Israels Armee hat die Kämpfe wieder aufgenommen.
01.12.2023 - 12:49:29«Hölle auf Erden»: Die Lage in Nahost. Derweil wird bekannt, dass Israel die Angriffspläne der Hamas offenbar kannte. Und US-Außenminister Blinken findet deutliche Worte. Der Überblick.
Die Feuerpause im Gaza-Krieg hat nicht gehalten. Israels Armee hat die Kämpfe gegen die islamistische Hamas wieder aufgenommen. Kampfflugzeuge seien gegenwärtig dabei, Ziele der Hamas im abgeriegelten Gazastreifen anzugreifen, teilte die Armee nach Ablauf der einwöchigen Feuerpause mit.
Das Büro von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu warf der Hamas einen Verstoß gegen die Vereinbarungen über eine Feuerpause vor. «Sie ist ihrer Verpflichtung, alle weiblichen Geiseln freizulassen, heute nicht nachgekommen und hat Raketen auf israelische Bürger abgefeuert», hieß es. Nach Informationen des US-Senders CNN gehen die Verhandlungen in Katar über eine Freilassung weiterer Geiseln dennoch weiter. Auch die Verhandlungen zu einer möglichen Fortsetzung der Feuerpause gehen weiter.
Der arabische Fernsehsender Al-Dschasira berichtete unter Berufung auf Augenzeugen von schweren Kämpfen in der Stadt Gaza und anderen Gebieten im Norden des abgeriegelten Gazastreifens. Im Zentrum des Küstenstreifens gebe es nahe der Flüchtlingslager Nuseirat und Bureidsch zudem Panzerbeschuss, hieß es. Die BBC meldete zudem unter Berufung auf die Hamas Luftangriffe auch im Süden des Gazastreifens. Eigene Quelle hätten dies bestätigt, berichtete der britische Sender.
Die Hamas erklärte nach Wiederaufnahme der Kämpfe, die internationale Gemeinschaft, angeführt von den USA, trage die Verantwortung für «die Fortsetzung des brutalen Krieges gegen Zivilisten, Kinder und Frauen». Das palästinensische Volk habe «das Recht, sich mit allen Mitteln zu verteidigen, und es hat das Recht, seine Freiheit und Unabhängigkeit zu erlangen, seinen palästinensischen Staat mit Jerusalem als Hauptstadt zu errichten und die Besatzung (Israel) in Übereinstimmung mit internationalen und UN-Regeln vollständig aus seinem Land zu entfernen», heißt in der Erklärung der Hamas weiter.
Israels Armee zeigt neue Evakuierungszonen
Israels Armee veröffentlichte indes nach eigenen Angaben neue Sicherheitszonen für die Zivilbevölkerung. Wie das Militär bekanntgab, habe man «in Vorbereitung auf die nächste Phase des Krieges» im Internet eine interaktive Karte in arabischer Sprache mit Evakuierungszonen veröffentlicht. Diese unterteile das Gebiet nach erkennbaren Bereichen, um den Bewohnern zu ermöglichen, «sich zu orientieren, die Anweisungen zu verstehen und sich bei Bedarf von bestimmten Orten aus in Sicherheit zu bringen».
Nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums in Gaza wurden in den ersten drei Stunden der wieder aufgenommenen Kämpfe mindestens 32 Menschen in Gaza getötet. Diese Angaben können derzeit nicht unabhängig überprüft werden.
Bericht: Israel lagen Angriffspläne der Hamas lange vor
Hinweise auf einen geplanten Großangriff der islamistischen Hamas lagen Israel laut einem Bericht der «New York Times» mehr als ein Jahr vor dem 7. Oktober vor. Demnach gab es einen umfassenden Austausch israelischer Behörden zu einem 40 Seiten langen Dokument mit dem Codenamen «Jericho-Mauer», das einen Gefechtsplan der Hamas skizzierte.
Dieser soll bis ins Details dem Angriff geähnelt haben, den Hamas-Terroristen dann Anfang Oktober aus dem Gazastreifen heraus ausführten. Das Szenario sei von israelischen Militär- und Geheimdienstmitarbeitern als zu anspruchsvoll und schwierig in der Ausführung abgetan worden, berichtete die US-Zeitung.
UN-Nothilfebüro: Gazastreifen ist erneut «die Hölle auf Erden»
Das UN-Nothilfebüro OCHA fordert trotz der neuen Kämpfe im Gazastreifen freien Zugang für Hilfskonvois. «Die humanitäre Hilfe muss ohne Vorbedingungen weitergehen», schrieb die OCHA-Vertreterin vor Ort, Lynn Hastings, auf X (vormals Twitter). Ebenso müsse die Palästinenserorganisation Hamas bedingungslos alle Geiseln freilassen.
In den vergangenen Tagen der Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas seien Tausende Tonnen an Nahrungsmitteln, Wasser, Treibstoff, Medizin und Decken für Palästinenser verteilt worden, berichtete OCHA-Sprecher Jens Laerke in Genf. Doch seit dem Morgen sei der Gazastreifen erneut «die Hölle auf Erden», sagte Laerke. Die Fortsetzung der Lieferungen sei nun ungewiss.
Blinken mahnt Israel
US-Außenminister Antony Blinken forderte am Vortag Israels Führung mit deutlichen Worten auf, die Zivilisten im Gazastreifen zu schützen. Sollte Israel den Krieg wieder aufnehmen und gegen den südlichen Gazastreifen vorrücken, um die Hamas zu verfolgen, sei es «zwingend erforderlich», dass sich Israel an das humanitäre Völkerrecht und die Regeln der Kriegsführung halte, sagte Blinken bei einem erneuten Besuch in Israel.
Die zahlreichen Todesopfer in der Zivilbevölkerung und die Vertreibung in dem Ausmaß, wie man sie im nördlichen Gazastreifen gesehen habe, dürfe sich im Süden nicht wiederholen, mahnte er nach einem Treffen mit Regierungschef Benjamin Netanjahu.
Israel müsse vor der Wiederaufnahme größerer Militäreinsätze humanitäre Pläne zum Schutz der Zivilbevölkerung vorlegen, die weitere Opfer auf ein Minimum reduzierten, forderte Blinken. In den Plänen sollte etwa genau festgelegt werden, in welchen Gebieten Zivilisten im südlichen und zentralen Gazastreifen sicher seien. Die Zerstörung lebenswichtiger Infrastruktur wie von Krankenhäusern, Kraftwerken und Wasserversorgungsanlagen müsse vermieden werden.
Hilfsgüter erreichen den Norden Gazas
Unterdessen berichtet der Palästinensische Rote Halbmond, dass seit Beginn der Waffenruhe 310 Lastwagen mit Hilfsgütern erfolgreich den Norden des abgeriegelten Küstenstreifens erreicht hätten. Auf diese Weise konnten wichtige Güter wie Lebensmittel, Babynahrung und Decken für Tausende Menschen in Not bereitgestellt werden, hieß es auf X (vormals Twitter).
Allein am Vortag hätten 56 Lastwagen mit Hilfsgütern die Stadt Gaza und die nördlichen Gebiete des Küstengebiets erreicht. Insgesamt kamen demnach seit Beginn der Feuerpause mehr als 1000 Lkw mit Hilfsgütern im gesamten Gebiet an.
Derweil bekräftigte die israelische Regierung das Ziel, die Hamas zu zerstören. «Wir sind auf die nächste Phase der Operation vorbereitet», so die israelische Regierungssprecherin Tal Heinrich. «Die israelische Regierung ist entschlossen, die Ziele des Krieges zu erreichen: Die Geiseln freizulassen, die Hamas zu eliminieren und sicherzustellen, dass der Gazastreifen nie wieder eine Bedrohung für die Bewohner Israels darstellt», erklärte Netanjahus Büro weiter.
Weitere Geiseln frei
Zuletzt ließ die Hamas aus dem Gazstreifen zunächst zwei israelische Frauen frei, am Abend dann weitere sechs Israelis. Sie sollten medizinisch untersucht werden, bevor sie anschließend in Krankenhäusern ihre Familien treffen, wie das Militär mitteilte.
Nach Angaben aus dem Büro von Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu handelte es sich um vier Frauen sowie eine 18-Jährige und ihren 17-jährigen Bruder. Die beiden arabisch-israelischen Geschwister waren aus einer Beduinenstadt im Süden des Landes entführt worden.
Auch weitere Palästinenser auf freiem Fuß
Die im Gegenzug von Israel auf freien Fuß gesetzten 30 Palästinenser seien in Ost-Jerusalem sowie im Westjordanland von ihren Familien empfangen worden, berichteten in der Nacht palästinensische Medien. Demnach handelte es sich um acht Frauen sowie 22 männliche Jugendliche unter 19 Jahren. Der Sprecher des katarischen Außenministeriums hatte zuvor auf der Plattform X von sieben Frauen sowie 23 männlichen Jugendlichen gesprochen.
Das Emirat Katar hatte gemeinsam mit Ägypten und den USA zwischen Israel und der Hamas die Feuerpause und den Austausch von zivilen Geiseln gegen palästinensische Gefangene vermittelt. Die ursprünglich für vier Tage vereinbarte Feuerpause war um drei Tage verlängert worden. Die in dem Konflikt vermittelnden Länder Ägypten und Katar bemühten sich um eine nochmalige Verlängerung der Feuerpause.
Israel vermutet, dass sich noch rund 145 Geiseln in Gaza befinden. Darunter sollen sich allerdings nur noch 15 Frauen und Kindern befinden. Deshalb war es fraglich, wie lange das bisherige Prozedere, bei der Frauen und Kinder im Gegenzug für eine Verlängerung der Feuerpause freigelassen werden, noch fortgesetzt werden kann.
Freigelassene arabische Geiseln wieder mit Familie vereint
Zwei von der Hamas freigelassene arabisch-israelische Jugendliche sind wieder mit ihrer Familie vereint. Israelische Medien veröffentlichten am Freitag Fotos des Wiedersehens. Eine 17-Jährige ist darauf lächelnd in den Armen eines nicht näher beschriebenen Verwandten zu sehen. Auch ihr 18 Jahre alter Bruder wird bei einer Umarmung mit einem Angehörigem gezeigt.
Die Fotos wurden den Angaben zufolge beim Wiedersehen am Donnerstagabend in der Klinik aufgenommen, in der die Geschwister, die zu einer Beduinengemeinschaft gehören, nach ihrer Freilassung untersucht wurden.
Die arabische Minderheit macht in Israel rund 20 Prozent der knapp zehn Millionen Einwohner aus. Die Beduinen wiederum gehören zur arabischen Minderheit in Israel, ihre Zahl wird landesweit auf rund 250.000 geschätzt. Viele von ihnen dienen in der israelischen Armee.