In seiner Rede an die Nation reagiert Kremlchef Putin auf Gedankenspiele im Westen, Truppen aus Nato-Staaten in die Ukraine zu schicken.
29.02.2024 - 11:04:28Putin warnt Nato-Staaten vor Einsatz in der Ukraine. Und er kündigt Großes für die Zeit nach der Präsidentenwahl an.
Kremlchef Wladimir Putin hat zu Beginn des dritten Jahres seines Angriffskrieges gegen die Ukraine Siegesgewissheit demonstriert und den Westen vor dem Einsatz von Bodentruppen gewarnt. Die Folgen eines solchen Schrittes könnten tragisch sein, sagte Putin in seiner Rede zur Lage der Nation.
Die mehr als 1000 Vertreter aus Politik, Militär, Wirtschaft, Kultur und Religion spendeten dem 71-Jährigen, der zum fünften Mal bei der Präsidentenwahl am 17. März antritt, immer wieder tosenden Applaus in der mehr als zweistündigen Rede. Putin gab auch seine Pläne für die kommenden sechs Jahre nach der Wahl bekannt.
Putin: «Atomwaffen in voller Kampfbereitschaft»
Der russische Präsident erinnerte gleich am Anfang des mit Spannung erwarteten Auftritts an die Schlagkraft der Waffen der Atommacht. Der Westen solle bei seinen Drohgebärden stets daran denken, dass auch Russland Waffen habe, die auf dem Gebiet dort Ziele treffen könnten, sagte er. Eine Eskalation in dem Konflikt und ein Einsatz von Atomwaffen könnte zur «Auslöschung der Zivilisation» führen, mahnte er. Es handele sich nicht um einen «Trickfilm».
«Die strategischen Atomwaffen befinden sich im Zustand voller Kampfbereitschaft für ihren garantierten Einsatz», sagte Putin. Er hatte in der Vergangenheit zur Warnung an die Nato immer wieder betont, dass die Nuklearmacht ihre Interessen mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln gegen einen Angriff verteidigen werde. Dazu zählte er erneut auf, dass das Riesenreich etwa über die neue Hyperschall-Interkontinentalrakete Avantgarde sowie über Laserwaffen verfüge.
Droht Eskalation des Krieges?
Zugleich wies der Präsident Behauptungen, dass Russland den Westen angreifen wolle, als «Blödsinn» zurück. Das Land werde vielmehr für seine eigene Sicherheit den Rüstungskomplex hochfahren und auch die westliche Flanke des Riesenreichs weiter stärken wegen der Gefahr, die von der Nato-Erweiterung und durch die Aufnahme Schwedens und Finnlands in das Militärbündnis nun ausgehe. Die Bedrohung aus westlicher Richtung müsse «neutralisiert» werden, sagte er.
Den USA bot Putin erneut einen Dialog zur strategischen Sicherheit und Stabilität in der Welt an. Russland und die USA hatten im Zuge ihres Konflikts mehrere Abrüstungsverträge ausgesetzt oder aufgekündigt. Russland sei bereit zu neuen Gesprächen, wenn die USA aufhörten, es auf eine strategische Niederlage Moskaus abzusehen, sagte Putin.
Er machte erneut deutlich, dass Moskau kein Interesse daran habe, sich wie einst in der Sowjetunion in einem Rüstungswettlauf als Staat zu ruinieren. Zudem wies Putin noch einmal nachdrücklich Behauptungen aus den USA zurück, dass Russland an dem Einsatz von Atomwaffen im Weltall arbeite.
Putin: Mehrheit der Russen unterstützt Militäroperation
Sein Krieg gegen die Ukraine, der inzwischen mehr als zwei Jahre dauert, werde von der «absoluten Mehrheit der Bevölkerung» unterstützt, behauptete der Kremlchef. Er dankte in der Ansprache vor der Föderalen Versammlung - der Staatsduma und dem Föderationsrat - den Bürgern und den Unternehmern für die Unterstützung bei der «militärischen Spezialoperation», wie der Krieg offiziell in Moskau heißt. Das Volk arbeite in drei Schichten, um die Bedürfnisse der Front zu decken. Für die Gefallenen rief er eine Schweigeminute aus.
«Die Kampfmöglichkeiten der Streitkräfte haben sich um ein Vielfaches verbessert. Unsere Einheiten haben beständig die Initiative, greifen an einer ganzen Reihe der operativen Richtungen gezielt an», sagte Putin. Er bezeichnete die Soldaten immer wieder als Helden und sicherte ihnen auch zu, in Zukunft Karriere im Staatsapparat oder bei Staatskonzernen zu machen als Belohnung für ihren Einsatz.
Dagegen wird dem Präsidenten, der den Krieg am 24. Februar 2022 befohlen hatte, von Kritikern im eigenen Land vorgeworfen, die Invasion für den eigenen Machterhalt zu nutzen. Er selbst sprach auch bei dem Auftritt in dem alten Handelshof Gostiny Dwor in Kremlnähe davon, dass die Soldaten in dem Krieg Russlands Unabhängigkeit als souveräner Staat verteidigten. Der Westen habe den Konflikt um die Ukraine einst entfacht, um Russland zu zerstören, behauptete Putin einmal mehr.
Die in die Nato strebende Ukraine kämpft bereits seit mehr als zehn Jahren für eine Zukunft in einem demokratischen Europa ohne Druck von russischer Seite. Nach dem Sturz des prorussischen Präsidenten Viktor Janukowitsch entriss Moskau dem Land zuerst die Schwarzmeer-Halbinsel Krim. Putin erinnerte auch an den 10. Jahrestag der Krim-Annexion, als sich Russland 2014 die ukrainische Schwarzmeer-Halbinsel einverleibte.
Das Land schaue heute mit Stolz auf das Ereignis und das Erreichte. Russland werde niemandem erlauben, sich in seine inneren Angelegenheiten einzumischen. Dafür habe die Rohstoffgroßmacht auch die Ressourcen. Auf die Sanktionen des Westens, die eigentlich Russlands Krieg gegen die Ukraine stoppen sollten, ging Putin anders als sonst diesmal mit keinem Wort ein.
Putin gibt kurz vor der Wahl große soziale Versprechen
Zwei Wochen vor seiner geplanten Wiederwahl machte Putin stattdessen erwartungsgemäß auch Versprechen an das Volk. So rief er ein neues nationales Unterstützungsprogramm für Familien aus. Für die Modernisierung des Gesundheitswesens sagte der 71-Jährige eine Billion Rubel (rund 10 Milliarden Euro) an neuen Haushaltsmitteln zu.
Putin, der in Russland seit mehr als 24 Jahren an der Macht ist, räumte ein, dass immer noch 13,5 Millionen Menschen im Land unterhalb der Armutsgrenze lebten. Vor allem Großfamilien seien davon betroffen. Bei etwa 30 Prozent der Großfamilien sei die finanzielle Lage prekär. Bis 2030 solle dieser Anteil auf zwölf Prozent gesenkt werden, forderte er. Da 2030 die von Putin angestrebte fünfte Amtszeit als Präsident endet, galt die Rede auch als Vorstellung seines Wahlprogramms für die kommenden sechs Jahre.
Als Maßnahmen zur Stützung der Familien stellte Putin soziale Hypothekenprogramme, höhere Steuerfreibeträge für Kinder und regionale Sozialprogramme vor, die aus dem föderalen Haushalt gestützt werden sollen. Der Mindestlohn solle von 19.000 Rubel (190 Euro) im Monat bis 2030 auf 35.000 Rubel (350 Euro) steigen.
Bei der Rede zur Lage der Nation gab es selbst begeisterten Applaus und Nicken von Präsidentenkandidat Leonid Sluzki, wie das Staatsfernsehen immer wieder zeigte. Er gilt wie die beiden anderen Mitbewerber als reine Staffage und als glühender Unterstützer einer Zukunft in Russland mit Putin an der Spitze.
Kritik an Rede
Das Team um den in Haft gestorbenen Putin-Gegner Alexej Nawalny kritisierte, dass Putin Wahlversprechen mache, die in keiner Weisen zu finanzieren seien. Alles zusammengerechnet gehe es um Unsummen, meinte Nawalnys Vertrauter Leonid Wolkow. Nawalny soll an diesem Freitag in Moskau beerdigt werden.
Die russische Politologin Tatjana Stanowaja sprach mit Blick auf die Toten im Krieg von einer «zynischen Rede» des Präsidenten. Friedensnobelpreisträger Dmitri Muratow veröffentlichte ein Bild von einem leeren Kinosaal in Ufa bei Putins Rede; niemand sei freiwillig gekommen. Aus anderen Regionen wiederum gab es Berichte, dass etwa Studenten gezwungen worden seien, sich den Auftritt anzuschauen.
Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Michael Roth (SPD), warnte davor, Putins Rede überzubewerten. «Er wiederholt seine hinlänglich bekannten Schuldzuweisungen und Drohungen gegenüber dem Westen», sagte Roth dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).
Der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag, Anton Hofreiter, warnte mit Blick auf Putins Äußerungen vor einer Ausweitung des Ukraine-Krieges. Das Ziel seiner Drohungen sei, dass die westlichen Staaten ihre Hilfe für die Ukraine einstellten. «Wir dürfen uns von diesen Drohungen nicht einschüchtern lassen», sagte der Grünen-Politiker den Zeitungen der Funke Mediengruppe. «Wenn die russische Armee in der Ukraine erfolgreich ist, droht eine Ausweitung des Krieges auf weitere Länder.»