In einer früheren Waffenfabrik im spanischen Toledo bittet der ukrainische Außenminister um weitere Militärhilfe für den Kampf gegen Russland.
31.08.2023 - 16:17:19Ukraine drängt auf deutsche Marschflugkörper. An die Bundesregierung richtet er einen speziellen Appell.
Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba hat Deutschland erneut zur Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern für den Kampf gegen Russland aufgerufen.
«Es gibt wirklich kein einziges objektives Argument gegen diese Entscheidung», sagte Kuleba am Rande eines EU-Außenministertreffens im spanischen Toledo, an dem auch seine deutsche Kollegin Annalena Baerbock (Grüne) teilnahm. Er rufe «die deutsche Regierung konstruktiv, freundlich und ohne Druck» auf, diese Entscheidung zu treffen.
«Das ergibt Sinn, weil es unserer Gegenoffensive hilft und damit dazu beiträgt, den Krieg früher zu beenden», sagte Kuleba. Frankreich und Großbritannien lieferten bereits weitreichende Marschflugkörper.
Deutsches Zögern
Als Grund für die bisher ausgebliebene deutsche Entscheidung für Taurus-Lieferungen gelten Befürchtungen, dass die modernen Marschflugkörper von der Ukraine auch auf Ziele auf russischem Territorium abgefeuert werden könnten und Russland dann Vergeltung üben könnte. Es wird deswegen für möglich gehalten, dass sie vor einer Freigabe technisch so verändert werden sollen, dass sich Ziele in Russland mit ihnen nicht anfliegen lassen.
Baerbock äußerte sich in Toledo zunächst nicht öffentlich zu dem Thema. In der vergangenen Woche hatte sie im Deutschlandfunk vage gesagt, es müssten noch «technische Details» geklärt werden. Es sei wichtig, nicht einfach etwas zu versprechen, «sondern dass das dann auch geliefert wird und funktioniert und dass die unterschiedlichen Systeme ineinandergreifen. Und das gilt jetzt auch für weitere Maßnahmen wie Marschflugkörper».
Bitten auch an andere EU-Staaten
Neben dem Taurus-System nannte Kuleba bei dem EU-Treffen auch weitere Artilleriemunition, gepanzerte Fahrzeuge, Panzer und neue Luftverteidigungssysteme als benötigte Rüstungsgüter. Letztere könnten seinen Angaben zufolge eine neue Route für ukrainische Getreideexporte absichern, die aus ukrainischem Schwarzmeergebiet in Richtung rumänischer Hoheitsgewässer führt. Militärisch neutrale EU-Staaten wie Österreich und Irland bat der Ukrainer, gepanzerte Rettungsfahrzeuge für die Bergung von verletzten Soldatinnen und Soldaten zur Verfügung zu stellen.
Kritik an Kritikern
Klare Worte fand Kuleba auch angesichts zuletzt verstärkt geäußerter Kritik an der Strategie der ukrainischen Streitkräfte bei der aktuellen Gegenoffensive. «Kritik am langsamen Tempo der Gegenoffensive zu üben, bedeutet, dem ukrainischen Soldaten ins Gesicht zu spucken, der jeden Tag sein Leben hingibt und Kilometer für Kilometer ukrainischen Boden befreit», sagte er. Er empfehle allen Kritikern, den Mund zu halten und in die Ukraine zu kommen. Sie sollten dann dort versuchen, selbst einen Quadratzentimeter zu befreien.
Unter anderem die «New York Times» hatte zuvor berichtet, dass die ukrainischen Streitkräfte nach Einschätzung westlicher Militärstrategen Fehler bei ihrer Gegenoffensive machten. Kiew habe zu viele Soldaten, darunter einige der besten Kampfeinheiten, an den falschen Orten stationiert, hieß es. Vor allem aus diesem Grund habe das ukrainische Militär auch Schwierigkeiten, den russischen Verteidigungsgürtel zu durchbrechen.
Keine konkreten Zusagen
Über konkrete neue Zusagen von EU-Staaten wurde bei dem informellen Treffen in einer früheren Waffenfabrik zunächst nichts bekannt. Ohne Kuleba diskutierten die Außenminister dabei unter anderem über die Finanzierung weiterer Militärhilfen. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hatte zuletzt vorgeschlagen, längerfristige Zusagen zu machen und mit EU-Geld auch die Lieferung moderner Kampfjets und Raketen zu unterstützen. So will er von 2024 bis Ende 2027 jährlich fünf Milliarden Euro mobilisieren.
Baerbock äußerte sich in Toledo aufgeschlossen für neue Absprachen. «Es ist unsere Verantwortung, immer wieder zu reflektieren, wie wir unsere Unterstützung für die Ukraine noch effizienter, noch besser abgestimmt koordinieren können», sagte sie. Zu den hohen Kosten für die Unterstützung erklärte die Grünen-Politikerin: «Wir müssen uns jeden Tag immer wieder in Erinnerung rufen: Wir investieren hier in den Frieden Europas.»
Warnungen vor Kriegsmüdigkeit
Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis sagte, er verstehe, dass sich in manchen Ländern angesichts des öffentlichen Druckes Erschöpfung und Müdigkeit breitmachen könnten. Man müsse sich allerdings bewusst machen, was es bedeuten würde, die Ukraine nicht bis zum Sieg gegen Russland zu unterstützen. Dann werde es so sein, dass Kremlchef Wladimir Putin seinen Sieg erklären könne, sagte er.