In die Verhandlungen über eine der größten Freihandelszonen der Welt könnte neuer Schwung kommen.
17.07.2023 - 16:58:37Ringen um EU-Mercosur-Deal: Neues Ziel lautet Ende 2023. Die Länder sprechen sich für ein rasche Einigung aus. Klar ist aber auch: Es wird schwierig werden.
Die Bemühungen um den Abschluss des Freihandelsabkommens zwischen der EU und der südamerikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Mercosur nehmen wieder Fahrt auf. Der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva und die aktuelle spanische EU-Ratspräsidentschaft äußerten in Brüssel beim Gipfel von EU und der Gemeinschaft der südamerikanischen und karibischen Staaten die Hoffnung, im nächsten halben Jahr ein Abkommen schließen zu können.
Auch Bundeskanzler Olaf Scholz zeigte sich vor Beginn des Gipfels optimistisch: «Ich bin sehr froh, dass es unverändert so ist, dass viele der Staaten Lateinamerikas sehr engagiert hinterher sind, dass wir jetzt bald zu einem guten Ergebnis kommen», sagte er zum Auftakt des Gipfels in Brüssel. «Ich bin überzeugt, das wird auch gelingen.»
Über den Aufbau der Freihandelszone zwischen der EU und den Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay war im Sommer 2019 nach jahrelangen Verhandlungen eine politische Grundsatzeinigung erzielt worden. Der Deal wird allerdings nun von mehreren EU-Staaten wie etwa Frankreich oder Österreich wieder infrage gestellt. Kritiker befürchten, dass europäische Landwirte künftig in einen Preiskampf gezwungen werden und gleichzeitig die Regenwaldzerstörung in Südamerika befeuert wird.
Vorschläge für eine Zusatzerklärung wollten die Südamerikaner bislang allerdings nicht akzeptieren. Derzeit laufen Verhandlungen über einen Kompromiss. So forderte Lula zuletzt Zugeständnisse für einen stärkeren Schutz von kleineren brasilianischen Unternehmen bei öffentlichen Ausschreibungen, da er in dem Bereich ein besonders großes Wirtschaftswachstum erwartet.
Während der Amtszeit seines rechtspopulistischen Vorgängers Jair Bolsonaro hatte es zuletzt kaum Fortschritte gegeben. Dessen Politik wurde in der EU mitverantwortlich für verheerende Brände im Amazonas-Regenwald gemacht. So hatte der französische Präsident Emmanuel Macron nach Bränden im Sommer 2019 angekündigt, das bereits ausgehandelte Freihandelsabkommen abzulehnen.
Verschiedene Haltungen
Einige Monate später stimmten dann auch die zuständigen Abgeordneten des österreichischen Parlaments in Wien gegen das Abkommen. Kanzler Karl Nehammer sagte in Brüssel, an der Position seines Landes zum Abkommen habe sich nichts geändert. Auch innerhalb der Union werde noch intensiv diskutiert.
Die EU-Kommission versucht seit Jahren, einen Kompromiss zu ermöglichen. Sie verweist immer wieder darauf, dass das Abkommen Unternehmen in der EU Milliardenbeträge an Zöllen ersparen und die Exporte ankurbeln könnte.
Klar ist: Es stehen schwierige Verhandlungen bevor. Es sei beim Gipfel «kein großer Durchbruch» zu erwarten, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell zu Beginn des Spitzentreffens. «Aber ich erwarte, dass der Wille zum Ausdruck gebracht wird, weiter hart daran zu arbeiten, um bis Ende des Jahres eine Einigung zu erzielen».
Hoffnung machen nun Zusagen wie die von Lula, der am Montag in Brüssel beteuerte, sein Land werde seine Klimaschutzverpflichtungen erfüllen und ab 2030 keinen Amazonas-Regenwald mehr entwalden.
Auch der spanische Premier Pedro Sánchez, der derzeit den Vorsitz der EU-Ratspräsidentschaft innehat, äußerte leise Zuversicht: «Wir hoffen, dass wir in diesen sechs Monaten weitere Schritte unternehmen und hoffentlich während unserer Präsidentschaft zu einem positiven Abschluss kommen können.»
Der irische Regierungschef Leo Varadkar betonte, es gebe die Aussicht auf eine Unterzeichnung in den nächsten zwölf Monaten. EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola sagte, auch das Europäische Parlament dränge darauf, dass Menschenrechte sowie Umwelt- und Nachhaltigkeitsbelange geschützt würden.
Unterstützung für die Ukraine
In anderen Bereichen liegen die Positionen ebenfalls weit auseinander. Am zweiten Tag des Gipfels soll es um Unterstützung für die Ukraine gehen. Viele Staats- und Regierungschefs in Lateinamerika fordern Friedensgespräche und lehnen Sanktionen gegen Russland und eine klare Unterstützung der Ukraine ab. Mit den linksautoritär regierten Staaten Kuba, Venezuela und Nicaragua hat Moskau außerdem drei Verbündete in der Region, die Russland sogar offen unterstützen.
Dass nicht alle Staaten den russischen Angriffskrieg verurteilen, hat nach Einschätzung des niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte auch mit der EU zu tun. Die Lehre sei, dass man in Europa in den vergangenen Jahrzehnten in der Außenpolitik und im Umgang mit anderen «ziemlich arrogant» gewesen sei, sagte er am Rande des Gipfels. Dies gelte nicht nur für Lateinamerika und die Karibik, sondern auch für Afrika und Teile Asiens.
«Wir sind nicht ans Telefon gegangen, wenn sie uns brauchten. Jetzt haben sie das Gefühl, wenn wir sie brauchen, müssen sie genau das tun, was wir von ihnen verlangen», ergänzte Rutte. Auch Scholz warb für eine Partnerschaft mit den lateinamerikanischen Staaten auf Augenhöhe. Europa habe da «auch etwas zu tun im Hinblick auf die koloniale Vergangenheit».