verliert ein zentrales Werkzeug zur Kontrolle von Regierungspolitikern», sagte der Präsident des israelischen Demokratieinstituts, Johanan Plesner. Wichtige Positionen im Land könnten mit «Ja-Sagern» besetzt, die Generalstaatsanwältin entlassen werden. Auch die Zuweisungen von Finanzmitteln oder die Erteilung von Lizenzen für Unternehmen seien nicht mehr kontrollierbar.

Befürworter der Reform argumentieren, Richter seien anders als Abgeordnete oder Minister nicht direkt vom Volk gewählt. Sie seien jetzt unabhängiger von den Richtern und könnten Interessen ihrer Wähler leichter durchsetzen. Zudem werfen sie dem Höchsten Gericht immer wieder vor, eher «linke» Ansichten zu vertreten.

Der Staat Israel hat keine schriftliche Verfassung und fußt stattdessen auf einer Sammlung von Grundgesetzen. Daher kommt dem Höchsten Gericht eine besondere Bedeutung bei der Wahrung von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten zu.

Unklar ist noch, wie sich das Höchste Gericht nach der Verabschiedung des Gesetzes verhalten wird. Unter anderem Israels Rechtsanwaltskammer kündigte an, dort gegen das neue Gesetz vorgehen zu wollen. Laut Plesner wäre ein Eingreifen des Gerichts jedoch ein Präzedenzfall. «Das Gericht hat noch nie eine vergleichbare Änderung aufgehoben», sagte er. Falls es sich dazu entschließen sollte, könnte dies zu einer «Staatskrise» führen.

Autofahrer rast in Protestzug

Seit mehr als einem halben Jahr spaltet das Vorhaben weite Teile der israelischen Gesellschaft. Während der Abstimmung protestierten vor der Knesset Zehntausende Menschen. Einige Demonstranten versuchten Medienberichten zufolge, das Plenum zu stürmen. Die Protestbewegung kündigte an, ihren Protest «bis zum Ende» weiterzuführen. «Wir haben gerade erst begonnen», hieß es von den Organisatoren.

Medienberichten zufolge wurden am Abend landesweit mindestens 34 Demonstranten festgenommen und mehrere Menschen unter anderem durch den Einsatz von Wasserwerfern verletzt. In mehreren Orten kam es demnach zu Zusammenstößen zwischen der Polizei und Demonstranten. Gegner der Justizreform blockierten den Berichten nach mehrere Straßen im Land. In Tel Aviv marschierten Tausende am Abend stundenlang auf einer zentralen Autobahn.

Bei einer Kundgebung in einem Ort nördlich von Tel Aviv raste ein Auto in die Menge. Drei Demonstranten wurden dabei laut Polizei verletzt. Die Sicherheitskräfte nahmen den Fahrer, dessen Motiv am Abend zunächst unklar war, nach einer Fahndung fest.

Zwischen Demonstranten und Bewohnern eines Kibbutz kam es zu einer Schlägerei, wie Medien unter Berufung auf die Polizei meldeten. Der Leiter des lokalen Sicherheitsteams habe daraufhin in die Luft geschossen. Die Polizei habe mehrere Verdächtige festgenommen. Oppositionspolitiker Benny Gantz rief alle Seiten dazu auf, keine rote Linien zu überschreiten. «Gewalt darf nicht zugelassen werden».

Verhandlungen über einen Kompromiss, die bis zur letzten Minute andauerten, blieben erfolglos. «Mit dieser Regierung ist es unmöglich, Vereinbarungen zu treffen, die die israelische Demokratie bewahren», sagte Oppositionsführer Jair Lapid.

Alle Augen aufs Militär

Zuletzt nahm auch der Widerstand innerhalb des Militärs zu. Mehr als Zehntausend Reservisten kündigten an, nicht mehr zum Dienst zu erscheinen, sollte ein Teil der umstrittenen Pläne verabschiedet werden. Die Einsatzfähigkeit könnte damit massiv eingeschränkt werden. «Die Drohungen der Reservisten werden sicher zum Teil verwirklicht, weitere werden sich vielleicht anschließen», sagte Plesner. Dies könne sich zu einer ernsten «Sicherheitskrise» entwickeln. Auch aus der Wirtschaft gab es ähnliche Ankündigungen.

Kritik kam zuletzt auch vermehrt von Israels engstem Bündnispartner, den USA. Das Land kritisierte die Entscheidung des israelischen Parlaments. US-Präsident Joe Biden habe immer wieder deutlich zum Ausdruck gebracht, dass große Veränderungen in einer Demokratie einen möglichst breiten Konsens erforderten, um dauerhaft zu sein, teilte seine Sprecherin am Montag in Washington mit.

Der Kurs der Regierung Netanjahus ist in den vergangenen Monaten zur Belastungsprobe für die israelisch-amerikanischen Beziehungen geworden. Die USA unterstützen Israel jährlich im Verteidigungsbereich mit Milliarden US-Dollar.

Erst der Anfang

Netanjahus Koalitionspartner fühlten sich unterdessen vom Ergebnis der Abstimmung bestärkt. Minister lagen sich im Plenum in den Armen, schlugen ihre Hände ein, machten Selfies und gaben zu verstehen: Dies ist erst der Anfang. Ein weiteres Kernstück der Reform - eine Änderung bei der Richterbesetzung - soll nach ihrem Willen bereits in der nächsten Sitzungsperiode im Herbst auf die Agenda rücken.

Die Gesetzesänderungen erfolgen auch auf Druck von Netanjahus strengreligiösen Koalitionspartnern. Sie könnten Netanjahu laut Experten jedoch auch in einem schon länger gegen ihn laufenden Korruptionsprozess in die Hände spielen. Netanjahu sei «zur Marionette einer Reihe messianischer Extremisten geworden», sagte Oppositionsführer Lapid.

Das Auswärtige Amt rief zum Dialog zwischen Regierung und Opposition auf. «Aus tiefer Verbundenheit mit Israel und seinen Menschen blicken wir mit großer Sorge auf die sich vertiefenden Spannungen in der israelischen Gesellschaft.»

@ dpa.de